Eindrucksvolle Nachahmer unter Wasser

zwergkraken-paarung.jpg

Zwergkrakenpaarung / Alle Fotos © Archiv IKAN

OZEANE. (hpd) Tintenfische stellen eine ideale Mahlzeit dar: Sie bestehen fast nur aus Fleisch, tragen keine Stacheln oder andere verletzende Waffen und die wenigsten sind giftig. Somit ist es in ihrem Interesse, sich jederzeit vor Räubern gut verstecken zu können. Deshalb wurden viele dieser Cephalopoden (Kopffüßer) zu Meistern von Tarnung und Mimikry. Andere nutzen dramatische Farbwechsel, um auf ihre tödliche Natur hinzuweisen.

Die besten Tarnkünstler unter den Kalmaren, Sepien und Kraken sind die Bewohner der flachen Küstengewässer. Was diese Tiere alles drauf haben, um Farbe und Gestalt zu wechseln, ist einfach unglaublich. Sie sind in der Lage, sich jeder Form von Hintergrund wie Korallen, Felsen, Meeresalgen, Geröll und Sand perfekt anzupassen. Ihre Verkleidung ist oft mit passenden Verfärbungen kombiniert und sie können sogar Hautanhänge entwickeln, um zum Beispiel Seetang zu imitieren.

Diese Farbmuster zeigen oft große Flecken von schwarz und weiß, die für den Jäger die eigentliche Gestalt des Opfers auflösen sollen. Es gibt noch Tintenfische, die ihre Verkleidung eine Stufe weitertreiben als nur den Hintergrund zu imitieren. Sie stellen dann ganz andere Objekte dar, seien es Pflanzen oder Tiere. Erwischt man sie im ungeschützten Raum, erstarren manche Kraken plötzlich zu Felsen. Einige Kalmare ahmen Stücke von treibendem Seetang im freien Wasser nach, während Oktopusse mit aufgeringelten Armen über dem Kopf mit der Strömung wie ein Stück Tang über den Meeresboden driften.

Die ersten Fotos von Thaumoctopus mimicus aus dem Roten Meer vor Nuweiba/Sinai

Erstaunliche Entdeckung

In den 1990er-Jahren gelang Sporttauchern die Entdeckung eines sehr langarmigen Kraken in Indonesien, der als erster bekannter Cephalopode offensichtlich giftige Tiere imitiert. Der Mimikry-Krake lebt im flachen Küstenwasser auf Sand und Geröll, aus dem er tagsüber zum Umherstöbern herauskommt. Wenn er sich verfolgt fühlt, droht er mit einigen Verhaltensmustern, die deutlich andere Tiere darstellen. So ahmt er Plattfische, Feuerfische und gebänderte Seekobras nach. Es wurde weiter beobachtet, dass dieser Oktopus sogar Schlangenaale, Stechrochen, einzelne Anemonen und auch Palmblätter imitierte. Diese Subjekte sind entweder giftig, gefährlich oder von geringem Fresswert. Er zeigt aber nicht nur die Körpermuster dieser Meeresbewohner, sondern bewegt sich in dieser Verkleidung auch noch mit passenden Körperhaltungen wie jene. Im Falle der Seekobra-Mimikry hebt und unduliert er seine Arme, um der Schlangenbewegung gleich zu sein. Wenn er eine Flunder nachahmt, huscht er wie diese über den Boden und macht deren wellenförmige seitliche Flossenbewegung perfekt nach!

Nachahmer-Krake: (oben) Flunder Mimikry, (unten) Seeschlangen Mimikry

Der Populärname des Mimikry-Kraken stammt also von der Fähigkeit dieser Tintenschnecke (um einmal seine "unfischige" evolutionäre Herkunft im Stamm der Weichtiere/Mollusca zu betonen), die Form und das Verhalten anderer Tiere im gleichen Lebensraum nachzuahmen, insbesondere giftiger Tiere. Die Cephalopoden-Experten, die ihn 2005 wissenschaftlich beschrieben, festigten diese unglaublichen Fähigkeiten für ein wirbelloses Tier und nannten ihn Thaumoctopus mimicus (thauma = griech. für wunderbar). Sein Körper wird bis zu 6 cm lang und die Arme erreichen maximal 30 cm Länge. Inzwischen hat man den tagaktiven Mimikry-Kraken auch von den Philippinen bis Neu-Kaledonien beobachtet, wie er Krebstiere und kleine Fische erbeutet, die in Sand oder Schlamm eingraben leben. Er jagt, indem er mit seinen langen Armen Grabbauten sondiert oder selbst in Löcher kriecht. Manchmal "schwimmt" er durch den Sand oder Seegras, um abseits des Höhleneingangs wieder hervorzukommen. Er bleibt nachts im Boden versteckt und nutzt Löcher und Bodenverstecke anderer Meerestiere als temporäre Wohnbauten.

Verbreitung des Mimikry-Kraken

Zur BOOT-Messe Düsseldorf 2010 wandere ich durch die Gänge der Taucherhalle. Verwundert blicke ich am Stand von Scuba-College/Sinai auf ein Video, das einen Mimikry-Kraken mit seinen Aktivitäten zeigt. Ich frage die Inhaberin, warum zur Werbung ihrer Rotmeerbasis ein seltenes Tier aus Südostasien herhalten müsse. Verblüfft registriere ich ihre Antwort, der Krake lebe in 6-7 m Tiefe vor ihrer Tauchbasis in Nuweiba. Sie zeigt mir dazu noch mehrere Bilder eines fotografierenden Kunden ihrer Basis, der das Tier ein paar Wochen zuvor dort entdeckte. Für mich ein wichtiges Dokument für ein Vorkommen im Roten Meer.

Das macht mich neugierig: Ich weiß von seiner Verbreitung im Westpazifik, finde aber keinen Nachweis von Thaumoctopus mimicus aus dem weiten Indischen Ozean dazwischen. Folglich kontaktiere ich den Cephalopoden-Experten Mark Norman in Australien, der mir bestätigt, ein Vorkommen mit solch großen Verbreitungslücken sei selten aber möglich. Er schließe aus, dass der Mimikry-Krake von Nuweiba am Sinai eine Verbreitung durch Ballastwasser von Schiffen sei. Die Weibchen bewachen nämlich die Brut in tiefen Verstecken, bis die Jungen aus den Eiern schlüpfen und eng bodengebunden aufwachsen. Norman sagt voraus, bei der nun wachsenden Zahl digitaler Unterwasserfotografen werde der sehr seltene Mimikry-Krake irgendwann auch im Indik, z.B. bei den Malediven, oder an anderer Stelle im Roten Meer weiter südlich als am Sinai nachgewiesen werden.

Welch großartiges Beispiel für Spezialisierung eines Kraken in seiner evolutionären Entwicklung! Ich gratuliere dem Rotmeer-Fotografen und, begeistert von seiner Entdeckung, gebe ich seinen Nuweiba-Fotos des Mimikry-Kraken Platz in der letzten Edition 2011 meines Buches RIFF-FÜHRER ROTES MEER. Im August 2012 erhalte ich nun neue, eindeutige Fotos von Thaumoctopus mimicus, aufgenommen bei Marsa Alam, weit im Süden Ägyptens gelegen. Es macht Freude, neue Erkenntnisse zur Verbreitung dieses fantastischen Nachahmers zu gewinnen.

Helmut Debelius

 

(Oben) Zwergkrakenweibchen mit Eiern, (unten) Zwergkrakenpaarung