(hpd) Hubertus Mynarek legt eine Streitschrift vor, worin anhand von Zitaten die bedenklichen Positionen dieses wohl über die Jahrhunderte wirkmächtigsten Deutschen veranschaulicht werden. In deren Dokumentation besteht die Stärke des ansonsten eher polemisch gehaltenen Bandes mit einer insgesamt aber anerkennenswerten aufklärerischen Bedeutung.
Martin Luthers Schritt zur Reformation, der mit dem Vorlegen der 95 Thesen verbunden ist, jährt sich 2017 zum fünfhundertsten Mal. Bereits jetzt haben nicht nur die protestantischen Kirchen mit Vorbereitungen zur feierlichen Erinnerung an dieses Ereignis begonnen. Doch dürfte bis in das Jubiläumsjahr hinein die kritische Auseinandersetzung mit diesem wohl über die Jahrhunderte historisch wirkmächtigsten Deutschen nur geringe Aufmerksamkeit finden.
Luthers historisch-politische Rolle wird nur selten hinsichtlich seiner Aufrufe zur brutalen Unterdrückung der Bauern oder Hetze gegen die religiöse Minderheit der Juden problematisiert. Von daher verdient auch eine frühe kritische Streitschrift gegen ein allzu heroisierendes und idealistisches Bild des Mönchs aus Wittenberg besondere Aufmerksamkeit. Der Religionswissenschaftler und Theologe Hubertus Mynarek, der bereits 1972 aufgrund von Demokratiedefiziten und Zölibat mit der katholischen Kirche brach, legte eine solche unter dem Titel „Luther ohne Mythos. Das Böse im Reformator“ vor.
Bereits im Vorwort macht der Autor die inhaltliche Stoßrichtung seiner Abhandlung deutlich: „Was Luther gegen und über den Papst und das Papsttum sagte ..., was er an grässlichen Hassbildern gegen diese Institution anfertigen und verbreiten ließ, lässt jede Polemik heutiger Kirchenkritiker blass und geradezu vornehm erscheinen. Was Luther gegen Frauen, Ketzer, Sektierer, Leibeigene, die keine mehr sein wollten, Juden, Prostituierte, gegen die Philosophie, Philosophen und Humanisten an schärfstem Gift versprühte, ist auf seine Weise einzigartig, weil ihm diesbezüglich kein anderer Religionsstifter, kein Reformator auch nur annähernd das Wasser reichen kann“ (S. VIIf.).
In den folgenden elf Kapiteln will Mynarek diese Einschätzung mit einschlägigen Quellentexten zu Äußerungen Luthers und dessen Positionen zu den verschiedensten Themen belegen: Nach der Schilderung des Bekehrungserlebnisses geht es um die Einstellung zu Bauern und Frauen, Gott und Juden, Ketzer und Papst, Sexualität und Staat, Vernunft und Willensfreiheit.
Mynarek spricht dabei etwa von der „krankhaften Obsession“ (S. 9) Luthers bei der vehementen Kritik an der katholischen Kirche und ihrem Papst. Gleichzeitig habe er aber auch in den rebellischen Bauern eine Inkarnation des Bösen gesehen und zum Totschlagen dieses „Packs“ aufgerufen. Dem Dogmatismus und Fanatismus der Kirche stand der Reformator demnach in nichts nach: „Der Hexen-, Ketzer- und Sektenjäger Luther verteufelt und verfolgt in seinem Wahn, der einzige wahre Verkünder des Evangeliums zu sein, alle, die von seiner Glaubens- und Moraldoktrin abweichen“ (S. 25).
Sein Hass auf die Juden habe ihm später dann zweifelhafte Wertschätzung von besonderer Seite eingebracht, denn: „Hitler selbst hat auch mehrfach betont, dass er sich in der Judenfrage mit Luther eins wisse“ (S. 39). Auch für den Untertanengeist macht Mynarek den Reformator mit verantwortlich: „Wie kein anderer christlicher Religionsführer hat er den totalen Sklavengehorsam der Untertanen gegenüber der Obrigkeit gelehrt und befohlen ...“ (S. 62).
Mynarek kann all seine Detaileinschätzungen durch eine Fülle von Luther-Zitaten belegen. In einzelnen Fragen, wozu etwa die Einstellung zu den Bauern oder den Juden gehören, fehlen sogar besonders drastische Auffassungen und Forderungen. Gerade in der Dokumentation der mehr als nur problematischen Positionen des Reformators besteht das Verdienst des Bandes, der damit eine wichtige aufklärerische Funktion erfüllt.
Da viele der Zitate auch unter Berücksichtigung des historischen Kontextes für sich sprechen, verwundert mitunter die unnötig harsche und polemische Kommentierung Mynareks. Auch muss er unbedingt bezogen auf seine eigenen Auffassungen postulieren: „Nur die Wahrheit macht wirklich frei!“ (S. XII). So etwas nehmen ja viele philosophische und politische Akteure für sich in Anspruch. Darüber hinaus wirkt das Buch wie eine Anklageschrift, was angesichts des einseitig positiven öffentlichen Bildes auch verständlich sein mag. Gleichwohl hätte man sich auch eine historisch-politische Einordnung im allgemein-kritischen Sinne gewünscht.
Armin Pfahl-Traughber
Hubertus Mynarek, Luther ohne Mythos. Das Böse im Reformator, Freiburg 2012 (Ahriman-Verlag), 115 S., 12,80 €.
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.