„... ohne Wenn und Aber“

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Käthe Kruse mit einigen ihrer ersten Puppen / Foto: Archiv Max Kruse

PENZBERG/BERLIN. (hpd) Jetzt in diesen Tagen wäre Käthe Kruse 130 Jahre alt geworden. Wer war Käthe Kruse? Die Mutter von Max Kruse, das ist aber nur ein Teil der Antwort.  Sie war die berühmteste Puppen-Macherin der Welt, hatte eine „Weltfirma“, die war klein, ihr Name war groß“, sind die knappen Worte von Max Kruse, dem jüngsten Sohn von Käthe  in seiner Autobiografie „Im Wandel der Zeit – Wie ich wurde, was ich bin“.

hpd: Herr Kruse, in diesen Tagen wäre Ihre Mutter 130 Jahre alt geworden. Im vergangenen Jahrhundert, besonders aber in den Jahren der Weimarer Republik gehörte sie zu den bekanntesten Frauen Deutschlands. Die Käthe Kruse Puppen haben Maßstäbe gesetzt. Darüber wird auch jetzt sicher wieder viel geschrieben werden. Außerdem hatte sie sieben Kinder, und Sie sind ihr jüngstes und das letzte noch Lebende. Zugleich, und darauf will ich hinaus, haben Sie uns Ihre Mutter und die Zeit Ihrer Jugend aus einem ganz anderem, höchst privaten Blickwinkel nahe gebracht und die private Käthe Kruse geschildert.

Max Kruse: Ja, meine Jugendbiographie, die Sie ansprechen heißt nicht umsonst „Im Wandel der Zeit“. Sie umfasst den Zeitraum von 1921, die schlimmen Jahre der Wirtschaftskrisen, die Nazizeit, den zweiten Weltkrieg, den  Wiederaufbau und das Entstehen der Bonner Republik bis 1949 – Jahre, die wahrhaftig nicht arm an Wechselfällen waren. Dazu die rasante technische Entwicklung.
 

hpd: So ist es. Wir lernen Ihre Mutter in Ihrem Buch als eine äußerst kreative und tüchtige Unternehmerin, aber vor allem auch als überaus liebevollen, warmherzigen und hilfsbereiten Menschen kennen. Sehe ich das richtig?

MK: Absolut. Sie war, im wahrsten Sinne des Wortes, eine außergewöhnliche Frau. Bedenken sie, sie kam aus den ärmlichsten Schichten des Kaiserreiches. Von daher hatte sie praktisch keine Aufstiegschancen, sie wäre vielleicht Dienstmädchen geworden oder Näherin, wie ihre eigene Muter, meine Großmutter, bei der oft der Hunger drohte. Aber sie setzte sich durch – auf welche Weise und wie sie erreichte, was sie wurde, wird ausführlich in der Biografie „Käthe Kruse“ von Gabriele Katz beschrieben. Übrigens wird es diese Weihnachten auch einen abendfüllenden Fernsehfilm „Käthe Kruse“ geben. Darauf brauche ich wohl nicht weiter einzugehen. Jedenfalls hat sie mir, und soweit möglich allen Menschen, auf deren Leben sie Einfluss hatte, das ermöglicht, was laut Theodor Adorno eigentlich unmöglich ist.
 

hpd: Was meinen Sie damit?

MK: Adorno hat gesagt: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“. Ich erlaube mir, dem zu widersprechen. Ich habe mein Leben sogar während der Nazizeit und im Krieg durchaus als „richtiges Leben“ empfunden, trotz der gewiss mehr als falschen Zeitumstände – freilich kann ich das erst jetzt, im Alter beurteilen. Damals war mir alles selbstverständlich. Ich habe nicht darüber nachgedacht. Das tut wohl kein Kind.      
 

hpd: Sie waren als Kind oft krank oder mindestens gefährdet, waren vom regulären Schulbesuch befreit, haben viel gelegen, unendlich viel gelesen und als Hitler die Macht ergriff und der Reichstag brannte, brachte Ihre Mutter sie in ein Kinderheim nach Arosa, in die neutrale Schweiz.

MK: Da blieb ich anderthalb Jahre, denen sich noch ein vierteljährlicher Aufenthalt in Ascona anschloss. Zwar hatte ich in Arosa oft schlimmes Heimweh und doch verdanke ich diesen Jahren unendlich viel an Erlebnissen und Begegnungen und möchte sie nicht missen. Übrigens, auch damals ging ich nicht in die Schule und das blieb so, bis ich mich mit knapp zwanzig Jahren selbst entschloss, das Abitur zu machen, was meine Mutter lakonisch mit: „Du bist ja verrückt, da steckt doch ein Frauenzimmer dahinter“ kommentierte. Sie hatte Recht, aber das würde hier zu weit führen. Meine Schulzeit kann man gern, wenn man will – eine Komödie nennen.
 

hpd: Ja, das schildern Sie in Ihrem Buch  amüsant und mit viel Selbstironie. Ein „Frauenzimmer“ oder besser gesagt ein junges Mädchen hat später aber doch einen maßgebenden Einfluss auf Ihr weiteres Leben gehabt.

