Türkei-Konflikt in Österreich angekommen

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Taksim-Platz, Gezi Park Istanbul / Foto: Alan Hilditch (flickr)

WIEN. (hpd) Der Konflikt in der Türkei ist in Österreich angekommen. Nicht nur, dass Anhänger des türkischen Premiers Erdogan auf die Straße gehen wollen. Auch in der heimischen Politik ist ein Streit entbrannt, wie man es mit Anhängern von Erdogans Partei AKP halten soll. Ausgerechnet in der Partei, in der man es am wenigsten erwartet hätte.

Am Sonntag könnte Ausnahmezustand in Teilen Wiens herrschen. Bis zu 5.000 österreichischstämmige Türken werden demonstrieren – um die de facto Abschaffung der Demonstrationsfreiheit in der Türkei zu feiern. Sie sind Anhänger der konservativen türkischen Partei AKP und ihres Vorsitzendem, dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Sie finden sein hartes Vorgehen gegen Demonstranten im Gezi-Park und am Taksim-Platz in Istanbul toll. Erdogan hatte dort die Polizei auf Demonstrierende einprügeln lassen.

Die Ankündigung der Pro-Erdogan Demonstration in Wien dürfte bei Efgani Dönmez, Bundesrat der Grünen, die Sicherungen durchbrennen haben lassen. Er forderte Ein-Weg-Tickets für österreichische Erdogan-Anhänger in die Türkei.

Innerhalb der Grünen hagelte es Rücktrittsaufforderungen. Denen schloss sich ein offenbar auch eher konservativ ausgerichteter Verein namens „New Vienna Turks“ an, den bis dahin bestenfalls Eingeweihte gekannt hatten – der aber munter für sich in Anspruch nimmt, für die gesamte türkischstämmige Community in Österreich zu sprechen.

Peter Pilz dreht an Eskalationsschraube

Dönmez hat die Aussage zwischenzeitlich zurückgezogen. Was die Lage nur oberflächlich beruhigt hat. Sein Parteikollege Peter Pilz, langjähriger Abgeordneter zum Nationalrat, hat am Donnerstag weiter an der Eskalationsschraube gedreht und gegenüber der Tageszeitung „Der Standard“ sinngemäß gesagt, für allzu aktive Erdogan-Unterstützer solle es halt keine Staatsbürgerschaft mehr geben.

Zurück zu Dönmez. Seine mittlerweile zurückgezogene Aussage ist mit Sicherheit entbehrlich. Die Reaktionen darauf waren es zum Großteil auch. Man muss Dönmez mehr Verständnis entgegenbringen als einem FPÖ-Politiker, der das gleiche gesagt hätte (und von denen es sicher viele an Stammtischen gesagt haben werden). Dönmez hat, wie er auch selbst sagt, aus einer persönlichen Betroffenheit heraus agiert – und nicht, im Unterschied zur FPÖ, aus einem mehr oder weniger völkisch inspirierten Überlegenheitsgefühl Türken generell gegenüber.

Dönmez hat keine Sympathien für Dikatoren

Im Gegensatz zur FPÖ kann man Dönmez nicht nachsagen, in der Vergangenheit Sympathien für Diktatoren geäußert zu haben, gegen die Erdogan nahezu wie ein Demokrat wirkt. Ohne letzteren verharmlosen zu wollen, in einer anderen Liga als Ramsan Kadyrow oder seinerzeit Muhamar Gadaffi oder Saddam Hussein spielt er auch nach dem Gezi-Park allemal. Für die drei letztgenannten haben sich namhafte FPÖ-Vertreter ins Zeug gelegt.

Landsleute? Wie bitte?

Es ist auch Dönmez, der ungewollt mit allen anderen türkischstämmigen Österreichern in einen Topf geworfen wird. Dank jahrzehntelanger rechter Propaganda werden diese als mehr oder weniger homogene Gruppe wahrgenommen. Ein Denkmuster, das sich auch im linksliberalen Standard niederschlägt. Dort schreibt Redakteurin Nina Weißensteiner in einem Kommentar: „Wenn der türkischstämmige Grüne Efgani Dönmez jenen Landsleuten One-Way-Tickets verpassen will, die den Premier der Türkei immer noch unterstützen, obwohl er tausende Demonstranten niederknüppeln lässt, hat das eine andere Qualität, als wenn die Blauen Rückführungen von allen möglichen Andersartigen im Land verlangen.“

Landsleute? Wie bitte? Dass die Eltern von Dönmez und von Erdogan-Unterstützern im gleichen Land geboren wurden, macht sie noch lange nicht zu Landsleuten. Dönmez vertritt auch nicht türkischstämmige Österreicher im Parlament sondern das Bundesland Oberösterreich mit seiner gesamten Bevölkerung. Unabhängig von der Herkunft. Was soll das Gefasel von Landsleuten?

