So viel Unsinn auf einmal liest man selten

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Wien, Katholisch-Theologische Fakultät / Foto: daselbst

WIEN. (hpd) Der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Wien hat sich bei der Beschneidungsdebatte einen verbalen Ausrutscher geleistet, der ihn für akademische Ämter disqualifiziert.

Die Diskussion, ob kleine Buben beschnitten werden dürfen, wird emotional diskutiert. Man darf nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen und sollte, sofern noch möglich, vermeiden, die Emotionalität weiter hochzuschaukeln. Das darf aber kein Freibrief für jede dumme Äußerung sein. Martin Jäggle, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien, hat in der Zeitschrift „Furche“ mehrere solcher Äußerungen getätigt. Ein Zitat aus einer Meldung der katholischen Agentur „Kathpress“:

„So sei es zwar richtig, über die Frage des Kindeswohls zu diskutieren, dies jedoch ausgerechnet an der Frage der Beschneidung aufzuhängen, gehe "an den Realitäten, durch die das Kindeswohl in unserer Gesellschaft malträtiert wird, völlig vorbei", betonte Jäggle in der Wochenzeitung "Die Furche" (Donnerstag). Die Debatte sei für ihn vielmehr "ein Signal für eine zunehmende gesellschaftliche Unfähigkeit im Umgang mit der Religion".

Man müsse daher die Frage nach den eigentlichen Interessen der Beschneidungsgegner stellen, denn: "Glaubt jemand, dass für die Mehrheit der Beschneidungsgegner die leibliche Unversehrtheit des Kindes absolute Priorität hat - in einem Land, in dem ein Politiker öffentlich für Ohrfeigen eintreten kann, ohne zurücktreten zu müssen?" Eine öffentliche Debatte sei insgesamt wünschenswert, so Jäggle, aber diese müsste auch religiöse Argumente gelten lassen. (…)

Von den Diskurs-Teilnehmern fordert Jäggle einen deutlichen Blick auf die Realitäten ein: "Objektiv ist die Beschneidung wirklich etwas Marginales, was körperliche Unversehrtheit betrifft - beispielsweise im Vergleich mit Impfrisiken" und "kein schädigender Vorgang", so Jäggle.“

So viel Unsinn auf einmal liest man selten. Die Selbstverständlichkeit, mit der Martin Jäggle ihn vorträgt, lässt einen ernsthaft zumindest an seiner Fähigkeit zur Selbstreflexion zweifeln. Das ist höflich ausgedrückt. Jäggle hat seine Position ausschließlich dem Heiligen Stuhl zu verdanken – der Spitze jener römisch-katholischen Kirche, die dafür verantwortlich ist, dass unzählige Kinder in praktisch allen Ländern, in denen diese Kirche vertreten ist, geschlagen, gedemütigt und geschändet wurden. Und die die Verantwortlichen über Jahrzehnte vor Polizei und Justiz geschützt hat. Wenn sich ein Vertreter dieser Einrichtung, und Jäggle ist das und nichts anderes, Sorgen um das Kindeswohl macht, ist das gelinde gesagt, eine Provokation der Sonderklasse.

Das wird nicht dadurch besser, dass er als Beispiel für die mangelnde Sorge um das Kindeswohl einen Provinzpolitiker anführt, der mittlerweile wegen einiger anderer Causae zurückgetreten ist/wurde. Nicht mal die eigene Hierarchie traut er sich in der Frage anzusprechen, die bis heute mauert, und Opfer ihrer eigenen Machenschaften mit Anzeigen bedroht, wenn sie den Mund aufmachen. Ob das damit zu tun hat, dass ihn der Heilige Stuhl jederzeit bei Missliebigkeit aus seiner Funktion abberufen kann?

