(hpd) Nun ja, ich selbst habe bei Hans Küng studiert – und Examen gemacht. Das war 1960. So lange kenne ich ihn – und habe mich immer nach Gründen gefragt, warum er es nicht aufgegeben hat, sich um diese Vatikanische Konfession zu sorgen, die sich selbst „Kirche“ nennt.
Und ich habe mich gewundert, dass sich nur sehr wenige Kollegen aus der Theologenzunft offen mit der Theologie und der Kirchenpolitik Küngs auseinandergesetzt haben. Die meisten sind hinter ihm hergelaufen und haben zeitweilig wenigstens ein Zipfelchen seiner Schleppe getragen, ich nenne nur Johannes Neumann und Norbert Greinacher.
Inzwischen schweigt die Zunft fast vollständig. Küng ist nur noch für manche Medien interessant, eine fundierte Auseinandersetzung mit seinen Thesen findet so gut wie nicht mehr statt. Hat er sich überlebt?
Oder sollen wir uns darüber wundern, wie jämmerlich wenig die hoch dotierten theologischen Universitätsfakultäten zum Geistesleben der Republik beitragen? Da bleiben alljährlich Milliarden fehlinvestiert, und kein Finanzminister, keine Kultusministerin, kein Parlament schert sich darum. Eine Schande für die Demokratie, die allein die politische Klasse der hochmögenden staats- und kirchentragenden Kräfte zu verantworten hat.
Wer immer noch nichts dazugelernt hat, nimmt an, die Großkirchen und jene, welche diese sich als Theologen halten, seien über den Abweichler Küng hergefallen, um dessen Argumente zu zerpflücken. Nichts da. Auch diese Mühe müssen wir uns selbst machen. Es reicht offensichtlich nicht, Hochschullehrer der Theologie zu sein und seinen Brotberuf zu haben. Sie schweigen einfach, ruhen sich auf ihren Staatsgeldern aus, tragen so gut wie nichts zu den Prozessen der Meinungsbildung bei. Auch das ein Zeichen für die erbärmliche Leere der christlichen Kirchen und ihrer Theologie, die nur noch Restbestände verwalten und Leichenteile konservieren. Benedikt XVI., der einmal als Intellektueller ausgelobt wurde, zeigt den Weg in genau diese Richtung,
Hinter vorgehaltener Hand habe ich viel über Küng, den Menschen und den Theologen gehört, aber lassen wir das. Er ist ein weltweit bekannter Mann geblieben und er genießt das. Aber konsequent genug war er nie. Dafür mag er seine Gründe haben.
Und nun fährt ihm Hubertus Mynarek wie der Leibhaftige in die Parade. Der seit Jahrzehnten ausgewiesene Religionswissenschaftler und -philosoph, etwa gleichaltrig, schreibt in gewohnter Weise, also erstklassig und denkanstößig.
Mynarek analysiert „Küngs Kirche Jesu Christi“, ein irriges Konzept, zumal es sich bei der „Kirche“ nicht um eine Stiftung des Nazareners, sondern um eine Denkfigur des Paulus handelt, was Küng offenbar nicht konsequent zur Kenntnis zu nehmen bereit ist. Als weiteren Irrtum behandelt Mynarek „die Reduzierung des Papsttums zu einem pastoralen Petrusdienst“, eine typische Wunschprojektion des Reformers Küng, der ein Leben lang nicht bereit war, das Papsttum als das einzuordnen, was allein es ist: eine „völlig für das Funktionieren echt religiösen Lebens überflüssige“, auf Macht und Einflussnahme ausgerichtete, ganz und gar unbiblische Institution.
Küngs dritte Fehleinschätzung ist durch seine „zweideutige Haltung gegenüber dem Unfehlbarkeitsdogma“ belegt, urteilt Mynarek zu Recht. Auch in Sachen „Stellung der Frau in der Kirche“ beweist sich Küngs „Höflichkeit gegenüber der konkreten Kirche“ und Irrtumsanfälligkeit ein weiteres Mal. Ähnliches gilt für Küngs „Missverstehen des Verhältnisses von Religion und Kirche“, zweier Größen, die ganz und gar nicht auf derselben Ebene anzusiedeln sind: Küng erhöht förmlich die Kirche, indem er Religion erniedrigt.
Wir fragen auf dem Hintergrund der detailliert belegten Analysen Mynareks: Kann ein Mann wie Küng, dessen Theologie sich von einem Irrtum zum andern hangelt, wirklich den Anspruch erheben, die Wirklichkeit einer Institution getroffen zu haben? Nein, das kann sie nicht. Sie überlebt sich im Gegenteil selbst. Wie lange wird man noch über Küng reden? Seine Rede ist nicht Ja, ja, nein, nein. Und eben dieses Verharren im Unentschiedenen, Mittelmäßigen, Durchschnittlichen hat keine Zukunft.
Mynarek ist Küng um Längen voraus. Sein neues Buch ist ein Buch auch für unsereinen. Denn es stellt nicht nur den auch bei den Lesern des hpd bekannten Hans Küng, der angetreten ist, „an der Spitze aller Kirchenkritiker zu stehen und zu bleiben“ und „der Kirchenreformer des 20. und 21. Jahrhunderts“, ja sogar ein „Messias und Antipapst“ zu sein, in einen richtigen Zusammenhang, sondern lehrt uns: Die These, man müsse in der Kirche bleiben, um etwas ausrichten zu können, widerlegt sich selbst.
Hier ist nichts mehr zu retten, weder am irrig-ehrgeizigen Glauben des Diagnostikers und Therapeuten Küng (Mynarek nennt ihn einen selbsternannten „Kirchenarzt“) an eine „Ecclesia semper reformanda“ noch an der Vatikanischen Konfession selbst, für die ein Papst wie Ratzinger steht.
Von daher gesehen hatte die Begegnung der beiden im Vatikan, die Küng zu seinen Gunsten zu vermarkten wusste, indem er auf eine bestimmte Ebenbürtigkeit mit dem frisch Gewählten abzielte, symbolhaften Charakter: Beide Seiten setzen auf ein und dieselbe Täuschung, denn die „Kirche“ bleibt mitten in ihrer aktuellen Krise reformunfähig, gleich ob einer von einer besseren Zukunft des Systems träumt, gleich ob einer das überkommene System rettend zu „bewahren“ sucht. Das Modell selbst ist nun einmal tot, es hat niemals wirklich gelebt.
Horst Herrmann
Hubertus Mynarek, Warum auch Hans Küng die Kirche nicht retten kann. Eine Analyse seiner Irrtümer. Marburg 2012, 239 Seiten, 19, 90 €.