Die Alltagsvernunft in der Komikernation

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Brigitte Zypries (Foto: Alexander Klink, Wikipedia)

BERLIN. (hpd) In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Recht und Politik (3/2012) haben der Strafrechtler Holm Putzke und die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zum Thema „Ist die religiöse Beschneidung Körperverletzung?“ Stellung genommen. Das Folgende ist ein Kommentar zur Stellungnahme für die Knabenschneidung von Frau Zypries.

Ein Kommentar von Harald Stücker

Die Stellungnahme von Frau Zypries „Lassen wir die Kirche im Dorf!“ fasst alles, was kein Argument ist, noch einmal kurz und prägnant zusammen. Durch den gesamten Text zieht sich der Versuch, Beschneidungsgegner lächerlich zu machen. Er klingt wie ein Echo des Kanzlerworts von der „Komikernation“, und auch argumentativ liegt er etwa auf diesem Niveau. Dabei ist es vor allem komisch, zu sehen, wie viele ihrer Schüsse nach hinten losgehen.

Alltagsvernunft mahnt sie an. Merke: Für grundlegende Rechte von Kindern und Männern einzutreten, ist nicht alltagsvernünftig. Davon redet Frau Zypries nicht. Dafür aber redet sie vom Bund mit Gott, ganz beiläufig, ganz so, als sei das ein internationales Abkommen. Pacta sunt servanda. Dass Verträge eingehalten werden müssen, ist ja in der Tat ein alltagsvernünftiges Motto der Politik. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen, sagen wir, dem NATO-Vertrag und dem 1. Buch Mose. Eine ehemalige Bundesjustizministerin sollte diesen Unterschied kennen. Aber vielleicht leben wir eben wirklich in einer Komikernation, in der die Minister ihre Rolle nur spielen?

Und natürlich kommt der Hinweis auf die WHO, die zieht immer, besonders wenn niemand da ist, um richtigzustellen, dass selbst die WHO keine Zwangsamputationen bei nicht-einwilligungsfähigen Kindern empfiehlt.

Noch nie sei ein Mann gegen einen solchen „Eingriff“ vorgegangen, sagt Frau Zypries, und außerdem sei er ohne Folgen. Da ist sie nicht richtig informiert. Allein durch das Kölner Urteil und die anschließende Debatte haben unzählige Männer den Mut gefunden, öffentlich über ihre intimen Probleme zu berichten und sich zu beschweren. Jeder, der auch nur oberflächlich zu dem Thema recherchiert, wird bald auf solche Beschwerden von Betroffenen stoßen. Sie sind zahlreich. Als Service u.a. für ignorante Ministerinnen a.D. ein Beispiel:

Beschweren kann man sich im Übrigen auch bei Frau Zypries direkt, z.B. darüber, dass sie völlig ahnungslos und uninformiert eine solch süffisante und mitleidlose Stellungnahme veröffentlicht, zu einem Thema, das sie offenkundig komisch findet. Komikernation eben.

Der „Eingriff“ sei sozial akzeptiert. Ja, in der Tat, aber genau das ändert sich gerade! Auch Frau Zypries sollte das schon vor dem Schreiben ihres Textes gemerkt haben, das ist nämlich der Grund, warum sie ihn schreibt. Die Akzeptanz des „Eingriffs“ wird massiv erschüttert durch die Informationen, die im Laufe der Debatte darüber an die Öffentlichkeit gekommen sind, nach dem Motto: Je mehr Du weißt, desto mehr bist Du dagegen!

Im Titel steht wieder die Kirche, die man doch bitte im Dorf lassen solle. Diese Metapher zielt wohl wieder auf die Alltagsvernunft ab. Sie möchte relevant sein, daher wird sie am Ende auf wenig originelle Weise noch mal ergänzt um Moschee und Synagoge. Aber die Metapher ist nicht mehr relevant. Sie ist dümmlich und überholt. Die Kirche steht schon längst nicht mehr im Dorf. Die Religion herrscht nicht mehr über die Menschen. Sie legt nicht mehr fest, was vernünftig und was unvernünftig, was moralisch und was unmoralisch ist. Auch dieser bildliche Appell an unsere gemeinsame religiös geprägte Alltagsvernunft läuft also grandios ins Leere. Auch hier wieder macht sich die Autorin mit ihrem Versuch, witzig zu sein, lächerlich. Komikernation eben.

