Mikrobiologinnen und -biologen der Max-Planck-Institute für terrestrische Mikrobiologie in Marburg und für marine Mikrobiologie in Bremen haben einen Stoffwechselweg entdeckt, der eine wichtige Rolle beim mikrobiellen Abbau der Algenbiomasse im Ozean spielt. Die Aufklärung der genauen Abläufe auf molekularer Ebene bis hin zum Nachweis der weltweiten Verbreitung liefern wertvolle Informationen für künftige Berechnungen der Kohlendioxid-Bilanz der Weltmeere.
Von Charles Darwin ist überliefert, dass er im "klaren blauen Wasser" des Ozeans etwas vermutete, das noch kleiner sei als die Protozoen, die er im Mikroskop erkennen konnte. "Heute wissen wir, dass jeder Liter Ozeanwasser von Hunderten von Millionen Mikroorganismen wimmelt", erklärt der Meeresforscher Rudolf Amann, Direktor am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen. Sein Kollege Tobias Erb vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg ergänzt: "Obwohl sie selbst nur Mikrometer klein sind, bestimmen sie durch ihre schiere Anzahl und ihre hohe Stoffwechselrate maßgeblich den Energiefluss und den Umsatz von Biomasse in den Weltmeeren."
Während einzellige Algen, auch bekannt als Phytoplankton, Kohlendioxid in Biomasse umwandeln, kommen andere Mikroorganismen vor allem dann zum Zuge, wenn die Algen den fixierten Kohlenstoff ausscheiden oder – manchmal schlagartig, wie nach der sogenannten Algenblüte – absterben. Noch im Oberflächenwasser verarbeiten die Einzeller viele Tausend Tonnen der Algen-Biomasse. Eine der wichtigsten Verbindungen im Ozean ist dabei die Glycolsäure, ein direktes Nebenprodukt der Fotosynthese. Diese wird von marinen Bakterien teilweise wieder in Kohlendioxid zurück verwandelt. Doch hier wurde das Bild bislang unscharf: das genaue Schicksal des Kohlenstoffs in der Glycolsäure war nicht bekannt.
Um sinnvoll einschätzen zu können, wie es um den weltweiten Kohlenstoffkreislauf steht, darf die Gleichung aber nicht zu viele Unbekannte haben. Um die Konsequenzen auf globaler Ebene und für den Klimawandel zu verstehen, ist eine genaue Kenntnis des bakteriellen Abbaus der Algen-Biomasse unabdingbar. Dazu brauchen wir jedoch Grundlagenforschung zu Lokalisierung, Rate und Umfang der Nährstoffnetze im Ozean. Was geschieht also mit dem Kohlenstoff der Glycolsäure, bei dem es global immerhin um Stoffmengen im Bereich von einer Milliarde Tonnen pro Jahr geht?
Der vergessene Stoffwechselweg
Nicht immer müssen Forscherinnen und Forscher ganz von vorne beginnen. Manchmal gibt es bereits bekannte Puzzleteile, sie müssen nur erkannt und an die richtige Stelle gelegt werden. Ein solches Teil ist der β-Hydroxyaspartat-Zyklus, der vor mehr als 50 Jahren in dem Bodenbakterium Paracoccus entdeckt wurde. Damals erfuhr der Stoffwechselweg wenig Aufmerksamkeit, seine genauen biochemischen Abläufe blieben unerforscht. Lennart Schada von Borzyskowski, Erstautor der Publikation, ist Postdoktorand in der Abteilung von Tobias Erb am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg. Er stieß im Rahmen von Literaturrecherchen auf diesen Stoffwechselweg. "Beim Betrachten des Weges fiel mir auf, dass er effizienter sein müsste als der bisher für den Abbau der Glycolsäure angenommene Prozess, und ich fragte mich, ob dieser Stoffwechselweg nicht vielleicht mehr Bedeutung besitzen könnte, als ursprünglich angenommen", berichtet der Wissenschaftler.
Ausgestattet mit einer einzelnen Gensequenz stieß er in Datenbanken auf ein Cluster aus insgesamt vier Genen, die die Bauanleitung für vier Enzyme liefern. In Kombination miteinander waren drei der Enzyme ausreichend, um eine aus der Glycolsäure abgeleitete Verbindung weiter umzusetzen. Doch wofür war das vierte Enzym zuständig? Als Schada von Borzyskowski dieses Enzym im Labor testete, entdeckte er, dass es eine in diesem Zusammenhang bisher unbekannte Reaktion katalysiert, eine sogenannte Iminreduktion. Durch diese vierte Reaktion schließt sich der Stoffwechselweg zu einem eleganten Kreislauf, durch den der Kohlenstoff der Glycolsäure ohne Verlust von Kohlendioxid zirkuliert werden kann.
Weltweit verbreitet, ökologisch bedeutsam
In Zusammenarbeit mit weiteren Wissenschaftlern der Universität Marburg gelang es, den Glycolsäure-Stoffwechsel und seine Regulation in den lebenden Mikroorganismen zu studieren. "Nun ging es darum, das Vorkommen und die Aktivität dieser Gene im marinen Lebensraum und ihre ökologische Bedeutung nachzuweisen," erläutert Tobias Erb. Hierfür erwies sich die Zusammenarbeit der Marburger Biochemiker mit den Meeresforschern des Bremer Max-Planck-Instituts als besonders fruchtbar, denn diese untersuchen bereits seit Jahren die marinen Lebensgemeinschaften bei Helgoland, insbesondere die Bakterienpopulationen während und nach Algenblüten. In mehreren Exkursionen auf hoher See maßen die Marburger und Bremer die Bildung und den Verbrauch von Glycolsäure während der Algenblüte im Frühjahr 2018. Und tatsächlich: Der Stoffwechselzyklus ist aktiv am Stoffwechsel der Glycolsäure beteiligt.
Auch in den bakteriellen Genomsequenzen, welche die TARA Oceans Expedition in über 10.000 Kilometern Wegstrecke auf den Weltmeeren sammelte, fanden sich immer wieder die Baupläne des Stoffwechselzyklus, und zwar im Durchschnitt 20mal häufiger als alle anderen postulierten Abbaurouten für Glycolsäure. Der wiederentdeckte Stoffwechselweg fristet also kein Nischendasein, sondern ist im Gegenteil weit verbreitet. Diese neuen Erkenntnisse erstaunen Rudolf Amann immer noch: "Die Entdeckung der Marburger Kolleginnen und Kollegen stellt unser bisheriges Verständnis zum Schicksal der Glycolsäure auf den Kopf. Unsere Daten zeigen, dass wir den Kreislauf von Milliarden Tonnen Kohlenstoff in den Weltmeeren neu bewerten müssen." Tobias Erb schließt daran an: "Diese Arbeit macht uns bewusst, welche globalen Ausmaße der Stoffwechsel von Mikroorganismen annehmen kann, und zeigt uns gleichzeitig, wieviel hier noch gemeinsam zu entdecken ist." (mpg)
Phytoplankton: Der Abbau der Glycolsäure im Ozean
Der β-Hydroxyaspartat-Zyklus, der vor mehr als 50 Jahren in dem Bodenbakterium Paracoccus entdeckt wurde, erfuhr wenig Aufmerksamkeit, seine genauen biochemischen Abläufe blieben unerforscht. Wie sich nun zeigt, muss der Kreislauf von Milliarden Tonnen Kohlenstoff in den Weltmeeren neu bewertet werden.