Keine Sonderrechte bei kirchlichen Trägern

DÜSSELDORF. (hpd) Der Bundes-Gewerkschaftstag der Gewerkschaft Erziehung und Wissen­schaft (GEW) hat am 16. Juni 2013 mit großer Mehrheit den vom Landesverband Baden Württemberg eingebrachten Antrag zu den kirchlichen Beschäftigungs­verhältnissen beschlossen und sich damit entschieden gegen die dortigen Sonder­rechte ausgesprochen.

Dokumentation des Antrag und seine Begründung.

Antrag: Keine Sonderrechte für die Beschäftigungs­verhältnisse bei kirchlichen Trägern

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft  setzt sich dafür ein, dass die Sonder­rechte für die Beschäftigungsverhältnisse bei kirchlichen Trägern abgeschafft werden. Über die für alle Tendenz­betriebe geltenden Besonder­heiten hinaus dürfen die Rechte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht beschnitten werden. Die Sonderregelungen für religiöse oder welt­anschauliche Einrichtungen nach § 118 Abs. 2 Betriebs­verfassungs­gesetz und § 9 Allgemeines Gleich­behandlungs­gesetz sind zu beenden. Den Beschäftigten der Kirchen und ihrer Organi­sationen, vor allem Diakonie und Caritas, sind Mitbe­stimmung, Koalitions­freiheit und Tarif­freiheit zuzubilligen. Die Religions­zugehörigkeit oder das religiöse Verhalten dürfen jenseits eines engen, in heraus­ragender Weise religiös oder weltan­schaulich geprägten Kern­bereiches von Beschäftigungs­verhältnissen kein Einstellungs- oder Entlassungs­grund sein.

Begründung

  • In kirchlichen Einrichtungen gilt das Betriebs­verfassungs­gesetz nicht: "Auf Religions­gemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform" findet das Gesetz keine Anwendung (§ 118, Absatz 2). Die Kirchen praktizieren ein eigenes kirchliches Arbeits­recht, das in wichtigen Punkten vom allgemeinen Arbeits­recht abweicht und mit mehreren Grund­rechten kollidiert. Für die über eine Million Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen, vor allem von Caritas und Diakonie, hat dies weitreichende negative Folgen.
  • Dort gilt eine besondere Loyalitäts­pflicht, nicht nur für das Verhalten am Arbeits­platz, sondern sie reicht bis ins Privat­leben der Beschäftigten: Konfessions­lose Menschen und Angehörige nicht­christlicher Religions­gemeinschaften finden in diesen Einrichtungen generell keine Anstellung. Die Beschäftigten sehen sich damit konfrontiert, dass ein Verstoß gegen kirchliche Moral­vorstellungen mit einer - gegebenen­falls sogar fristlosen - Kündigung geahndet werden kann. Zu diesen "Vergehen" zählen ein Kirchen­austritt bzw. der Über­tritt zu einer anderen Religion, eine offen gelebte Homosexualität, die Wieder­verheiratung nach einer Scheidung oder eine kirchlichen Auf­fassungen wider­sprechende öffentliche Meinungs­äußerung (z. B. das Eintreten für die ersatzlose Streichung des § 218 StGB).
  • Egal ob die Mitarbeiter im Bereich der Verkündigung oder Seelsorge tätig sind oder ob sie als Arzt/in, Altenpfleger/in, Erzieher oder Erzieherin, Schuldnercoach oder Reinigungs­kraft arbeiten - nach Auffassung der Kirchen tragen alle diese Tätig­keiten zu ihrem Verkündigungs­auftrag bei ("Verkündigung durch die helfende Tat am Nächsten"). Folglich verlangen die kirchlichen Einrichtungen von ausnahmslos allen Beschäftigten die Einhaltung einer besonderen Loyalitäts­pflicht.
  • Leider stützen die höchsten deutschen Gerichte diese sehr weitgehende Inter­pretation kirchlicher Selbst­verwaltung bislang. Auch das Allgemeine Gleich­behandlungs­gesetz schafft hier keine Abhilfe, da es in den §§ 9 und 20 eine "zulässige unter­schiedliche Behandlung" erlaubt. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Praxis im Grundsatz bestätigt, allerdings in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 eine Prüfung des jeweiligen Einzel­falls angemahnt.
  • Ferner müssen die Beschäftigten in kirch­lichen Einrich­tungen auf grund­legende Arbeit­nehmer­rechte verzichten: In kirch­lichen Einrichtungen wird der sogenannte Dritte Weg praktiziert. Dieser beruht auf der Vor­stellung, dass sich - anders als in privatwirtschaftlichen Unternehmen oder dem öffentlichen Dienst -Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht als Vertreter gegen­sätzlicher Interessen gegen­überstehen, sondern in einer "Dienst­gemeinschaft" zusammen­arbeiten. Daraus ergibt sich, dass der "Dritte Weg" kein Streik­recht kennt und ein Betriebs­rat nicht vorgesehen ist.
  • Für die Beteiligung der Arbeit­nehmer/innen gibt es in Ein­richtungen in kirch­licher Träger­schaft anstelle von Betriebs- oder Personal­räten; lediglich "Mitarbeiter­vertretungen": Zur Klärung strittiger Fragen, die die "Betriebs­verfassung" betreffen, treffen sich die "Dienst­nehmer" und die "Dienst­geber" in einem paritätisch besetzten Gremium. Dort sollen für anstehende Konflikte einver­nehmliche Regelungen gefunden werden; diese müssen die Zustimmung von 75 % der Beteiligten finden. Gelingt dies nicht, liegt das "Letzt­entscheidungs­recht" beim zuständigen Bischof.
  • Deshalb werden in Einrichtungen, in denen der Arbeits­alltag nahezu identisch ist, drei verschiedene "Betriebs­verfassungen" angewandt: In einem Kranken­haus in kirchlicher Träger­schaft (Caritas oder Diakonie) gilt das kirchliche Arbeits­recht, in kommunalen oder Universitäts­kliniken wird das Personal­vertretungs­gesetz angewandt und in einem Krankenhaus, das von der Arbeiter­wohlfahrt oder einem Privat­unternehmer betrieben wird, gilt das Betriebs­verfassungs­gesetz.
  • Das kirchliche Arbeits­recht hat zur Folge, dass in Kranken­häusern, Kinder­tages­stätten oder Sozial­stationen, die völlig oder weitest­gehend aus öffent­lichen Mitteln bezahlt werden, die Grund­rechte nicht unein­geschränkt gelten. Insbe­sondere das Recht auf Religions- und Welt­anschauungs­freiheit ist faktisch außer Kraft gesetzt. Dies führt zum Phänomen der "Zwangs­konfessionalisierung": Manche Menschen bleiben nur deshalb Mitglied in einer der beiden großen christ­lichen Kirchen, weil sie anderswo keinen Arbeits­platz finden oder um ihre berufliche Zukunft fürchten.
  • Diese Sonder­stellung kirchlicher Sozial­einrichtungen ist das Ergebnis intensiver Lobby­arbeit der Kirchen und der Kirchen­treue vieler Abgeordneten in den Parlamenten. Sie widerspricht dem Geist des Grundgesetzes ebenso wie dem der europäischen Anti­diskriminierungs­richtlinien.

Das darf so nicht bleiben!