Türke bleibt Türke

Es ist bezeichnend, wenn eine progressive Redakteurin und ein ausgesprochener Kämpfer für Menschenrechte wie Peter Pilz in die gleiche Falle tappen, wie es die FPÖ dauernd tut. Türke bleibt Türke, wurscht was er tut. So geht ja auch Pilz implizit davon aus, dass Menschen, die Erdogan unterstützen, noch keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. Bleibt die Frage, wie er auf die Idee kommt. Abgesehen davon, dass sein Vorschlag auf Gesinnungsschnüffelei hinausläuft.

Österreich ist ein demokratischer Rechtsstaat. Hier hat man auch das Recht, eine dumme politische Meinung offen zu vertreten, wie das die Anhänger von Erdogan tun. Außerdem ist die österreichische Staatsbürgerschaft schon an genug schikanöse Bedingungen gebunden, die geeignet sind, schlecht ausgebildete Migranten in die Arme derer zu treiben, die sie, wie Erdogan, mit nationalistischen Parolen in Empfang nehmen.

Konflikt nicht primär religiös

Schade ist auch, dass die leidige Sache hier vorwiegend unter religiösen Gesichtspunkten gesehen wird. Der Konflikt in der Türkei und seine Fortsetzung hierzulande sind ein Konflikt zwischen demokratischer und autoritärer Staatsauffassung. Die AKP agiert hier vorwiegend als autoritäre Bewegung, nicht als islamistische – wiewohl das eine nicht leicht vom anderen zu trennen ist. Aber es hat auch säkulare Bewegungen in der Türkei (und natürlich anderswo) gegeben, die Demonstranten niederknüppeln haben lassen. Wer heute für Erdogan auf die Straße geht, outet sich nicht primär als Muslim oder Islamist sondern vorwiegend als Mensch, der Probleme mit demokratischen Freiheiten an sich hat. Egal aus welchen Motiven.

Blick bleibt auf „türkisches Problem“ fixiert

Es lässt auch tief blicken, dass sich eine solche Debatte an den Unruhen in der Türkei entzündet und sozusagen rein im türkischen Fach bleibt. Als ob es unter Migranten anderer Herkunft keine mehr oder weniger organisierten Sympathien für kaum demokratischere Bewegungen in ihrer jeweiligen Heimat gebe. Man denke an Palästinenser, zum Teil an Serben, an Kroaten, an frisch zugewanderte Ungarn … Um nur einige zu nennen (an bayerische CSU-Anhänger will man da gar nicht denken). Die werden nicht mal erwähnt.

Das ist schade. Diese Debatte hätte die Möglichkeit eröffnet, sich mit dem Einfluss ausländischer politischer Bewegungen auf migrantische Gruppen auseinanderzusetzen.

Zugegeben, die Türkei und die AKP dürften hier das größte Problem sein. Die türkische Regierung (und damit indirekt die AKP) spielen über die ATIB, einen Ableger der türkischen Religionsbehörde, tief hinein ins religiöse Leben türkischstämmiger Muslime in Österreich. Die ATIB mischt auch in der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) mit.

Das gehört ausdiskutiert

Das sind bedenkliche Entwicklungen, die allerdings jedem halbwegs interessierten Menschen in diesem Land bekannt sein müssten. Dagegen sollte man auch etwas tun – indem man die Aktivitäten zum Beispiel der ATIB unterbindet oder einschränkt. Hier lebende Anhänger zu bestrafen, und sei es durch kollektive gesellschaftliche Missachtung, ist der falsche Weg. Ein erster Schritt wäre jedenfalls, die Aktivitäten genauer zu untersuchen und herauszufinden, wie groß der Einfluss der ATIB wirklich ist, wie viele Menschen sie wirklich mobilisieren kann, welche Summen fließen und woher etc. etc. Gleiches gilt für lokale AKP-Ableger und die Milli-Görüs-Bewegung.

Allerdings gibt es ähnliche Phänomene auch bei nicht-türkischstämmigen und nicht-muslimischen Migranten. Das bringt eine multikulturelle Gesellschaft mit sich. Das mag unangenehm sein. Eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat ist es nicht. Aber etwas, gegen das man etwas unternehmen kann. Auch das gehört einmal ausdiskutiert. In aller Ruhe.

Christoph Baumgarten