Freiheit als Privileg

(hpd) Der italienische Philosoph Domenico Losurdo präsentiert eine kritische Sicht auf die historische Entwicklung des Liberalismus in der gesellschaftlichen Praxis. Er macht hier trotz aller bewussten Einseitigkeit gut belegt die historische Dominanz eines Freiheitsverständnisses aus, welches allzu lange nur auf die gesellschaftliche Elite bezogen war und die Unterprivilegierten von den damit verbunden Grundrechten ausschloss.

Der humane Gehalt politische Theorien hat sich nicht nur in den Inhalten, sondern ebenso in der Praxis zu erweisen. Diese Einschätzung gilt auch für den Liberalismus, der als Lehre der individuellen Freiheit verstanden wird. Doch wie war es in der historischen Entwicklung tatsächlich mit der gesellschaftlichen Umsetzung dieses Anspruchs bestellt?

Dieser Frage geht Domenico Losurdo, der an der Universität Urbino (Italien) Philosophie lehrt, in seinem Buch „Freiheit als Privileg. Eine Gegengeschichte des Liberalismus“ nach. Wie bereits der Untertitel nahe legt, geht es dem Autor nicht um eine ausgewogene, sondern eine einseitige Perspektive. Dies muss keineswegs ein Makel bezüglich des Erkenntnisgewinns sein, bedarf es für ein differenziertes Bild doch auch immer der Aufmerksamkeit für die andere Perspektive. Demgemäß steht bei Losurdo im Zentrum des Interesses „nicht das liberale Denken in seiner abstrakten Reinheit, sondern der Liberalismus, und das heißt die liberale Bewegung und die liberale Gesellschaft in ihrer Konkretheit“ (S. 8).

Dazu behandelt er die Zeit vom Freiheitskampf der Niederlande bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, bezogen einerseits auf die Auffassungen der bedeutenden Repräsentanten des liberalen Denkens und die gesellschaftliche Realität in Europa und den USA sowie in den kolonialisierten Ländern. Anhand von ausführlichen Belegen aus den Schriften von John Locke über Adam Smith bis zu Alexis de Tocqueville sowie von historischen Fakten zur Diskriminierung von Armen als Knechten in Großbritannien und Schwarzen als Sklaven in den USA werden die Schattenseiten des Liberalismus dokumentiert: Die Freiheit gestand man einer Minderheit der privilegierten Reichen zu, während den Anderen die damit einhergehenden Grundrechte verweigert wurden. Bilanzierend bemerkt Losurdo: „Die Gemeinschaft der Freien setzt sich durch, indem sie für sich selbst zugleich die negative und positive Freiheit beansprucht und von beiden sowohl die Völker kolonialer Herkunft als auch die Halbsklaven und Knechte der Metropole ausschließt“ (S. 435).

„Freiheit als Privileg“ enthält demnach eine Art Alternativgeschichte zur historischen Entwicklung des Liberalismus, der eben zunächst nur für die gesellschaftliche Elite bestimmt war. Ausgrenzungen und Benachteiligungen von ethnisch und sozial definierbaren Gruppen gehörten in unterschiedlichem Ausmaß von der Aberkennung von Rechten bis zur Vernichtung der Existenz zu den Begleiterscheinungen der erwähnten Konkretheit des Liberalismus. Für seine Darstellung präsentiert der Autor eine Fülle von angemessenen Belegen zur Veranschaulichung. Nur selten vergreift er sich in historischen Gleichsetzungen wie etwa bezüglich der Bedeutung von rassistischer Ideologie, wozu es heißt: „Theodore Roosevelt kann in dieser Hinsicht ruhig Hitler zur Seite gestellt werden“ (S. 432). Bei aller notwendigen Kritik an dem Schrecken der Kolonialkriege und der Sklaverei handelt es sich hier sicherlich nicht um eine sachlich angemessene Gleichsetzung. Derartige polemische und unsachliche Ausfälle stellen aber insgesamt eher eine Seltenheit im Text dar.

Losurdo nutzt seine kritischen Betrachtungen nicht zur Generalverdammung des Liberalismus, betont er doch auf den letzten Seiten dessen historische Verdienste. Hierzu zählt der Autor die Beschränkung der Macht, die Entwicklung der Demokratie, die Forderung nach Konkurrenz und den Willen zur Selbstkorrektur. Gleichwohl wird kritisch gefragt: „Hat der Liberalismus die Dialektik von Emanzipation/De-Emanzipation, mit der darin steckenden Gefahr von Regression und Restauration endgültig hinter sich gelassen, oder ist diese Dialektik nicht doch noch sehr lebendig, auch dank der dieser Denkschule eigenen Flexibilität?“ (S. 440). Man mag die präsentierte Auffassung als Ausdruck von negativer Einseitigkeit ansehen, sie ist aber in dieser Hinsicht eine notwendige Ergänzung zu einer positiven Einseitigkeit. Ob Losurdo, als langjährigem Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens und dann deren Nachfolgerin, der Freiheit selbst einen zu geringen Stellenwert einräumt, kann indessen nur ein Argument gegen den Autor, nicht aber gegen sein Buch sein.

Armin Pfahl-Traughber

 

Domenico Losurdo, Freiheit als Privileg. Eine Gegengeschichte des Liberalismus. Aus dem Italienischen von Hermann Kopp, 2. Auflage, Köln 2011 (PapyRossa-Verlag), 476 S., 22,90 €