Trotz dieser heiligen Unterstützung hatte bis 1968 jedoch eine beträchtliche Anzahl von Mitgliedern die Bewegung verlassen, um sich der säkularen revolutionären Studentenbewegung anzuschließen, und viele waren sogar aktive Marxisten geworden. Die CL reagierte scharf gegen diese neuen Bewegungen. Dies sogar im Gegensatz zu dem zunehmenden Trend in den offiziellen katholischen Jugend- und Laienorganisationen, die ihren traditionellen Antagonismus gegen Säkularismus und Marxismus mehr und mehr abbauten. Die extrem reaktionäre und militante Haltung der CL während des Referendums zur Ehescheidung (1974) und zur Abtreibung (1981) brachte sie sogar in Konflikt mit dem Vatikan. Sie gründete daraufhin eine Gruppe innerhalb der Christdemokratischen Partei, um eigenen Kandidaten politische Ämter zu verschaffen. Zugleich wurde eine eigene Arbeitgeberorganisation gegründet, die „Compagnia delle Opere“, um diese Aktivitäten zu finanzieren.
Konsequenterweise entstanden vor diesem Hintergrund dann auch ernsthafte Korruptionsskandale. Der sogenannte „Tangentopoli“-Skandal (Mitte der 1990er Jahre), mit ihren Tausenden Korruptionsangeklagten, führte im Rahmen der Auflösung der Christlich-Demokratischen Partei dann auch zur Verurteilung einer Reihe von CL-Amtsträgern. Doch blieb die Bewegung politisch aktiv und mit der Gründung der „Cristiani Democratici Uniti“ (CDU) bildete sie ein Bestandteil der politischen Konstruktionen von Berlusconi (der übrigens auch an CL-Schulungen teilnahm). Manche Beobachter qualifizieren die CL als eine wichtige Lobbymaschinerie mit engen Verbindungen zu rechten Parteien und sogar zur Mafia. Letzteres macht sich fest am CL nahen (und aktiver Memor Domini) Präsidenten der lombardischen Regionalregierung Formigniori, der vor kurzem abdanken musste, nachdem ein leitender Mitarbeiter aus Kalabrien wegen Mafiabeziehungen verhaftet wurde und weil sich Abgeordnete der Partei „Popolo della Libertà“ (PdL) von Ex-Premier Silvio Berlusconi eine opulente Feier auf Kosten des Steuerzahlers organisiert hatten.
Franziskus ist ein Erfolg der CL-Strategie
Vor diesem Hintergrund ist es also im Nachhinein keine Überraschung, dass Bergoglio zum Papst gewählt wurde. Nicht weil er Argentinier ist oder sehr bescheiden daherkam, sondern weil er ein Vertreter der italienisch geführte CL ist. Zwar war der stärkste Vertreter von Comunione e Liberazione im Konklave niemand anderes als sein engster Konkurrent Kardinal Angelo Scola, aber der war scheinbar als Italiener zu offensichtlich nah mit der CL und ihren Skandalen verbunden und das skandalöse Image wollten sie und die Kurienbürokratie unbedingt vermeiden.
Strategisch ging es außerdem mehr darum, zu versuchen den Wojtyla-Effekt zu wiederholen. Damals wurde die Wahl des polnischen Papstes zu einer Hauptwaffe im Kalten Krieg gegen den die westliche Welt und seine Kirche bedrohenden Kommunismus. Heute wirken die gesellschaftlichen und religiösen Entwicklungen in Lateinamerika als ähnliche Bedrohungen und ein autochthoner populistischer Papst könnte da sehr wirksam sein.
So hat die CL in jeder Hinsicht gesiegt und der heutige Vorsitzende der Fraternität von Comunione e Liberazione, Don Julián Carrón, hat die Wahl von Papst Franziskus dann auch wegen des neu geöffneten Weges für die CL-Missionierung begeistert gefeiert: „Wir danken dem Heiligen Geist, der Seiner Kirche eine neue Leitung geschenkt hat. So machen wir uns erneut auf den Weg, mit dem Wunsch, dem Papst mit unserer ganzen Person zu folgen und zu dienen, wie es uns Don Giussani gelehrt hat: „Das Antlitz jenes Menschen [Christus] ist heute die Gemeinschaft der Gläubigen. Sie ist Sein Zeichen in der Welt, oder – wie der Heilige Paulus sagt – sie ist Sein geheimnisvoller Leib, den man auch ‚Volk Gottes‘ nennt. Und dafür bürgt eine lebendige Person: der Bischofs von Rom.“
Rudolf Mondelaers