Haarige Verwandtschaft

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Orang Utan, Zoo Frankfurt / Foto: C. Goldner

BERLIN (hpd) Auf Initiative der Bundestagsfraktion der GRÜNEN fand am 21.01.2013 ein Expertengespräch zur Frage „Grundrechte für Menschenaffen?“ statt. Undine Kurth MdB, Sprecherin ihrer Fraktion für Tierschutzpolitik, hatte namhafte TierrechtlerInnen nach Berlin eingeladen, um, zusammen mit Vertretern der Giordano Bruno-Stiftung, zu überlegen, was auf politischer Ebene für das Anliegen des „Great Ape Project“ getan werden kann.

Während Frau Kurth einleitend darauf hinwies, dass kein Anlass zu größerem Optimismus bestehe, in absehbarer Zeit irgendwelche Bundestagsmehrheiten für tierrechtliche Belange zu gewinnen – selbst innerhalb ihrer eigenen Fraktion sei das Expertengespräch nur unter der Bedingung durchzusetzen gewesen, dass das Thema "Grundrechte für Menschenaffen" mit Fragezeichen versehen werde -, stellte sie in Aussicht, dass sich das nach den Wahlen im September 2013 sehr schnell ändern könnte: sollten die Grünen in Regierungsverantwortung kommen, werde es ggf. eine erste Bundestierschutzbeauftragte namens Undine Kurth geben, die sich mit Nachdruck der Sache der Affen annehmen werde.

Colin Goldner, Tierrechtler und Beirat der Giordano Bruno-Stiftung, stellte die Ziele und den aktuellen Stand des Great Ape Project vor:
„Das Great Ape Project, initiiert 1993 von den Philosophen Paola Cavalieri und Peter Singer, beinhaltet die Forderung, die Großen Menschenaffen - Schimpansen, Gorillas, Orang Utans und Bonobos - aufgrund ihrer großen genetischen Ähnlichkeit mit dem Menschen und ihren ähnlich komplexen kognitiven, affektiven, sozialen und kommunikativen Fähigkeiten bestimmte Grundrechte zuzuerkennen, die bislang ausschließlich dem Menschen vorbehalten sind: Das Grundrecht auf Leben, auf individuelle Freiheit und auf körperliche wie psychische Unversehrtheit, wodurch praktisch alle Fälle erfasst sind, die Menschenaffen in Bezug auf Menschen betreffen können: Jagd, Wildfang, Zirkus, Zoo, Tierversuche. Es solle den Großen Menschenaffen der gleiche moralische und gesetzlich zu schützende - das heißt: auch einklagbare - Status zukommen, der allen Menschen zukommt. Singer und Cavalieri, dazu eine Reihe hochrenommierter Wissenschaftler einschließlich Jane Goodall oder Richard Dawkins, wiesen überzeugend nach, dass die tradierte Ungleichbehandlung von Menschen und Menschenaffen im Lichte wissenschaftlicher Erkenntnis nicht länger haltbar und damit moralisch zu verwerfen ist. Letztlich gibt  es kein vernünftiges Argument, den Großen Menschenaffen diese Grundrechte vorzuenthalten, die jedem Angehörigen der Spezies Homo Sapiens ganz selbstverständlich – und sehr zurecht ganz selbstverständlich – zugestanden werden, egal wie es um seine kognitiven, affektiven, sozialen oder kommunikativen Fähigkeiten bestellt ist. Auch wenn der einzelne Mensch nur geringe oder gar keine dieser Fähigkeiten aufweist, hat er dennoch die unveräußerbaren Grundrechte auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit.

Das Great Ape Project fordert, den Großen Menschenaffen solle der gleiche moralische und gesetzlich zu schützende Status zukommen, der allen Menschen zukommt. Selbstredend geht es dabei nicht um die Zuerkennung umfassender Menschenrechte gemäß der Charta der Vereinten Nationen - es wäre dies eine absurde Forderung, da zu den unveräußerlichen Menschenrechten mithin Gewissens- und Religionsfreiheit zählt, die für die Großen Affen ebenso irrelevant ist wie Berufsfreiheit, das Recht auf Arbeit oder das Recht auf Gründung von Gewerkschaften -, sondern um Grundrechte, die für Menschen und Menschenaffen gleichermaßen relevant sind und auf die Menschen und Menschenaffen gleichermaßen moralischen Anspruch haben, die bislang aber nur für Menschen gelten.

