USA: Studie deckt Kirchensubventionierung auf

AMHERST, NY. (hpd) Eine in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Free Inquiry veröffentlichte Studie hat das mögliche Ausmaß der staatlichen Subventionierung der US-Kirchen aufgezeigt. Den Berechnungen unter Federführung des Soziologen Ryan T. Cragun zufolge belaufen sich die Begünstigungen auf einen Betrag von mehr als 71 Milliarden US-Dollar jährlich.

Die in den USA seit 1980 erscheinende Zeitschrift Free Inquiry hat eine Auflage von rund 35.000 Exemplaren und wird vom Council for Secular Humanism in Amherst im US-Bundesstaat New York herausgegeben. Chefredakteur ist der emeritierte Philosophieprofessor Paul Kurtz.

Die Veröffentlichung der neuen Studie über die Kirchensubventionierungen in den Vereinigten Staaten wird vermutlich für Unruhe sorgen. Denn die Zahlen, die Ryan T. Cragun zusammengetragen hat und die Schlussfolgerungen, welche in der Studie gezogen werden, sind aufsehenerregend.

Die Untersuchung mit dem Titel How Secular Humanists (and Everyone Else) Subsidize Religion in the United States („Wie säkulare Humanisten (und jedermann sonst) die Religion in den Vereinigten Staaten subventionieren“) hat es kaum weniger in sich, als das 2010 in Deutschland veröffentlichte „Violettbuch Kirchenfinanzen“, welches die hierzulande existierende Verquickung von Staat und Kirchen zum finanziellen Vorteil einzelner Konfessionsgemeinschaften aufzeigte und damit heftige Debatten auslöste.

Den Daten des Religionssoziologen Cragun von der University of Tampa zufolge subventionieren die USA die im Land existierenden Konfessionsgemeinschaften mit jährlich mehr als 71 Milliarden US-Dollar, was einem Betrag von umgerechnet 56 Milliarden Euro entspricht.  Die Zahlen ergeben sich durch zahlreiche Formen der Steuererleichterung und -befreiung, direkte Zuschüsse durch Behörden auf Bundes- und Länderebene oder den Kommunen.

Dabei wurden, wie die Autoren ausführten, noch diverse weitere Subventionierungen mangels Daten nicht eingerechnet, wozu beispielsweise die steuerliche Absetzbarkeit von Spenden an die Kirchen-  und Konfessionsgemeinschaften oder die Begünstigungen bei der ehrenamtlichen Arbeit gehören.

Klar war jedenfalls schon vorher, dass die US-Kirchen seit langem Multimilliarden-Konzerne sind. Auch deshalb, weil ein Staatskirchenrecht mit relativ enger staatlicher Anbindung von konfessionellen Gruppen in einem amtskirchlichen System in den Vereinigten Staaten traditionell nicht vorhanden war. In den USA sind die Kirchen daher viel stärker als freie Unternehmen in einem freien Markt der Weltanschauungen gewachsen, als etwa in europäischen Ländern wie Deutschland, Großbritannien oder den skandinavischen Staaten.

Doch auch in den USA ist es den Konfessionsgemeinschaften offenbar gelungen, trotz einer in der Verfassung prinzipiell deutlich festgeschriebenen Trennung von Staat und Religion, eine für die große Menge konfessioneller US-Organisationen nützliche Vielzahl von Vorteilen gesetzlich zu verankern.

Wie die Autoren ausführen, erhielten nach Angaben von Giving USA die US-Kirchen im Jahr 2009 insgesamt mehr 100 Milliarden US-Dollar an Spenden. Die Stiftung Giving USA sieht ihre Aufgabe darin, gemeinnützige und karitativ tätige Organisationen durch Forschung und Beratung zu unterstützen und veröffentlicht jährliche Berichte über Philanthropie in den Vereinigten Staaten.

Wie die Autoren des Berichts in der Zeitschrift Free Inquiry nun aufgezeigt haben, sind diese mehr als 100 Milliarden US-Dollar nur ein Teil des Budgets, mit dem die US-Konfessionsgemeinschaften arbeiten können.

Denn gleichzeitig können sie weitere erhebliche Beträge auf der Habenseite verzeichnen, durch Vorteile im Steuersystem und ihrer Qualifikation als Wohlfahrtsverbände und gemeinnützige Vereine.

Diese Subventionierungen durch Begünstigungen seitens des Staates beliefen sich im gleichen Jahr auf 2,2 Milliarden US-Dollar Zuschüsse im Rahmen der unter George W. Bush eingeführten Förderung von sogenannten glaubensbasierten („faith-based“) Initiativen seitens der US-Regierung und auf gesetzliche Begünstigungen bei der Grund- bzw. Immobiliensteuer auf eine Summe von insgesamt 26,2 Milliarden US-Dollar. Vorteile bei der Kapitalertragssteuerpflicht summieren sich auf rund 41 Milliarden, die Pfarrhauszulage für Angehörige des Klerus auf weitere 1,2 Milliarden. Alle erfassbaren Subventionierungen zusammengenommen, kommen die US-Kirchen laut der Berechnung von Ryan T. Gragun somit auf zusätzliche Vorteile von insgesamt mindestens 71 Milliarden US-Dollar pro Jahr.

Doch nicht nur steuerliche Vorteile in Höhe von mutmaßlich mehreren Dutzend Milliarden US-Dollar pro Jahr hat der Bericht aufgedeckt. Zugleich stellen die Autoren die Frage, ob alle der insgesamt 271 erfassten Konfessionsgemeinschaften tatsächlich als gemeinnützige Organisationen nach dem US-Steuerrecht behandelt werden dürften.

