Notizen aus Wien

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ORF-Funkhaus / Foto: nozoomii

WIEN. (hpd) Auch ein Qualitätsradio wie Ö1 kann danebenhauen. In der Call-In-Sendung „Nachtquartier“ verbreitete eine christliche Fundamentalistin weitgehend ungehindert krude Thesen und Definitionen, u.a. über die angebliche Diskriminierung von Christen.

Ein Kommentar von Christoph Baumgarten.

Gudrun Kugler-Lang betreibt eine katholische Partnervermittlungsagentur im Netz. Das ist eine schräge Sache und könnte eine Call-In-Sendung im Radio unterhaltsam machen. Offenbar haben sehr vatikanhörige Katholiken Probleme, Partner oder Partnerinnen zu finden. Für herkömmliche Partnervermittlungsseiten sind sie offenbar ungeeignet. Diese Leute sind eine ausgesprochene Minderheit, aber warum sollten ihre alltägliche Sorgen nicht mal einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden? Sozialporno ist in. Das ATV-Sendeformat „Bauer sucht Frau“ widmet sich einer ähnlich kleinen Gruppe und hat regelmäßig hohe Einschaltquoten. Interessant wäre herauszufinden, wie sehr sich die zwei Zielgruppen überschneiden, aber das ist ein anderes Thema.

Dass die Betreiberin der Seite alles in rosa Watte packt, ist zu erwarten. Sie will ihre Plattform promoten. Da kann und darf ein Moderator nachfragen. Hat er in dem Fall aber nicht ausreichend getan. Er hat sich von der Freundlichkeit Gudrun Kugler-Langs einlullen lassen. Vielleicht hat er auch nicht zugehört. Vielleicht hat er gedacht, man soll die Frau reden lassen. Das ist unterhaltsam genug. Sehr sicher hat die Redaktion nicht recherchiert. Sonst hätte der Moderator gewusst, dass Gudrun Kugler-Lang eine Frau mit zwei Gesichtern ist. Da ist die nette Betreiberin einer Partnerschaftsplattform für eine gesellschaftliche Minderheit. Und da ist die vehemente Abtreibungsgegnerin und Propagandistin der Vatikan-Politik, Christen als verfolgte oder wenigstens diskriminierte Minderheit darzustellen. Dass es so jemand mit der Wahrheit nicht immer allzu genau nimmt, ist vorherzusehen. Da muss man genau hinhören. Und ein Sender sollte es nicht kritischen Zuhörern überlassen, ihre kruden Gedankengänge einzubremsen, wenn sie auf ihre eigentliche Agenda zu sprechen kommt.

Kugler-Lang behauptet, sie habe 700 Fälle von diskriminierten Christen in Europa dokumentiert. Über welchen Zeitraum sagt sie – wohlweislich? – nicht. Und was sie als Diskriminierung wertet, ist mit Verlaub bei freundlichster Betrachtung unbegründetes Selbstmitleid. Bei realistischer Einschätzung ist es Täter-Opfer-Umkehr übelster Sorte. In jedem Fall Propaganda und Faktenverdrehung vom Feinsten. Kugler-Lang führt als Beispiel an, dass katholische Fundis auf ihrer Demo gegen die Regenbogenparade ihrerseits eine Gegendemo zu gewärtigen hatten. Sie spricht von bis zu 60 Aktivisten und davon, dass es zwei Spezialeinheiten der Polizei gebraucht habe, um sie zu beschützen. Erstens waren es bestenfalls 20 Aktivisten, wie die Fotos von gottlos.at zeigen. Zweitens waren die Polizisten keine Angehörigen einer Spezialeinheit. Es war ein Dutzend normaler Polizisten, wie sie auf praktisch jeder Demonstration zu finden sind, bei der es möglicherweise eine Gegendemo geben könnte. Nichts besonderes, sollte man meinen.

