„Angst, Wut und Hass sind wie Treibhunde“

BERLIN. (hpd) Roma-Kultur verbindet man gern mit Musik und Tanz, vielleicht noch Dichtung. Eine Auswahl an Werken von zehn Roma-Künstlern, die in Spanien und Osteuropa malen, Installationen machen, filmen oder fotografieren, ist im Vorfeld der Eröffnung des Mahnmals zum Gedenken an die von den Nazis ermordeten Roma in Berlin im Spanischen Kulturinstitut an der Spree zu sehen.

Ihre Existenz als Mitglied einer nicht territorialen Minderheit ist mehr als der Hintergrund ihrer künstlerischen Arbeit. Sie ist der Motor ihres künstlerischen Ausdrucks, auch dann, wenn sie, wie es gerade in Spanien oft der Fall ist, nicht gern explizit als Roma-Künstler verstanden werden wollen. „Die Malerei ist mein einziges Refugium in der Schlacht des Lebens“, erklärt Lola Ferreruela, die abstrakte Bilder malt. Jedenfalls in einem zweiten Arbeitsstadium. Sie übermalt ihre eigenen Bilder komplett mit Bändern horizontaler Wellenlinien, meist in kühlem Blau, derart dicht, dass man sich nur vorstellen kann und nie mehr erfahren wird, was unter diesem Farbzonen auf der Leinwand zu sehen war.

Omara, die eigenwillige Seniorin unter den ausstellenden Künstlern, stellt fest: „Als Künstlerin habe ich mich erst zu fühlen begonnen, als mich der Schmerz zur Kunst geführt hat.“ Von ihr sind Montagen winziger Papierbilder zu sehen, meist nicht größer als Streichholzschachteln. Sie zeigen vielfach Menschen und Gesichter, aber auch Landschaften mit so harmlosen Motiven wie etwa ein Mohnfeld unter einem Baum. Dazwischen finden sich abstrakt gemalte Bildchen, auf  denen ein monochromes, auch goldfarbenes Geflecht nervös expressionistischer Linienzüge an Explosionen oder Feuersbrünste erinnert. Omara, eigentlich lautet ihr Geburtsname Mara Oláh, wurde 1945 in Monor, in Ungarn, geboren.

Die Arbeiten von zehn Roma-Künstlern, fünf aus Spanien und fünf aus Mittel- oder Osteuropa, vereint die Ausstellung „An die Grenze gehen“ bis zum 14. Oktober im Instituto Cervantes, kuratiert von Ingeborg Szöllosy im Auftrag der Deutschen Gesellschaft e.V.. Mit im Boot ist auch das Collegium Hungaricum. Der in Berlin lebende und in Bosnien geborene Nihad Nino Pušija weist darauf hin, dass man in Osteuropa grundsätzlich viel politischer arbeite als in Spanien. Er selbst fotografiert. Er hat sich in seiner neuen Heimat umgesehen und lichtet hier bei uns Minderheiten ab, die ebenso wie die Roma der Nimbus eines gewissen gefährlichen Glanzes umgibt, Menschen die in Varietes arbeiten, Schwule, Sänger, Künstlerexistenzen, die Welt der Bühne, backstage betrachtet. Für ein Video läuft András Kállai in Budapest das Donauufer ab, die Donaubrücke, die Mauern des Burgschlosses und lässt sein eigenes Blut auf die altehrwürdigen Steine tropfen.

