„NATO-Geheimarmeen in Europa“

(hpd) Der Schweizer Historiker Daniele Ganser schildert in seinem Buch das Agieren der geheimen „Gladio-Truppen“ in verschiedenen europäischen Ländern. Nicht für alle Darstellungen hat er ausreichendes und überzeugendes Beweismaterial, allein der gut belegte Fall „Italien“ ist indessen schon beklemmend genug.

Im Sommer 1990 sah sich der damalige italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti im Rahmen von Anhörungen gezwungen, die Existenz einer geheimen Guerilla-Einheit unter Führung des militärischen Geheimdienstes öffentlich zu bestätigen. Binnen kurzer Zeit stellte sich danach heraus: Ähnliche Gruppierungen gab es auch in anderen europäischen Ländern. Unter der Bezeichnung „Gladio“ gerieten sie zeitweise ins Licht der öffentlichen Wahrnehmung. Was hatte es damit auf sich?

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestand die Furcht vor einer sowjetischen Invasion in Europa. Um ihr begegnen zu können, entstand ein öffentlich nicht bekanntes Netzwerk von paramilitärischen Kleingruppen. Diese sollten als Stay-behind-Armeen der NATO gegen die Besatzungsmächte im Sinne eines bewaffneten Widerstandes vorgehen. Die Gründung erfolgte im Auftrag hochrangiger Beamter der Regierungen und von führenden Funktionsträgern der Geheimdienste des damaligen Westeuropa. Im Hintergrund spielten der CIA und der MI 6 eine bedeutende Rolle.

Die Geschichte der „NATO-Geheimarmeen in Europa“ hat der Schweizer Historiker Daniele Ganser in seiner Dissertation aufgearbeitet. Die ebenso betitelte Buchausgabe trägt den Untertitel „Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung“. Ersteres bezieht sich dabei auf folgenden Aspekt: Die geheimen „Gladio“-Soldaten rekrutierte man aus den streng antikommunistischen Teilen der Gesellschaft. Hierzu gehörten auch ehemalige SS-Mitglieder und rechtextremistische Fanatiker. Nachdem die sowjetische Intervention ausblieb, stand für sie die Verhinderung eines Vormarsches der Kommunisten auf legalem Weg auf der Tagesordnung.

Insbesondere in Italien konnte die Kommunistische Partei bei Wahlen meist jede vierte Stimme für sich mobilisieren. Ende der 1960er Jahre kam eine radikale linke Protestbewegung ebenso wie ein sozialrevolutionärer Terrorismus auf. Im Land führten daher Aktivisten aus dem dortige „Gladio“-Umfeld Anschläge durch, welche dann der politischen Linken öffentlich zugeschoben werden sollten.

Dies hört sich wie eine „wilde Verschwörungstheorie“ an. Zumindest für Italien liegen dafür aber gute Belege vor. Sie reichen von den Ergebnissen parlamentarischer Untersuchungskommissionen bis zu den Zeugenaussagen ehemaliger Terroristen. Ganser schreibt denn auch allgemein zum Wirken der „Gladio“-Gruppen: „In einigen Operationen der Stay-behind-Soldaten wurden zusammen mit den Geheimdiensten linksgerichtete Politiker beobachtet und Akten über sie angelegt, ebenso wurde antikommunistische Propaganda betrieben. Bei anderen Operationen kam es zu Blutvergießen. Tragisch war es, dass sich die geheimen Krieger mit rechtsextremen Terroristen zusammentaten, eine Kombination, die – in verschiedenen Ländern, zumindest in Belgien, Italien, Frankreich, Portugal, Spanien, Griechenland und der Türkei – zu Terroranschlägen, Folterungen, Staatstreichen und anderen Gewalttaten führte“ (S. 379). Darüber berichtet der Autor in den Länderkapiteln seines Buchs. Sie sind jeweils „Der geheime Krieg in ...“ überschrieben.

Während sich diese Einschätzung, wie gesagt, für Italien ganz gut belegen lässt, sieht es für andere Länder hinsichtlich der Quellenlage nicht ganz so gut aus. Die Regierungen wiegelten nach Andreottis Eingeständnis zunächst ab, räumten dann aber doch das Bestehen solcher Gruppen ein. Für deren Gründung hat auch Ganser mit Hinweis auf die „strategische Begründung“ (S. 379) Verständnis. Anders verhält es sich mit den Gewalttaten, wobei es hier mit eindeutigen Belegen aber mit Ausnahme des italienischen Beispiels nicht ganz so gut aussieht. Mitunter heißt es bei dem Autor auch „Entsprechend den Quellen, die anonym zu bleiben wünschten ...“ (S. 58) oder er bemerkt über offizielle Protokolle „Diese sind heute nicht zugänglich“ (S. 65). So arbeitet Ganser häufig mit Indizien und Spekulationen. Das Schweigen der Regierungen nährt darüber hinaus abenteuerliche Konspirationsvorstellungen. Ihnen neigt der Autor zwar nicht zu. Gleichwohl finden sich bei ihm viele Andeutungen ohne Beweise. Allein der gut belegte Fall „Italien“ ist indessen beklemmend genug.

Armin Pfahl-Traughber

Daniele Ganser, NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung, 5. Auflage, Zürich 2012 (Orell Füssli Verlag), 445 S., 24,95 €.