MK: Richtig. Es, also sie, war das, was man damals als „Halbjüdin“ abstempelte. Die Nürnberger Gesetze waren bereits in Kraft. Mechthild durfte weder studieren noch eine andere vernünftige Ausbildung machen. Einen „Arier“ heiraten, schon gar nicht. Sogar, als sie ihr so genanntes Pflichtjahr machen musste, wollte sie in ihrer Heimatstadt Stuttgart niemand bei sich aufnehmen. Unser Verhältnis hätte, wäre es herausgekommen, als „Rassenschande“ mit dramatischen Konsequenzen für sie und für mich gegolten. Und doch hat meine Mutter keine Sekunde gezögert, meine Freundin für das Pflichtjahr zu uns nach Bad Kösen anzufordern und hat sie danach sogar noch pro forma als „Sekretärin“ behalten.

Beispielbild
Käthe Kruse mit ihrem Sohn Max, 1940er Jahre
Das alles wurde möglich, weil der Leiter des zuständigen Arbeitsamtes Naumburg ein Antinazi war und die Frage nach der „Rasse“ in den notwendigen Papieren „versehentlich“ nicht ausfüllte. Zum Glück hat es niemand bemerkt. Meine Mutter nahm damit ein enormes Risiko auf sich, sie wusste ja, wie es um uns stand, sie beging also nicht nur „Kuppelei“, sie duldete, viel schlimmer noch, die „Rassenschande“ und hat dabei die schlimmste Konsequenzen, bis hin zur Schließung ihrer Werkstätten, in Kauf genommen. Aber sie folgte auch hier nur ihrem Herzen, ohne Wenn und Aber. Alles lief dann ganz reibungslos ab, Mechthild und ich hatten, trotz des Krieges und trotz Naziherrschaft eine fast idyllisch schöne Zeit – abgesehen von all den tragischen Ereignissen. Nach dem Krieg heirateten wir und bauten die erste Werkstätte der Käthe Kruse Puppen, damals in Bad Pyrmont, in der britischen Besatzungszone auf, da meine Mutter der Meinung war, in Bad Kösen, der Sowjetzone und späteren DDR, nicht bleiben zu können. Was ja auch stimmte, der Betrieb wurde 1952 enteignet.
 

hpd: Dabei wollten Sie doch eigentlich schon von Kind auf nichts anderes, als Schriftsteller werden.

MK: Ja. Auch davon erzähle ich in meiner Biografie. Leider würde das nun den Rahmen dieses Interviews sprengen. Vielleicht können wir darüber ein andermal reden – auch da gibt es mehr zu erzählen als vom Löwen und vom Urmel. Dann sollten meine anderen Bücher auch einmal ihre Chance bekommen.
 

hpd: Herr Kruse, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Die Autobiografie  „Im Wandel der Zeit – wie ich wurde, was ich bin“ teilt Max Kruse in  drei Abschnitte: ‚Die Versunkene Zeit’ stellt die Familie vor und führt zurück in die Herkunft der Eltern. Bei seiner Geburt 1921 war seine Mutter Käthe Kruse, später zärtlich ‚Käthchen’ genannt, 38 Jahre alt; der Vater Carl Max Kruse, 68 Jahre, wurde von ihm als meist schweigende „Sagengestalt “ wahrgenommen. Die Brüder, das Eselchen, erste Liebe, bildende Kunst ... schon vom Kinderleben an schwingt hedonistischer Lebensgenuss mit, bis (fast) zur letzten 586. Seite.

‚Die behütete Zeit’  - Mutter Käthe, die Familie, Begegnungen, Werkstatt, Puppen, die erste Liebe, aber auch Berlin im Fahnenmeer, die Olympischen Spiele, Kriegsausbruch, der Österreich-Anschluss, Tod des Vaters, Sterben im Krieg, Flucht, Kriegsende und Käthe Kruse mit: „Weißt Du, ohne Hoffnung kann man nicht Leben.“

‚Die verwandelte Zeit’ ist geprägt von Arbeit, der Frage nach Standorten für eine  neue Käthe-Kruse-Werkstatt in der britischen oder amerikanischen Zone, von Liebe, der Währungsreform, Politik, dem 60. Geburtstag von Käthe Kruse und ihren Auszeichnungen.

Max Kruse schließt die Autobiografie mit einem Epilog und den von ihm erlebten Entwicklungen, z. B. „ ... vom Pferdewagen zum Düsenjet, von der Amputation bei Bewusstsein mit der Säge bis zur Narkose und der Herztransplantation“.

Ich habe das Buch von Max Kruse, von seiner Mutter „Herzlieb" genannt, gern gelesen, jeden Buchstaben, jedes Wort und habe noch mehr Freude an den Charakteren, mit denen er als Autor seine Figuren geprägt hat mit ihren Besonderheiten, dem Nuscheln, der Leselust von Tim Tintenklecks, dass Ping nicht Menschen sondern „Menpfen“ sagen muss...

„Max Kruse“ ist in der Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt  mit 337 Treffern  registriert, das ist incl. der fremdsprachigen Ausgaben beispielsweise auch koreanisch, incl. Gesamtausgaben.

Evelin Frerk
 

Max Kruse,  „Im Wandel der Zeit – Wie ich wurde, was ich bin“. Thienemann, 589 Seiten, ISBN 978 3 522 201 20 9, EUR 19,95.