BERLIN. (hpd) Ende November hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ein Urteil gefällt, das für kleine Religions- und Weltanschauungsvereinigungen erhebliche Bedeutung haben wird: maßgeblich für die Anerkennung als Körperschaft des Öffentlichen Rechts ist nicht die Anzahl der Mitglieder als solche.
Am 28.11.2012 hat das BVerwG (Az. 6 C 8.12) entschieden, dass der Religionsgemeinschaft der Bahá´i in Hessen die Rechte einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts verliehen werden müssen. Das hatte das hessische Kultusministerium in der Vergangenheit abgelehnt. Nach Auffassung des Ministeriums gehören in Hessen den Bahá´i mit etwa 900 bis 950 Personen nicht hinreichend genug Mitglieder dieser Religionsgemeinschaft an. Verlangt wurde eine Mitgliederanzahl von wenigstens 0,1 Prozent der jeweiligen Landesbevölkerung, was bedeutet hätte, dass die Bahá´i in Hessen mindestens 6.000 Mitglieder hätten haben müssen; sie haben bundesweit insgesamt jedoch nur etwa 5.000 Mitglieder.
Das BVerwG hat — wie schon zuvor der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel — es abgelehnt, sich ausschließlich an der Mitgliederzahl einer Religionsgemeinschaft zu orientieren und stattdessen wesentlich auf das Kriterium der Dauerhaftigkeit des Bestandes der Bahá´i-Organisation abgestellt. Dies wurde unter anderem vom Gericht unter Hinweis darauf bejaht, dass die Bahá´i-Gemeinde in Deutschland bereits seit über 100 Jahren bestehe, ihre Verbote im Dritten Reich und während der DDR-Zeit überdauert habe und eine Altersstruktur aufweise, die die Annahme einer weiteren Existenz auf absehbare Zeit rechtfertige.
Die Bedeutung von Körperschaften des Öffentlichen Rechts
Das Grundgesetz setzt in Art. 140 i.V.m. 137 Abs.5 WRV für die Erlangung des Status einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts voraus, dass eine Religionsgemeinschaft "durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bietet". Bislang war eine Orientierung vorrangig an der reinen Mitgliedergröße verbreitete Verwaltungspraxis.
Folgen der Zuerkennung des Körperschaftsstatus sind u.a. die Berechtigung, von den Mitgliedern Steuern erheben zu dürfen und diese über die Finanzämter einziehen zu lassen, Steuerbefreiungen und finanzielle Vergünstigungen, besondere Regelungen im Straf-, Arbeits- und Sozialrecht sowie zum Schutz des Organisationseigentums. Sie eröffnet auch den Zugang zu Medienräten.
Für die Deutsche Buddhistische Union, die ebenfalls den Körperschaftsstatus anstrebt, bislang aufgrund der Verwaltungspraxis aber davon ausging, dass sie nicht genügend Mitglieder habe, ist die jetzige Entscheidung von großer Bedeutung. Diese Vereinigung wie auch die Alevitische Gemeinde Deutschlands streben als weitere nichtchristliche Religionsgemeinschaften ebenfalls den Körperschaftsstatus an.
Bislang sind ausschließlich christliche Religionsgemeinschaften, darunter die christlichen Großkirchen, jüdische Gemeinschaften, sowie als Weltanschauungsgemeinschaften der Bund für Geistesfreiheit in Bayern sowie der Humanistische Verband Deutschlands in Niedersachsen sowie einige Freikirchliche Vereinigungen als Körperschaften anerkannt.
Der Anerkennung muslimischer Gemeinschaften stehen (bislang jedenfalls) erhebliche aus dem theologischen Verständnis und der bisherigen Praxis resultierende Organisationsprobleme entgegen. Schätzungen zufolge sind von etwa 4 Millionen Muslimen in Deutschland lediglich etwa ein Fünftel in religiösen Vereinen und Gemeinden organisiert.
Bundesverfassungsgericht verlangt grundsätzlich Rechtstreue
Die Zuerkennung des Status einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts erforderte eine grundsätzliche Rechtstreue, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 20.09.2000 zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas ausgeführt hat. Dieses Erfordernis der Rechtsstreue, der Beachtung geltenden Rechts, gelte allerdings nur grundsätzlich, da viele Religionsgemeinschaften einen Vorbehalt zugunsten ihres Gewissens und ihrer aus dem Glauben begründeten Entscheidungen erhöben und darauf bestünden, in einem unausweichlichem Konfliktfall den Glaubensgeboten mehr zu gehorchen als den Geboten des Rechts. Derartige Vorbehalte seien, so das Bundesverfassungsgericht, Ausdruck der für Religionen nicht untypischen Unbedingtheit ihrer Glaubenssätze.
Als verpflichtend für die Religionsgemeinschaften wird in dem Urteil angesehen, dass die in Art. 79 Abs. 3 GG für unabänderbar (Ewigkeitsklausel) umschriebenen fundamentalen Verfassungsgrundsätze und die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes sowie die Menschenwürdekonzeption und die Grundrechte akzeptiert würden.