Folgt man Kugler-Langs Logik, haben die Rabiat-Katholiken auf der Demo gegen die Regenbogenparade nur ihren Glauben zur Schau gestellt. Dass sie auf ihren Slogans fordern, die eingetragene Partnerschaft in Österreich abzuschaffen, sagt sie nicht. Dass sie Homosexuelle als Sünder verunglimpfen, sagt sie auch nicht. Auch der Slogan „Der Leib ist ein Geschenk Gottes. Bewahren wir seine Würde“ bleibt in der Sendung unerwähnt. Man kann sagen: Die Fundis haben nichts unversucht gelassen, um Homosexuelle zu beleidigen und zu fordern, dass sie diskriminiert werden. Um möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen, haben sie das auf der Regenbogenparade gemacht. Dass ein paar Beschimpfte mal zurückschimpfen, ist ihr gutes Recht. Das als Diskriminierung von Christen zu bezeichnen ist eine gehörige Portion Frechheit. Oder Fanatismus. Vielleicht ist es auch Selbstmitleid, dass man nicht mehr die Macht hat, Regenbogenparaden zu verbieten wie in Moskau.

Mit Kugler-Langs Logik könnte man auch sagen, die Nazis, die seinerzeit gegen die Wehrmachtsausstellung demonstriert haben, sind von den Gegendemonstranten diskriminiert worden. Die Nazis sind bis heute dieser Meinung.

Als Beispiel „indirekter Diskriminierung“ nennt sie, dass englischsprachige Eltern aus katholisch-fundamentalistischen Kreisen in Österreich ihre Kinder nicht zuhause unterrichten dürfen. Der Heimunterricht müsse auf Deutsch erfolgen, sagt sie. Das schließe diese Eltern von ihrem Recht aus. Inwiefern sich das mit der Rechtslage deckt, weiß ich offen gestanden nicht. Bezeichnend ist, dass es in dem Fall nicht mal Kugler-Schwarz schafft, die Fakten so zu verbiegen, dass daraus offene Diskriminierung entstehen würde. Aber das sehr großzügige Recht auf Heimunterricht in Österreich sollte generell eingeschränkt werden. Es sind fast ausschließlich religiöse und/oder esoterische Fundis, die dieses Recht wahrnehmen, nebst sozial sehr auffälligen Charakteren. Wenn hier jemand diskriminiert wird, sind es die Kinder. Denen wird die Möglichkeit genommen, sich normal unter Gleichaltrigen zu entwickeln.

Und dann schwafelt sie davon, dass schon UNO und OSCE in Europa das Problem der „Christianophobie“ erkennen und davor warnen würden. Das soll ihre Faktenverdrehung mit der Autorität der beiden Organisationen untermauern. Wer etwas recherchiert, merkt sehr schnell, dass das eine Vatikan-Kampagne ist. Die Mär von der Christenverfolgung („Experten: ‚Christenverfolgung‘ ist ein Mythos“ und „Die Mär vom alten Rom“) soll aufrecht erhalten werden. Die UNO hat lediglich vor einigen Jahren in einem sehr allgemeinen Dokument neben Islamophobie und Antisemitismus das Wort Christianophobie verwendet, offenbar um religiöse Verfolgungen zu benennen. Das passierte auf massiven Druck des Vatikans. Europa wird in dem Passus nicht erwähnt. Sonderlich bedeutsam scheint es nicht gewesen zu sein. Die einzigen, die ständig davon reden, sind christlich-fundamentalistische Seiten im Netz. Davon, dass UNO und OSCE feststellen würden, dass Christen in Europa immer mehr diskriminiert würden, kann keine Rede sein. Das hat Kugler-Lang erfunden. Oder sie wiederholt ungeprüft Propaganda von anderswo. Leider ist das dem Moderator nicht aufgefallen.

Dafür drei Hörern, die sich gegen Ende der Sendung meldeten. Sie machten ihrem Ärger über die kruden Thesen des Gasts Luft. Einer beschwerte sich auch, dass er als Konfessionsfreier die Kirche mitfinanzieren müsse. Drei kritische Hörer bei einer Sendung gegen Mitternacht – das ist viel für Österreich.

Es gibt offenbar kritische Radiohörer, wenn Moderator und Redaktion versagen. Auch wenn Fundis immer noch eine öffentliche Plattform geboten wird, ist diese kritische Öffentlichkeit ein beruhigendes Zeichen.