Auch vergisst er, dass in den „heiligen Büchern“ der Einrichtung, die er vertritt, Sätze stehen wie: „Wen der Herr liebt, den züchtigt er.“ Das ist nicht nur ein moralisches Versagen, es ist auch ein theologisches. Dazu kommt ein unerträgliches Ausmaß an Feigheit, das allein ihn untragbar macht als Dekan einer Fakultät an einer Universität der Republik Österreich.

Nur, Jäggle kann dem eins draufsetzen. Ein Blick auf die Realität bedeutet, anzuerkennen, dass es keinen medizinischen Grund gibt, Neugeborene oder Kleinkinder zu beschneiden. Die immer wieder vorgebrachten hygienischen Argumente treffen, wenn überhaupt, nur auf Erwachsene zu. Ein Blick auf die Realität bedeutet auch, dass es immer wieder zu Komplikationen kommt – die in seltenen, aber leider vorhandenen, Fällen dazu führen können, dass das Kind stirbt. Verlässliche Zahlen gibt es nicht.

Man mag der Meinung sein, dass religiöse Traditionen dieses Risiko rechtfertigen (der Autor dieser Zeilen ist es nicht). Man mag auch der Meinung sein, der Eingriff hinterlasse langfristig keine oder kaum negative Auswirkungen. Man mag auch der Meinung sein, die eventuellen negativen Auswirkungen würden dadurch wettgemacht, dass ein Kind in ein stabiles soziales Gefüge eingeführt wird. Diese Meinung zu haben und zu vertreten ist ein Grundrecht eines demokratischen Rechtsstaates. Dieses Recht hat auch ein Martin Jäggle. Dass er es ausübt, darf man ihm nicht zum Vorwurf machen. Weder rechtlich noch intellektuell.

Woraus man Jäggle einen intellektuellen Vorwurf machen kann, ist der Vergleich mit den Impfrisiken. Impfungen an Kleinkindern sind medizinisch notwendig. Beschneidungen sind es nicht. Damit erübrigt es sich, Risiken gegeneinander abzuwägen. So einfach ist es. Wie viele Millionen Leben haben Impfungen gerettet? Haben Impfungen nicht die Pocken ausgerottet? Ist nicht Polio in unseren Breiten ebenfalls de facto eine ausgestorbene Krankheit, vor der sich Kinder nicht mehr fürchten müssen? Die Masern sind es leider nicht – dank medizinischer Laien wie Jäggle, die Impfrisiken hochstilisieren, die es so nicht gibt. Dass eine Masernimpfung Autismus auslösen kann, ist mittlerweile ausreichend widerlegt. Impfstoffe für Kinder gehören zu den sichersten pharmazeutischen Produkten überhaupt. Wer das ignoriert, und sei es mangels Wissens, legt sich mit den Impfgegnern ins Bett, die das Leben ihrer Kinder und vieler anderer gefährden, die zu jung sind um geimpft zu werden oder aus sonstigen Gründen nicht geimpft werden können. Diese Art von Polemik ist nicht nur ignorant. Sie ist gefährlich. Außerdem: Einstichstellen von Impfnadeln wachsen wieder zu. Eine Vorhaut wächst nicht wieder nach.

Dass das von einem Ahnungslosen kommt, macht die Sache höchstens schlimmer. Es ist klar, dass Jäggle als Theologe keine Ahnung von Wissenschaft im engeren Sinn hat. Das kann und darf aber nicht jeden Unsinn entschuldigen, den ein Theologe von sich gibt. In diesen paar Zeilen Jäggles steckt mehr Unsinn, als einem Menschen von durchschnittlichem Verstand zumutbar scheint. Das verursacht direkt körperliche Schmerzen.

In einer demokratischen Gesellschaft hat jeder Mensch das Recht, dumm zu sein. Intellektuell gesehen hat Jäggle dieses Recht mit seinen Äußerungen überstrapaziert, selbst für einen Theologen. Er sollte die Konsequenzen ziehen.

Herr Dekan, treten Sie ab.

Max Bitter