Zur Beurteilung der Gewähr eines rechtstreuen Verhaltens stellt das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich einer stets anzustellenden komplexen Prognose nicht auf den Glauben der Religionsgemeinschaf, sondern auf ihr konkretes Verhalten ab. Dem Staat sei es untersagt, Glaube und Lehre als solche zu bewerten, der Staat habe im Bereich genuin religiöser Fragen nichts zu regeln und nichts zu bestimmen, was ihn aber nicht daran hindere, das Verhalten der Religionsgemeinschaft nach weltlichen Kriterien zu bewerten. Für die Binnenstruktur der Gemeinschaft habe der Staat keine Vorgaben zu machen, solange der verfassungsmäßige Ordnungsrahmen nicht beeinträchtigt werde, etwa durch Anstreben einer Theokratie.
Die Bahá´i-Religion und ihre Grundsätze
Die Bahá´i-Religion zum Beispiel entstand als Abspaltung aus dem schiitischen Islam in der Mitte des 19.Jahrhunderts. Aktuell gehören der Religionsgemeinschaft, die ihren Hauptsitz in Haifa hat, weltweit mehr als fünf Millionen Mitglieder (die Schätzungen reichen bis zu über sieben Millionen) in rund 100.000 Orten sowie mehr als 2.100 Volks- und Stammesgruppen an. Die Bahá’í-Religion wird als die vielfältigst organisierte Gemeinschaft der Erde bezeichnet.
In Deutschland war diese Religion in der Nazi-Zeit seit dem 21. Mai 1937, durch einen Sonderbefehl des Gestapo-Chefs Heinrich Himmler, verboten. Sie war dann allerdings auch in der DDR verboten.
Die Bahá'í-Religion ist monotheistisch mit einem Glauben an einen transzendenten Gott und dem Glauben an die Einheit der Menschheit. Die Bahá'ís gehen von einer Dualität von Körper und Seele aus, lehnen die Evolutionslehre nicht ab, sondern geben ihr eine eigene Deutung.
Von wesentlicher Bedeutung in den Glaubenslehren der Bahá'í- ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die sie als gleichwertig ansehen sowohl hinsichtlich ihrer Seelen als auch bezüglich ihrer Stellung in der Gesellschaft: "Die Menschenwelt hat zwei Flügel: Den einen bilden die Frauen, den anderen die Männer. Erst wenn beide Flügel gleichmäßig entwickelt sind, kann der Vogel fliegen. Bleibt ein Flügel schwächlich, so ist kein Flug möglich." (Abdu'l-Bahá, eines der historischen Oberhäupter der Bahá'í.)
Die Emanzipation der Frau im Sinne einer vollständigen Gleichberechtigung der Geschlechter wird als Voraussetzung für die Entwicklung eines moralisch-psychologischen Klimas angesehen, was wiederum Voraussetzung für einen Weltfrieden ist. Die Verweigerung der Emanzipation wird als Unrecht gegenüber der Hälfte der Weltbevölkerung gewertet.
Sexualität sehen die Bahá'í nur innerhalb der Ehe als zu praktizieren an. Homosexualität wird mit den Glaubensvorstellungen als unvereinbar angesehen, aber Homosexuelle sollen nicht diskriminiert werden. Die Bahá'í unterstützen nicht die Forderung nach gleichgeschlechtlichen Ehen / Lebensgemeinschaften, lehnen aber bewusst ein Vorgehen dagegen ab.
Für sie ist die "Förderung der Entwicklung des einzelnen Menschens und Eintreten für soziale Gerechtigkeit" ebenso zentraler Glaubensinhalt wie umfassende Bildung und Ausbildung sowohl der Jungen als auch der Mädchen. In den Bahá'í -Schriften wird die Wissenschaft als "Entdecker der Wirklichkeiten" bezeichnet.
Ein religiöses Weltbild, wonach der Mensch von Grund auf "schlecht" oder aggressiv sei, wird von den Bahá'i ebenso verworfen wie solche theologische Richtungen, die ein "schuldiges, sündiges Menschenbild" lehren. Sie gehen von einer "neutralen" menschlichen Veranlagung aus, es hänge — so erklären sie — vom Menschen selbst ab, wie er seine Anlagen entwickele.
Verfolgung der Bahá'í vor allem in Iran
Solche Auffassungen sind auch ein Grund dafür, dass die Bahá'í, insbesondere im iranischen "Gottesstaat", der keine Religionsfreiheit akzeptiert, blutig verfolgt werden. Hinsichtlich der etwa 300.000 im Iran lebenden Bahá'í kommt es regelmäßig zu Schikanen, Diskrimierungen, aber auch zu Inhaftierungen und Hinrichtungen.
Auch wenn in säkularen und humanistischen Kreisen Manches und sogar Grundsätzliches bezüglich der Organisierung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des Öffentlichen Rechts strittig ist: auf dem Hintergrund der weltweiten Verfolgung dieser Religion und ihres früheren Verbotenseins in Deutschland erscheint die Zuerkennung des Körperschaftsstatusses an die Bahá'í wie ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit.
Walter Otte