Auf nationaler Ebene wäre Voraussetzung eine Grundgesetzänderung in Artikel 20a, die die Rechte der Großen Menschenaffen unter Verfassungsschutz stellen, sprich: ihnen Personenstatus zuerkennen würde. Dann und nur dann ließe sich analog zur gesetzlich geregelten rechtlichen Fürsorge für unmündige menschliche Personen –  für Kinder beispielsweise oder  demente Menschen - eine rechtliche Fürsorge für in menschlicher Obhut lebende nicht-menschliche Personen, sprich: Große Menschenaffen einrichten. Der Ablauf der Fürsorge oder Sachwalterschaft wäre identisch.

Um es noch mal zu verdeutlichen: das Tierschutzrecht reicht nicht aus, selbst wenn es tatsächlich einmal verbessert werden sollte (was unter schwarz-gelb in der Tat nicht zu erwarten ist). Im deutschen Tierschutzgesetz ist vom "Schutz der Mitgeschöpfe" die Rede. Und das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sagt klar (§ 90a Satz 1): "Tiere sind keine Sachen." Allerdings regelt Satz 3 des gleichen Paragraphen, dass die für Sachen geltenden Vorschriften auch auf Tiere anzuwenden seien. Diese Schizophrenie in der Rechtsordnung – einerseits keine Sache, andererseits aber zu behandeln wie eine Sache - wird durch das Staatsziel Tierschutz nicht beseitigt. Als ersten Schritt zu einem tatsächlichen Tierschutz brauchen wir – als Türöffner sozusagen – personale Grundrechte für die Großen Menschenaffen, die ihnen vorzuenthalten es keine vernünftige Rechtfertigung gibt.

Nach ersten Erfolgen des Great Ape Project - 1999 verbot Neuseeland per Gesetz sämtliche invasiven Experimente an Menschenaffen, gefolgt von der Inselgruppe der Balearen als insofern autonomer Gemeinschaft Spaniens, die 2007 einen umfassenden Schutz der Menschenaffenverfügte, der noch über den neuseeländischen Beschluss hinausreicht – stagniert das Project seit einigen Jahren ergebnislos vor sich hin. Der Hauptgrund dafür, dass das Projekt in Spanien zum Erliegen kam, wo es bereits parlamentarisch diskutiert wurde, lag im massiven Widerstand der katholischen Kirche, die von allen Kanzeln herunter dagegen zu Felde zog.

Im Sommer 2011 nun hat die Giordano-Bruno-Stiftung, ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern, Publizisten und Kulturschaffender im Geiste von Aufklärung und evolutionärem Humanismus mit der Verleihung ihres Ethikpreises an Paola Cavalieri und Peter Singer für ihre Initiierung des Great Ape Project den Faden wieder aufgegriffen.

Auf der einen Seite tritt das Great Ape Project ein für die Zuerkennung besagter Grundrechte für die Großen Menschenaffen, sprich: für eine Erweiterung des Grundgesetzes in Artikel 20a,und auf der anderen Seite geht es um Verbesserungen auf sehr praktischer Ebene für die hierzulande betroffenen Großen Menschenaffen.

Derzeit werden in 38 deutschen Zoos und zooähnlichen Einrichtungen etwa 450 Große Menschenaffen – Bonobos, Schimpansen, Gorillas und Orang Utans – zur Schau gestellt. (In Pharmalaboren werden seit Anfang der 1990er keine Schimpansen mehr verwendet, was rein rechtlich unter bestimmten Umständen aber immer noch zulässig wäre; und auch in Zirkussen und Privathaushalten werden nur noch vereinzelt Schimpansen gehalten.)

In Zoos hingegen werden nach wie vor – unter teils indiskutablen Bedingungen – Große Menschenaffen zur Schau gestellt,in 38 deutschen Zoos, wie gesagt, derzeit etwa 450 Individuen. Wie sich in einer im letzten Jahr vom Great Ape Project durchgeführten Untersuchung zeigte - es wurden sämtliche Zoos mit Haltung Großer Menschenaffen mehrfach besucht -, kann nur bei einem Fünftel der deutschen Zoos von ausreichenden Haltungsbedingungen die Rede sein (gemessen an dem Umstand, dass die Haltung Großer Menschenaffen hierzulande alleine der klimatischen Verhältnisse wegen grundsätzlich nicht den Bedürfnissen der Tiere entsprechen kann: sie verbringen bis zu 90 Prozent ihrer Lebenszeit in den in der Regel extrem beengten Innengehegen, von Spätherbst bis Frühjahr sind sie in der Regel rund um die Uhr darauf beschränkt; nachts werden sie zudem in Schlafboxen eingesperrt. Nur bei entsprechender Witterung – sprich: an wenigen Tagen des Jahres – können sie sich in den Außengehegen aufhalten (ganz abgesehen davon, dass selbst großzügigst bemessene Außenanlagen den Reviergrößen ihrer natürlichen Heimaten nicht ansatzweise entsprechen können).