(hpd) Joseph Ratzinger, alias Benedikt XVI., wird von seinen Gefolgsleuten gerne als „brillanter Denker“ gefeiert. Thomas Rießinger, Professor der Mathematik, kommt für ihn und seine protestantischen (ebenfalls ehemaligen) BischofskollegInnen zu einem anderen Ergebnis: Ihre Theologie ist eine gemeinsame, eine ökumenische Bankrotterklärung.
Eine Rezension von Hubertus Mynarek.
Im Jahr 2007 erschien das Buch des Rezensenten: „Papst-Entzauberung“, das den Ratzinger-Papst biografisch und bibliografisch, theologisch, philosophisch und historisch entmythologisierte. Jetzt legt interessanterweise ein Mathematiker namens Thomas Rießinger nach und prüft mit beachtlicher mathematischer Schärfe und Klarheit drei Enzykliken des Ratzinger-Papstes sowie dessen zweites Buch über Jesus von Nazareth Punkt für Punkt, Satz für Satz, Aussage für Aussage auf deren Logik, Rationalität und Sinngehalt. Es handelt sich um die drei Enzykliken „Gott ist die Liebe“, „Auf Hoffnung hin gerettet“ und „Liebe in Wahrheit“ und um den Teil von Ratzingers Büchern über Jesus, der dessen Lebensweg vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung einschließlich beschreibt.
Was nicht passt, wird ignoriert
Nach ernsthafter Lektüre von Rießingers Buch kann man dem Ergebnis seiner Analysen kaum widersprechen. Rießinger zeigt, dass Ratzinger alias Benedikt XVI. „alles andere als ein scharfer oder tiefer Denker ist, seine angeblichen Resultate beruhen in der Regel auf einer Kombination aus Wunschdenken und Ausblendung der Realität… und von gedanklicher Tiefe kann in seinen Studien keine Rede sein“. Unbequeme Bibelstellen, die in Ratzingers Projekt eines total idealisierten und vergöttlichten Jesus nicht hineinpassen, ignoriert er. Zugleich bringt er Interpretationen vor, „die das gewünschte Ergebnis in Gestalt eines christlichen Glaubens bereits voraussetzten, das sie eigentlich erst gewinnen wollten… Das Prinzip, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, hat er mit bewundernswerter Konsequenz durchgehalten. Auf der Strecke geblieben ist dabei nur die Suche nach der Wahrheit, aber die darf man von einer Hermeneutik des Glaubens wohl nicht erwarten“.
Rießinger ist in seinen zahlreichen Widerlegungen der Ratzingerschen Behauptungen scharfsinnig, scharfzüngig, ironisch, aber nie zynisch, den guten Ton stets einhaltend. Auch stilistisch, von der Sprache und dem Verständnis her haben wir es bei Rießingers Buch mit einer gediegenen Aufklärungsschrift zu tun.
Das Theodizee-Problem
Rießinger zeigt auch sehr überzeugend bei einem Zentralproblem der Theologie, dem Theodizee-Problem, der Frage nach der Vereinbarkeit zwischen der Liebe Gottes und dem Elend der Welt, dass Papst Benedikts Erklärungen und Rechtfertigungen zu diesem Punkt völlig unzulänglich und der Schwierigkeit der Problematik nicht angemessen sind.
Ein besonderes „Schmankerl“ von Rießingers Schrift ist der Anhang über die Theologien „dreier prominenter evangelischer Theologen, nämlich Jürgen Moltmanns, Wolfgang Hubers und Margot Käßmanns. Spöttisch, aber von der Sache her hier nun wirklich begründet, weist Rießinger nach, „dass ihre Methoden sich von denen Ratzingers nicht wesentlich unterscheiden oder gar, wie im Falle Käßmanns, noch ein wenig schlimmer sind“.
Mit besonderer Dankbarkeit stellt der Rezensent fest, dass Rießinger auch bei dem berühmten evangelischen Theologen Moltmann nochmals Ratzingers Theodizee-Problematik anspricht, weil Ratzinger und Moltmann im Grunde die ganze Breite des Konsenses evangelischer und katholischer Theologie symbolisieren, des Konsenses nämlich, dass das Theodizee-Problem bereits dadurch glänzend gelöst sei, dass der christliche Gott ja kein deistischer, sich um die Welt nicht kümmernder Gott sei, sondern in und mit jedem leidenden Menschen zutiefst mitleide. Treffend sagt Rießinger dazu: „Was immer auch eine Gemeinschaft Gottes mit allen Menschen im gemeinsamen Elend sein mag – das Elend des Einzelnen wird durch den Gedanken, dass auch Gott leidet, durchaus nicht weniger schmerzhaft“.