„Wichtig ist, dass Rechtsfrieden und Rechtssicherheit geschaffen werden und die religionsbedingte Beschneidung bei Jungen bis zu einem bestimmten Alter zulässig bleibt.“

Ein Juwel von einem Satz! Denn er ist vor dem „und“ vollkommen wahr und nach dem „und“ vollkommen falsch. Falsch und verräterisch.

In der Tat ist es wichtig, dass Rechtsfrieden und -sicherheit geschaffen werden. Aber es ist noch wichtiger, dass dabei tatsächlich Recht und Gesetz gelten und eingehalten werden, und zwar in erster Linie die Grund- und Menschenrechte. Es ist auch wichtiger, dass dabei die Schwachen geschützt werden vor übergriffigen Lobbyinteressen, ob religiös oder sonstwie motiviert. In diesem Fall sind die Schwachen tatsächlich die Allerschwächsten, nämlich die Kinder. (Hatte ich übrigens schon erwähnt, dass die Bundesjustizministerin a.D. Zypries Mitglied der SPD ist?)

Die Schaffung von Rechtsfrieden und -sicherheit würde Frau Zypries aber nicht reichen. Es ist ihr auch noch wichtig, „dass die religionsbedingte Beschneidung bei Jungen bis zu einem bestimmten Alter zulässig bleibt“.

An diesem Teilsatz sind zwei Dinge bemerkenswert. (Eigentlich drei. Aber lassen wir den ebenso grotesken wie beiläufigen Sexismus einmal beiseite.) Zunächst: Warum „bis zu einem bestimmten Alter“? Ich könnte besser verstehen, wenn sie „ab einem bestimmten Alter“ geschrieben hätte. Über dieses Alter könnte man dann reden. Wirklich schon ab 14, dem Alter der Religionsmündigkeit? Oder doch erst ab 18, der Volljährigkeit?

In der Tat geht es bei der Formulierung „bis zu einem bestimmten Alter“ darum, eine eigene, selbstbestimmte Entscheidung des Kindes bzw. Mannes über die Amputation seiner Vorhaut zu verhindern! Ab einem bestimmten Alter ist Beschneidung kein Problem, das weiß die Bundesjustizministerin a.D. Das Problem haben wir bis zu diesem Alter. Das gesamte Problem schnurrt auf diese Präposition „bis“ zusammen. Für Frau Zypries ist es „wichtig“, dass die Entscheidung fremdbestimmt bleibt, weil genau das auch für die Religionsgemeinschaften wichtig ist. Das ist der Kernstreitpunkt der Debatte. Und den hat die Politik einvernehmlich mit der Religion entschieden. So einfach ist das. Alles weitere ist Theater. Komikernation eben.

Und dann offenbart dieser Teilsatz die Kernbotschaft des gesamten Textes, und verrät gleichzeitig die Kernbotschaft der gesamten deutschen Politik seit dem Kölner Urteil:

„Wichtig ist, dass die religionsbedingte Beschneidung bei Jungen zulässig bleibt.“

Hier steht klipp und klar, dass ihre Entscheidungsfindung abgeschlossen ist, dass jede weitere Debatte eine Farce ist. Das gilt dann auch für diesen Text, der als Kontra-Position in einem Debattenzusammenhang steht. Aber auch das ist wohl nur gespielt. Komikernation eben.

Das Ziel der gesamten Politik in Deutschland, über Partei- und Koalitionsgrenzen hinweg, war nie, eine für unser Selbstverständnis zentrale juristische, gesellschaftliche und ethische Frage möglichst gründlich und unvoreingenommen zu erörtern, um sie schließlich nach Abwägung aller relevanten Sachargumente zu entscheiden. Das Ziel war immer, die bereits getroffene Entscheidung so schnell wie möglich durch die lästigen Instanzen zu prügeln. Das Ziel war immer, die Debatte abzuwürgen, sie zu löschen wie das Feuer, das  plötzlich an der Hose hochzüngelt. Daher das panische, kopflose und dilettantische Vorgehen der Politik in den letzten Wochen. Bundestagsdebatten, Pressekonferenzen, Ethikkommissionen, Anhörungen (ohne Betroffene!), Gesetzentwürfe: alles Theater, alles Kulisse.

Komikernation eben.