Nein zum geplanten Beschneidungsgesetz

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Dr. Winfried Hassemer / Foto: hammpartner.de

BERLIN. (hpd) „Der 1. Kleinen Kölner Strafkammer sei Dank.“ Mit diesem Einleitungssatz beginnt ein eindrucksvolles Plädoyer des vormaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Dr. Winfried Hassemer, zur Beschneidungsdebatte, mit dem er das für den Herbst dieses Jahres geplante Beschneidungsgesetz kritisiert.

In einem Artikel in der soeben erschienenen Ausgabe der Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) vom 30.08.2012 trägt Hassemer eine Reihe von Bedenken nicht nur gegen die Schnelligkeit des Vorgehens auf Ebene des Bundestages, sondern auch gegen den möglichen Inhalt des zu erwartenden Gesetzentwurfes vor. Er spricht sich für eine sorgfältige Prüfung aller Gesichtspunkte aus und plädiert eindringlich dafür, die „innen- und religionspolitischen Grundfragen, die sich jetzt stellen, (nicht) unter Wert zu behandeln.“ Er sagt ausdrücklich Nein zu dem geplanten Gesetz.

Zum bisherigen Verfahren im Bundestag, zu der übergroßen Eile und der großen Mehrheit von Bundestagsabgeordneten, mit der der Bundestagsbeschluss vom 19.07.2012 zu Stande kam und in dem ohne Abwägung von Argumenten gefordert wird, „die Beschneidung aus religiösen Gründen per Gesetz generell zu erlauben“, äußert sich Hassemer zutreffend wie folgt:

„Schnelligkeit und Mehrheit hatten vermutlich einen einfachen Grund: wer eine solche Regelung mit diesen Argumenten fordert, will selber nicht wissen, was er regeln will; er bläst die Backen auf und drückt sich dann. Er tritt dabei im Mantel des Gesetzgebers auf und weist einen scheinbar breiten Ausweg aus einer Situation, die viele, die darüber nachdenken, für kompliziert, gar für verfahren halten. Er zeigt sich kundig in der Beschreibung des Problems und in den Grundzügen seiner Lösung: Vier Rechtsgüter müssen beachtet werden, und am Ende darf die lege artis durchgeführte Beschneidung eines Jungen nicht strafbar sein; dies ist die simple Botschaft. Diese aber wäre nur dann eine hilfreiche Aufforderung gegenüber dem Kabinett, wenn sie nichts weiter zum Ausdruck brächte als: vergesst die Kleine Strafkammer und macht weiter wie bisher, Konstruktion und Gründe sind egal. Und so mögen viele derer, die so schnell und so zahlreich zugestimmt haben, auch gedacht haben: wir haben derzeit genug Probleme - nicht auch das noch."

In der Tat zeigt sich in der - in den letzten Wochen vertieft mit sachkundigen Argumenten geführte - Debatte, dass diejenigen, die eine schnelle Regelung zu Gunsten weiterer religiös motivierter Beschneidungen wünschen, das Thema offenbar inhaltlich überhaupt nicht durchdrungen und die konkreteren Probleme einer gesetzlichen Regelung bislang jedenfalls nicht verstanden haben.

Hassemer hält den Beschneidungsbefürwortern ihre eigene Argumentation vor und verweist darauf, dass das Kölner Urteil nicht nur (wie es manche verstehen) als Last, sondern gleichzeitig auch als Chance zu verstehen sei, weil es zu zum Nachdenken über Probleme Anlass gibt, „…die uns die Praxis faktisch geduldeter Beschneidungen bisher verdeckt hat.“

Er diskutiert in seinem Beitrag eine Reihe der gängigen Behauptungen, die von Beschneidungsbefürwortern aufgestellt werden, und verwirft diese Behauptungen.

So erwidert er denjenigen, die dem Kölner Landgericht vorwerfen, dessen Urteil habe „so nebenbei“ gewissermaßen „eine mehrtausendjährige Tradition verpönt“, dass hierbei übersehen werde „dass nicht das schiere Alter, sondern der Zeitpunkt, die Inhalte und die Intensität der letzten rationalen Prüfung eine normative Tradition adeln ..“; er plädiert somit für eine rationale Prüfung unter Berücksichtigung der Wertordnung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und der heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, dessen Ergebnis nicht das schlichte Festhalten an überkommenen Ritualen sein kann.

Bezüglich der Bezugnahme der Beschneidungsbefürworter auf eine lange Tradition weist Hassemer ausdrücklich darauf hin, dass die Strafbarkeit des lange Zeit geduldeten religiösen Beschneidungsbrauchs schon vor dem Kölner Richterspruch bestanden hat, und dass auch das Verbot der Körperverletzung ehrwürdig sei und sich nicht eigens legitimieren müsse, da es für ein an den Grundrechten orientiertes Strafrecht konstitutiv sei. Deutlich hebt er zum Einwand der Tradition hervor: „Aus dem puren Sein lässt sich ein Sollen nicht ableiten. Viele kluge und gottesfürchtige Menschen haben Sklaverei, Prügelstrafe und die Unterdrückung von Frauen als einen Bestandteil ihrer normativen Welt akzeptiert, und man mag sich nicht ausdenken, wie die Versuchung des Abraham, seinen Sohn Isaak zu opfern (1. Mose, 22) ohne vielfältige und nachhaltige Schäden in unser Strafrecht überführt werden könnte.“

Hassemer fordert eine sorgfältige Prüfung der Beschneidungsproblematik, dabei einerseits betonend, dass das Grundgesetz die Religionsausübung garantiere und der Staat dem Glauben einen gesicherten Ort freihalte, andererseits jedoch darauf verweisend - gegen die Befürworter der Beschneidung - dass Kern des Rechtsdenkens in der Bundesrepublik Deutschland die Menschenwürde sei, an der sich gesetzliche Regelungen messen lassen müssten: „Damit verträgt sich nicht ein Räsonnement, das den nicht korrigierbaren Eingriff in den Körper eines unverständigen Kindes schlicht als kulturelles Gebot herunterspielt.“ Zu dieser von ihm geforderten sorgfältigen Prüfung gehört auch „ ... ob prozedurale Vorkehrungen (wie ein Abwarten bis zum Eintritt der Einsichts- und Zustimmungsfähigkeit des Betroffenen oder wie personelle und technische Vorkehrungen der Schmerz- und Gefahrenminderung oder Strafantragsbefugnisse) die rechtliche Entscheidung abfedern können“

Hassemer hat zutreffender Weise eine Regelung des Grundgesetzes in den Vordergrund gestellt, welche zu achten und zu schützen (vornehmste) Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist: die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, (jeglichen Menschens - auch desjenigen, der selbst noch keine Entscheidungen treffen kann) in Art. 1 des Grundgesetzes.

Er richtet den Blick mit klaren verfassungsrechtlichen Erwägungen auf den Kern  des Problems und deutet bedenkenswerte Lösungen an.

Diese  vorzügliche Stellungnahme des vormaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts in der ZRP kommt genau zum richtigen Zeitpunkt und sollte sämtlichen Bundestagsabgeordneten vor einem Votum in dieser Angelegenheit zur Kenntnis gebracht werden.

RA Walter Otte

Die Zeitschrift für Rechtspolitik erscheint im Verlag C.H.Beck  München und Frankfurt a.M. http://www.zrp.beck.de

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