1992 schrieb der Rezensent in seinem Buch „Denkverbot“: „Gegenüber all den lächerlichen Versuchen, dem christlichen Gott das Leid der Welt nicht anzulasten, ist eindeutig zu konstatieren: Wenn die christliche, aber auch die jüdische, die islamische, überhaupt jede monotheistische Doktrin ausnahmslos Gott als den Absoluten, Allmächtigen und den Grund aller Dinge verkündet, was sie ohne jeden Zweifel tut, dann ist dieser Gott auch erstursächlich und voll verantwortlich für alles Negative, für alles Übel und Leid, das in dieser Welt geschieht… Angesichts dessen wird die These vieler heutiger Theologen von seinem Mitleiden mit den Geschöpfen zum so ziemlich Makabersten, das man sich denken kann: Der christliche Gott als der Universale Sado-Masochist, als ein sado-masochistisches Monstrum!... Sadistisch erschafft er die Welt mit all ihren Übeln und Leiden, masochistisch erleidet er sie!“
Man bedenke: Über zwei Jahrzehnte trennen diese Aussage des Rezensenten und Rießingers Buch. Dennoch tauchte in dieser Zwischenzeit wenig Kontroverses und Polemisches gegen diesen evangelisch-katholischen Schachzug der „Rettung“ Gottes angesichts des Übels in der Welt in der philosophischen und theologischen Literatur auf! Wie gut, dass Rießinger noch einmal den Finger auf dieses bleibende Unvermögen der Theologie beider Konfessionen legt, eines ihrer zentralsten Probleme zu lösen.
Auch in Bezug auf Moltmann, der ja eigentlich nur dadurch berühmt wurde, dass er der Schnellste in der Rezeption von Ernst Blochs drei Bänden „Das Prinzip Hoffnung“ für die Theologie war, indem er das Buch „Theologie der Hoffnung“ verfasste, konstatiert Rießinger: „Auch unter evangelischen Theologen sind der Fähigkeit zur Selbsttäuschung keine Grenzen gesetzt“.
Wolfgang Huber
Nicht ohne Grund hat Rießinger als weiteren Theologen neben Moltmann Wolfgang Huber und dessen Theologie heran- und einer rationalen Prüfung unterzogen. Immerhin gilt Huber etwas in der evangelischen Theologie, war Theologieprofessor an der Uni Heidelberg, danach Bischof von Berlin-Brandenburg und von 2003 – 2009 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Das Fazit Rießingers nach gründlicher Untersuchung der Theologie dieses hochrangigen Vertreters des deutschen Protestantismus: „Die freundlichen Vorstellungen Hubers sind mit der biblischen Lehre nicht vereinbar und beruhen darauf, dass er ihm genehme Textstellen hervorhebt und die große Anzahl der unangenehmen unter den Tisch fallen lässt… Wer aber bei der Auswahl der Quellen ein derartiges Ausmaß an Schönfärberei betreibt, setzt sich dem Verdacht aus, dem Wunschdenken den Vorzug vor der Wahrheitssuche zu geben. Nach dem gleichen Verfahren geht auch Joseph Ratzinger immer wieder gerne vor. Vielleicht lässt sich auf dieser … Basis die Ökumene vorantreiben“.
Margot Käßmann
Noch weit niedriger muss man das Bild hängen, wenn man sich mit der Theologie Margot Käßmanns befasst. Dementsprechend vernichtend fällt das Urteil Rießingers über sie aus: „Manchmal bezieht sie Positionen zu konkreten Problemen unserer Zeit, vergisst dabei aber, die Realität wenigstens ein wenig in ihren Betrachtungen zu berücksichtigen, sondern zieht es vor, selbstgerechte moralische Allgemeinplätze zu präsentieren. In der Regel beschränkt sie sich aber darauf, Alltagsgeschichten zu berichten und daraus freundliche Lehren für den Hausgebrauch zu ziehen, die meistens darauf hinauslaufen, dass dies und das der Fall ist, das Gegenteil aber eigentlich auch, und dass man zwischen beiden die Balance wahren sollte. Und gelegentlich wagt sie sich auch auf das gefährliche Feld der Theologie und Bibelinterpretation, wobei sie großzügig alles ignoriert, was ihrem persönlichen Geschmack nicht entspricht, und auf diese Weise Deutungen produziert, die jeder Beschreibung spotten. Wer seine Freude an moralisch garnierten Banalitäten hat, der darf sich bei Margot Käßmann gut aufgehoben fühlen“.