Der Wert eines letzten Willens

„Ich stehe der katholischen Kirche sehr nahe“

Auftritt der „Herr Bevau“. Er hat seine Akten und Notizen über den ganzen Tisch ausgebreitet. Richterin: „Noch Fragen?“ BV: „Allerdings“. Richterin: „Das habe ich befürchtet“. Der gegnerische Anwalt löchert die Klägerin mit Fragen. „Bei ihren Stakkato artigen Fragen komm ich nicht mit beim Schreiben“, bremst ihn die Richterin ein. Es dreht sich um Detailfragen. Wer den Lebenslauf des Toten geschrieben habe, der bei der Trauerfeier verlesen wurde. Was die Klägerin meine, wenn sie sage, der verlesene Lebenslauf sei „unkritisch“ gewesen. Irgendwann landet man beim Weihwasserkessel in der Aufbahrungshalle. Ob der zugedeckt gehört habe oder nicht. Die Richterin: „Das gehört zu unserem Kulturkreis. Ich lebe in Wien und war schon bei genug Begräbnissen, um das zu wissen.“

Plötzlich wird die Religiosität der Klägerin zum Thema. „Ich stehe der katholischen Kirche sehr nahe“, sagt sie der Richterin. Diese: „Sie sind ein gläubiger Mensch“. M.: „Ja.“ Richterin: „Sie haben also keine Probleme mit Weihwasser, Kreuzen und so.“ M.: „Ich nicht.“

Ein bedenklicher Polizeieinsatz

Inspektor H wird als Zeuge hereingerufen. Er konsumiert seinen Resturlaub vor dem Ruhestand. Der 60-Jährige bestätigt, dass er den Einsatz vor der Trauerfeier für S. geleitet hat. „Auf einmal kam die Frau S. (die Ex-Frau des Verstorbenen, Anm.) in die Polizeiinspektion und hat gesagt, die Leichenstelle sei mit Gegenständen rund um den Sarg verstellt.“ Gemeinsam mit einem Kollegen und der Ex-Frau hielt er „Nachschau“, wie es so schön im Amtsjargon heißt. Ob S. überhaupt eine rechtliche Position hatte, sich zu beschweren, interessierte ihn damals – nicht. „Ob das die Frau oder die Ex-Frau des Verstorbenen ist, diese Frage haben wir uns nicht gestellt.“ Eine Vollmacht, dass sie berechtigt ist, die Trauerfeier auszurichten, hat er nach eigener Auskunft nicht verlangt. Eine Vollmacht, wie sie die weggewiesene Lebensgefährtin hatte. „Ich habe nicht gefragt, wer das in Auftrag gegeben hat oder warum die Dekoration da war. Für mich war die Frau S. die Auftraggeberin, die Anzeigerin.“

Frau S. kannte er zu dem Zeitpunkt nicht. Ihren Ex-Gatten sehr wohl, wie er sagt. Und seine Lebensgefährtin, wie diese dem hpd gegenüber erzählt. Inspektor H. erwähnt das vor Gericht nicht. „Ich bat M., die Gegenstände wegzuräumen und erklärte ihr, diese Gegenstände wie die Bierdosen und das Römerglas sind eines Begräbnisses unseres Standes nicht würdig.“ H. spricht Beamtendeutsch. „Ich sagte ihr auch, wenn sie das nicht wegräumt, muss das die Staatsanwaltschaft klären.“ Er versteht das bis heute als freundliche Aufforderung, nicht als Einschüchterungsversuch: „Der Hinweis, dass die Staatsanwaltschaft das klären soll, war keine Drohung.“ Die (später schnell  wegen Gegenstandslosigkeit niedergelegte) Anzeige gegen M. wegen Störung der Totenruhe vermutlich auch nicht. Weggewiesen habe er die Klägerin nicht. „Dazu gab es keine Rechtsgrundlage.“ Er habe M. nach draußen begleitet. „Ich weiß nicht, ob ich ihr gesagt habe, dass sie gehen soll.“ Vom Personal des Bestattungsunternehmens war während des Vorgangs weit und breit niemand zu sehen. Inspektor H. suchte auch nicht großartig nach einer Auskunftsperson des Unternehmens.

M. war in Begleitung eines Bekannten. Dieser erlebte  den Auftritt H.s als einschüchternd, sagt er gegenüber dem hpd. „In so einer Situation tut man, was der Polizist sagt.“ Im Prozess kommt er diesmal aus Zeitgründen nicht zu Wort.

„Dann machen Sie das auch nicht“

M.s Anwalt muss sich während der Aussage von Inspektor H. zurückhalten. Er wirft ungläubige Blicke in das nicht vorhandene Publikum. (Der hpd-Korrespondent ist der einzige Zuhörer bei dieser Verhandlung, Anm.) „Ich hab so viele Fragen, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“, sagt er, als die Richterin mit der Befragung fertig ist und alles penibel dokumentiert hat. Auch nach dem Aktenstudium kann er nicht glauben, dass Inspektor H. zur Amtshandlung schritt, ohne zu fragen, ob er das überhaupt darf. „Sie sind Inspektor. Wenn ich Ihnen sage, Sie sollen jemand erschießen, tun Sie das auch nicht“, appelliert er an das Amtsverständnis des Polizisten. Einsicht zeigt der nicht. Es gibt keine Entschuldigung gegenüber M. Auch kein Eingeständnis, dass seine Amtshandlung einschlägigen Vorschriften widersprach.

Anwalt: „Und wenn ein naher Freund oder Verwandter Sie bittet, so etwas bei seinem Begräbnis aufzustellen, würden Sie das doch auch nicht wegräumen wollen?“ Inspektor H. „Ich würde es gar nicht aufstellen.“ Richterin: „Ich auch nicht.“

Verhandlung vertagt

Zu einem Ergebnis kommt man im Verhandlungssaal 1 des Tullner Bezirksgerichts heute nicht. Zwei Zeugen müssen befragt werden. Der Anwalt der Klägerin fordert, dass ein Gutachten eingeholt wird, wer für die psychische Erkrankung seiner Mandantin verantwortlich ist. Der gegnerische Anwalt zeigt sich nicht begeistert. Er will Kosten sparen, sagt er. Die Richterin behält sich die Entscheidung vor. Ein neuer Termin wird angesetzt. Vielleicht wird dann geklärt, wer für das Schlamassel verantwortlich ist. Oder auch nicht.

Christoph Baumgarten