Neue Sicherheitsarchitektur Deutschlands?

(hpd) Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie und der Jurist Horst Meier legen eine Streitschrift mit der Forderung nach Auflösung dieser Sicherheitsbehörden vor. Sie enthält eine Fülle von schiefen Bewertungen und undifferenzierten Einseitigkeiten, stellt aber einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über die Sicherheitsarchitektur dar.

„Abschalten“ und „Auflösen“ forderten Printmedien von der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ bis zur „Süddeutschen Zeitung“ nach der Aufdeckung des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU): Das selbsternannte „Frühwarnsystem“ des Verfassungsschutzes habe dessen Serienmorde nicht erkannt und nicht verhindert. Somit sei eine solche Institution nutzlos und überflüssig.

Jetzt gibt es zu dieser Auffassung ein ganzes Buch, das der Politikwissenschaftler Claus Leggewie und der Jurist Horst Meier unter dem Titel „Nach dem Verfassungsschutz. Plädoyer für eine neue Sicherheitsarchitektur der Berliner Republik“ vorgelegt haben. Bereits zu Beginn markieren die beiden Autoren deutlich ihre Position: Wer den Verfassungsschutz behutsam aus der Konstruktion der Sicherheitsarchitektur herausnehme, „braucht nicht zu gewärtigen, das ganze Gebäude der inneren Sicherheit stürze ein. Im Gegenteil, die auf das Inland bezogene Sicherheitspolitik kann nur übersichtlicher und effizienter werden“ (S. 9).

Diese Einschätzung wollen die Autoren in den folgenden Kapiteln ihres Buches begründen: Zunächst zeichnen sie das Scheitern bei der Aufdeckung des NSU nach und problematisieren die aus deren Taten abgeleitete Forderung nach einem Vorgehen gegen die NPD. Denn: „Die neuerliche Verbotsdebatte hat kein Fundament in der Sache“ (S. 23). Danach geht es um die ganzen Skandale in der Geschichte der Verfassungsschutzbehörden insbesondere in der Kooperation mit V-Leuten. Hier lautet das Stichwort: „Mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften“ (S. 45). Der eigentliche Skandal ist für Leggewie/Meier aber die Normalität: „Verfassungsschutz als Vorfeldbeobachtung so genannter Extremisten, das ist ein Dauerexzess gegen politisch Andersdenkende“ (S. 125). Sofern sie nicht gewaltgeneigt seien, habe sich der Staat nicht um sie zu kümmern. Insofern plädieren die Autoren für die Auflösung der Verfassungsschutzbehörden: Im Sinne ihres Verständnisses von „Republikschutz“ (S. 141) solle sich die Polizei um gewalttätige Extremisten kümmern.

Die Autoren bemerken in der Einleitung, ihnen ginge es nicht um Rechthaberei und Schadenfreude. Dies schlösse aber Angriffslust und Schärfe nicht aus. So etwas geht bei einer politischen Streitschrift – denn so versteht sich das Buch wohl – auch in Ordnung. Gleichwohl enthält es eine Fülle von schiefen Bewertungen und undifferenzierten Einseitigkeiten: Entgegen der Auffassung von Leggewie/Meier ist es keineswegs so, dass der Verfassungsschutz alle von der Mitte irgendwie abweichenden Auffassungen beobachtet. Die Grünen und die Piratenpartei, die Schill- und die Statt-Partei fand und findet man nicht in den Berichten der Behörden. Es gibt mit den Merkmalen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch bekannte Kriterien, die gerichtsfest begründbar für eine solche Tätigkeit erfüllt sein müssen. Darüber hinaus ignorieren die Autoren: Während Fehler und Versagen der Verfassungsschutzbehörden öffentlich werden, müssen Erfolge und Siege eines Nachrichtendienstes gerade um seiner Arbeit willen verborgen bleiben.

Leggewie/Meier sprechen durchaus problematische Aspekte wie die Arbeit mit V-Leuten an: Es gibt Argumente dagegen wie eben die Kooperation mit Extremisten mit finanzieller Entlohnung für interne Informationen. Es gibt aber auch Argumente dafür wie eben das Wissen über interne Vorgänge in extremistischen Strukturen. Letztere können zur Abwehr und Verhinderung von Gewalttaten führen. Betrachtet man die Geschichte des Rechtsterrorismus vor dem NSU, so zeigt sich dabei, dass einschlägige Gruppen schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt zerschlagen werden konnten. Hier spielte mitunter eine V-Person im Umfeld der Akteure eine herausragende Rolle. Auch bezogen auf die Verhinderung islamistischer Anschläge in Deutschland kam der nachrichtendienstlichen Komponente der Vorfeldaufklärung durchaus eine Bedeutung zu. Man kann aus den von Leggewie/Meier genannten, aber auch noch ganz anderen Gründen darauf verzichten. Man muss mitunter dafür aber dann auch einen hohen Preis zahlen.

Diese Bewertung wird nicht durch den Hinweis auf die Unfähigkeit zur Aufdeckung des NSU relativiert. Bei dieser rechtsterroristischen Zelle handelte es sich hinsichtlich Gewaltintensität, Kommunikationsstrategien und Organisationsstruktur um ein bislang singuläres Phänomen. Die Fehler und Versäumnisse der Sicherheitsbehörden müssen differenziert aufgearbeitet werden: Bestanden sie im Agieren einzelner Beamter, in Defiziten auf Führungsebene, im Fehlen von Analysekompetenz, im Mangel an Kooperation oder im Versagen der Gesamtstruktur? Hier bedarf es eines differenzierten Blickes auf die Bedingungsfaktoren. Eine Reform der Verfassungsschutzarbeit, die auch unabhängig von den aktuellen Ereignissen nötig wäre, will gegenwärtig kaum ein Kommentator ausschließen. Die zwingende Forderung nach einer Auflösung der Behörden ergibt sich aus diesem Problembewusstsein aber nicht. Unabhängig davon, wie man zu den Auffassungen von Leggewie/Meier steht, legen sie mit ihrem Buch aber einen Beitrag zu einer wichtigen Diskussion vor.

Armin Pfahl-Traughber

 

Claus Leggewie/Horst Meier, Nach dem Verfassungsschutz. Plädoyer für eine neue Sicherheitsarchitektur der Berliner Republik, Berlin 2012 (Archiv der Jugendkulturen Verlag), 210 S., 12 €.