Laizismus in Frankreich und Benelux

rudy-vortrag.jpg

Dr. Rudy Mondelaers / Fotos: Dennis Merbach

FRANKFURT/M. (hpd/sh) Die Frühjahrs-Veranstaltungsreihe der GBS Rhein-Main – Säkulare Humanisten (in Zusammenarbeit mit DiKOM e.V.) im Saalbau Bornheim schloss am 4. Mai 2012 mit einem Vortrag von Dr. Rudy Mondelaers über den Laizismus in  Frankreich und Belgien.

Bericht und Kommentar von Jochen Beck

Der 73-Jährige, gebürtig aus Belgien stammende Ökonom und Publizist ist vielen Lesern des Humanistischen Pressedienstes unter anderem durch seine Beiträge zum westeuropäischen Laizismus bekannt, dies war auch sein Referatsthema am 4. Mai.

Den meisten Besuchern war bekannt, dass vor allem Frankreich in Bezug auf die Strukturierung des Verhältnisses von Kirche und Staat einen anderen Weg als Deutschland gegangen ist. Der große westliche Nachbar steht für eine sehr strikte Trennung von Kirche und Staat, eine Praxis, die Mondelaers als „reine Laizität“ umschreibt, während er die in Belgien übliche Kooperativstruktur als „organisierte Laizität“ versteht. Der Referent begnügte sich nicht mit der Schilderung der gegenwärtigen Situation, sondern behandelte auch sehr ausführlich die darauf hinführende historische Entwicklung.

Sehr zur Überraschung des Publikums wurden die Freimaurer-Logen als eine frühe Organisationsform der französischen Konfessionsfreien herausgestellt. Obwohl die ersten französischen Logen von britischen, katholischen Stuart-Anhängern gegründet wurden, entwickelten sich diese geheimbündlerischen Institutionen zu tendenziell aufklärerisch-deistischen Organisationen. Bereits 1738 wurde die Freimaurerei durch eine päpstliche Bulle verurteilt. Der französische Staat verweigerte allerdings dem Verdikt des Oberhauptes der damaligen Staatskirche die Anerkennung.

Die Französische Revolution fand in den Freimaurern naturgemäß glühende Anhänger. Bedeutende Freimaurer jener Zeit waren La Fayette und Mirabeau. Da sich in ihren Reihen überwiegend konstitutionelle Royalisten und gemäßigte Republikaner befanden, die oft auch noch adeliger Herkunft waren, geriet die Terrorherrschaft der radikalen Republikaner unter Robespierre (1792-1794) auch für die Freimaurer zur Katastrophe. Von den 30.000 Logenmitgliedern wurden über 90 Prozent getötet oder mussten emigrieren. Nach dem Sturz Robespierres wurde der an der Philosophie Rousseaus orientierte staatliche Kult des „Höchsten Wesens“ nicht mehr praktiziert.

Napoleon - Erster Konsul der I. Republik seit 1799 und Kaiser von 1804 bis 1814 - beendete den Kampf des revolutionären Frankreich gegen die Kirche mit dem Konkordat von 1801, welches bis 1905 in Kraft blieb und im ehemaligen Elsass-Lothringen sogar heute noch gilt. Dieses Konkordat muss man gemäß der obigen Begriffsbestimmung als organisierte Laizität einordnen. Es gibt weiterhin keine Staatsreligion, der Katholizismus wird aber als Religion der Mehrheit anerkannt, die Geistlichen vom Staat besoldet. Das Grundschulwesen wird privatisiert und überwiegend von geistlichen Orden betrieben.

Das Konkordat sichert auch die Anerkennung der Exkommunikation der Freimaurer durch die Kirche. Die Logen werden jetzt endgültig von den Katholiken verlassen und sind seitdem dezidiert antiklerikal und deistisch (Deismus = Gott greift nach der Schöpfung nicht mehr ins Weltgeschehen ein. Göttliche Offenbarung findet nicht statt. Ethik wird philosophisch begründet). Die französischen Logen werden unter dem Dach der GOF (Grand Orient de France) zusammengefasst. Napoleons älterer Bruder Joseph wird deren Großmeister, womit die Großloge gleichsam eine institutionelle Stütze des kaiserlichen Regimes wird. Im weiteren Verlauf sind GOF-Angehörige an allen revolutionären Ereignissen Frankreichs beteiligt, so an der Julirevolution 1830, der Februarrevolution 1848 und an der Pariser Kommune 1871. Der deistische Bezug der GOF bleibt bis 1877 bestehen. Erst dann wird der zunehmenden Neigung der laizistischen Kräfte zu Atheismus und Agnostizismus Rechnung getragen und die Verpflichtung gestrichen, an Gott und die Unsterblichkeit der Seele zu glauben sowie „für die Herrlichkeit des Großen Architekten des Universums zu arbeiten“. Stufenweise verschwinden bei den Logen der GOF alle Beziehungen zur Religion.

In der seit 1870 existierenden III. Republik wurden 1886 die Laizitätspflicht für Lehrer und ein Subventionsverbot für private Grundschulen eingeführt. Inzwischen bilden sich auch zunehmend außerhalb der Freimaurerszene politisch linksstehende Organisationen der Konfessionslosen. Im Jahre 1890 wird die Französische Föderation der Freidenker gegründet. Ab 1895 kommt es im Zuge der Dreyfuss-Affäre zur Konfrontation zwischen laizistisch-linksliberalen und konservativ-klerikalen Kräften. Anlass war ein Spionage-Skandal. Es konnte nachgewiesen werden, dass es unter den Offizieren des Generalstabes einen Verräter geben musste. Das konservative Establishment, welches die Ehre der Armee als nationales Heiligtum sah, wollte Alfred Dreyfuss - den einzigen jüdischen Stabsoffizier - faktenwidrig zum Sündenbock machen. Der katholische Klerus stand weitgehend auf der Seite der antisemitischen Hetzer. Zu den prominentesten Vorkämpfern der Laizisten gehörte Emile Zola (1840-1902), der große naturalistische Romancier des 19. Jahrhunderts. Am Ende dieser Zerreißprobe der Dritten Republik (1870-1940) stand nicht nur Dreyfuss‘ Rehabilitierung, sondern auch das noch heute geltende Gesetz von 1905, welches das Konkordat von 1801 aufhob und die Trennung von Kirche und Staat in jener Konsequenz realisierte, die für viele deutsche Humanisten als Vorbild gilt:

  • Artikel 2: Von der Republik wird kein Kultus anerkannt, besoldet oder subventioniert. Folglich werden ab dem auf die Verkündung dieses Gesetzes folgenden 1. Januar alle Ausgaben für die Ausübung der Kulte aus den Haushalten des Staates, der Departements und der Gemeinden gestrichen.

François Hollande, der aktuelle Präsident der französischen Republik, hat in seinem Wahlprogramm die Aufnahme des Gesetzes in die Verfassung verkündet. Gegenwärtig enthält die Verfassung der V. Republik (seit 1958) zwar ein Laizismus-Gebot, aber eben nicht in Form der präzisen Ausprägung, die eine verfassungsrechtliche Verankerung des Gesetzes mit sich bringen würde. Der Referent bezweifelte allerdings, dass der neue Staatschef dieses Versprechen realisieren kann beziehungsweise will („Da muss man abwarten“).