Denn wie weitere Untersuchungen ergaben, fließen offenbar große Anteile der direkt und indirekt erlangten Milliardenbeträge nicht in Projekte, die tatsächlich unter Begriffe wie Wohltätigkeit, Nächstenliebe und Caritas fallen können. In einer Gegenüberstellung mit anderen Organisationen, die sich in der Wohlfahrtsarbeit betätigen, zeigten die Autoren, dass sich beim Blick auf die wirkliche Gebefreudigkeit mancher Kirchen erhebliche Zweifel auftun sollten.

Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, auch als Mormonen bekannt und Konfessionsgemeinschaft des möglicherweise im US-Präsidentschaftswahlkampf 2012 gegen den amtierenden US-Präsidenten Barack Obama antretenden Kandidaten der Republikaner, Mitt Romney, wirbt in dieser Hinsicht beispielsweise damit, eine Milliarde US-Dollar zwischen 1985 und 2008 für wohltätige Zwecke gespendet zu haben.

Aufgeteilt auf die 23 Jahre ergibt sich hier, dass die Kirche pro Jahr nur rund 0,7 Prozent ihrer Einnahmen dafür ausgegeben hat, stellten die Autoren der Untersuchung fest. Aber nicht jede Kirche ist derart erschreckend geizig.

Die United Methodist Church (UMC) gab für Projekt der Wohlfahrt hingegen 62 Millionen US-Dollar im 2010, was immerhin etwa 29 Prozent ihrer jährlichen Einnahmen ausmachte.

Die Untersuchung der 271 US-amerikanischen Konfessionsgemeinschaften zeigte schließlich, dass durchschnittlich mit 71 Prozent der ganz überwiegende Teil der Einnahmen für die Gehälter der Pastoren verwendet werden, während dementsprechend die verbleibenden Mittel, also durchschnittlich 29 Prozent, in Wohlfahrtsprojekte für Bedürftige und Arme fließen.

Obwohl die Quoten teilweise höher ausfallen als beim karitativen Engagement  gewöhnlicher kommerzieller Unternehmen, liegen sie laut den Autoren der US-Studie nicht deutlich darüber und fallen in absoluten Zahlen sogar wesentlich niedriger aus.

Der Einzelhandelskonzern Wal-Mart etwa spende jährlich etwa 1,75 Milliarden US-Dollar für Projekte zur Bekämpfung des Hungers, was dem 28-fachen des Betrags der UMC und annähernd dem Doppelten dessen entspricht, was die Kirche der Mormonen während der vergangenen 25 Jahre abgegeben habe.

„Wir erkennen, dass es große Unterschiede dabei gibt, wie sehr sich Religionen in der Wohlfahrtsarbeit betätigen und wir wollen sie nicht davon abhalten, das zu tun“, heißt es in der Untersuchung dazu.

Trotzdem seien die Zahlen informativ, da das US-amerikanische Rote Kreuz beispielsweise seine Einnahmen zu 92,1 Prozent den materiellen Bedürfnissen der Armen zukommen lasse.

Skeptischer äußerten sich die Autoren hingegen über die sogenannten spirituellen Bedürfnisse. Da die Religionen einen erheblichen Teil der Ausgaben auf die Befriedigung sogenannter spiritueller Bedürfnisse, einschließlich der Abhaltung von Gottesdiensten, pastoraler Beratungen, Taufen, Sakramenten und dergleichen verwende, müsse gefragt werden, ob diese als so gemeinnützig angesehen werden können, dass es gerechtfertigt sei, die Religionsgemeinschaften auch stets als Wohlfahrtsverbände und gemeinnützig nach dem US-Steuerrecht zu qualifizieren.

Denn Wohltätigkeit bedeute, etwas zu geben und nicht, etwas auszutauschen. Bei der Erbringung von Leistungen wie Geld, Kleidung, Arbeit und Baumaterialien zur Befriedigung der physischen Bedürfnisse der Armen sei das der Fall. Hier gebe es keinen Austausch von Dienstleistungen oder Gütern.

Wenn ein Pastor hingegen predigt oder Priester die Taufe ausführen, dann entspringe das wiederum ihrer Verpflichtung aufgrund ihrer mit einem Entgelt verknüpften Beschäftigung. Darin könne nicht mehr Wohltätigkeit gesehen werden als bei Lehrkräften, die eine Klasse unterrichten oder einem Sozialarbeiter, der Familien hilft. Wenn Menschen dafür bezahlt werden, zu helfen, dann entspricht dies nach der Auffassung der Autoren nicht dem, was für gewöhnlich unter den Begriffen wie Wohltätigkeit, Barmherzigkeit, Nächstenliebe oder „Caritas“ verstanden werden kann.

Da sich eine wachsende Zahl von US-Bürgerinnen und -Bürgern von der Religion abwende und der „Nutzen“ der Religion für die Gesellschaft zunehmend irrelevant werde, seien diese Subventionierungen im gleicherweise zunehmenden Maße unfair gegenüber dem nichtreligiösen Teil der Bevölkerung, der sich in einigen Staaten auf bis zu 40 Prozent belaufe. Man solle sich deshalb fragen, ob diese für die Befriedigung „spiritueller Bedürfnisse“ nach kirchlicher Vorstellung und anderen religiösen Aktivitäten zur Erholung und Unterhaltung, wie bisher aufkommen sollen.

Arik Platzek