Beispielbild
Vanesco: Hasenjagd - Erinnerungen, als ich ein toter Hase war

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Arbeiten von Omara, Pušija und Kállai wurden bereits 2007 auf der Biennale in Venedig mit einem speziell der Kunst der Roma gewidmeten Pavillon gewürdigt. Eine Entdeckung des Kunsttheoretikers und Ausstellungsmachers Harald Szeemann war das Schaffen von Vanesco, der seinen Geburtsort mit Kannitverstan angibt – irgendwo in Spanien. Ein ausgenommener Hase mit ums Maul geronnenem Blut liegt oder hängt auf seinen Fotos vor einer Mauer, die mit chinesischen Schriftzeichen versehen ist, dazu mit Kritzelzeichnungen eines von dem Kadaver stets halb verdeckten Mondgesichtes. Das Ganze wirkt hochästhetisch und dramatisch zugleich. Ein wenig denkt man auch an Beuys und an die alten Legenden um Hase und Mond. Der Hase symbolisierte in ihnen Fruchtbarkeit, hier steht er für den Tod. Venasco legt gerade andersherum, als man es erwarten würde, den Mythos sanft über das Reale: die Jagd auf Menschen, die Menschen zwingt, zu fliehen wie Hasen. „Die Jagd auf Menschen entsteht meist aus dem Scheitern, das Menschsein des Anderen zu verstehen. Ablehnung, Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Diskriminierung, Gleichgültigkeit, Angst, Unliebe, Wut, Hass sind die Treibhunde“, erläutert er. Das ist keineswegs unpolitisch.

Beispielbild
Soma y Luz: Porträt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die 1963 in Khande in Spanien geborene Soma y Luz kreiert neben Porträtfotos ebenso stille wie effektvolle Installationen, in denen sie alle Klischees über die Roma aufnimmt, aber mit ihnen spielt. Ein Paar Flamenco-Schuhe, in deren Schäften Federn stecken, betitelt mit „Schuhe eines Menschen, der weit gegangen ist für das, woran er glaubte“ oder ein „Seelenbrot“, eigentlich ein Stein in einem Kistchen auf Rosenblätter gebettet. Eine „Wahrsageruhr“, ein Wecker, gemahnt an die Zeitlichkeit als immergültige Bedingung allen Menschenlebens. Die Magie der Roma wird auf eine meditative Ebene gehoben. Bewusst verzichtet die Künstlerin auf alle Technik, bei der man auf Knöpfe drücken muss. Sie will „ein Gegengewicht in eine Welt setzen, die vor Atemlosigkeit auseinanderbricht“.

Was diese Werke gemeinsam haben? Ein Gefühl, eine Dramatik, gewachsen aus der Erfahrung, zu keiner fest eingesessenen Gesellschaft dazuzugehören. „Applikationen“, „Hinzufügungen“, nennt der aus Deutschland stammende André J. Raatzsch, der in der Kunstszene ebenfalls seit der Biennale 2007 einen Namen hat, seine Installationen mit signetartigen Bildstreifen von Menschen, in Mengen oder auch nur deren Füße, über die er in einem Fall Russische Puppen stellt, in einem anderen diese Szenen selbst auf einen Spielzeuglastwagen montiert. Die Erfahrung, sich verbergen zu müssen oder von einem Ort zum anderen transportiert zu werden, stellt sich als Assoziation ein. So verschieden die Ausdrucksmittel der zehn an der Ausstellung beteiligten Künstler sind, diesen ihnen gemeinsamen Lebenshintergrund spürt man in allen ihren Arbeiten.

Die Fertigstellung des Denkmals des israelischen Künstlers Dani Karavan in Berlin hat sich aus technischen Gründen lange verzögert. Am 24. Oktober wird es endlich so weit sein. Die Öffentlichkeit in der Bundeshauptstadt hat nun zuvor die seltene Gelegenheit, sich mit Kunst von Menschen, die selbst der Minderheit der Roma angehören, auseinanderzusetzen.

Simone Guski

 

An die Grenze gehen: Kunst, Theater und Musik von Roma.
Eine Ausstellung der Deutschen Gesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit dem Instituto Cervantes und dem Collegium Hungaricum. 24. August – 14. Oktober 2012, Instituto Cervantes, Rosenstr. 18 - 19, 10178 Berlin. Mo-Fr 12 – 19 Uhr, Eintritt frei.