BERLIN. (hpd) Die (mangelnde) Kirchenmitgliedschaft stelle keinen gerechtfertigten Grund dar, die Bewerberin abzulehnen, urteilte das Berliner Arbeitsgericht gestern. Es gab der abgelehnten Bewerberin Recht, sprach ihr Schadensersatz zu und brummte die Prozesskosten dem Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. auf.
Das Diakonische Werk hatte Ende November 2012 die Stelle für eine Referentin zur „Erstellung eines unabhängigen Berichts zur Umsetzung der UN-Antirassismuskonvention in Deutschland“ ausgeschrieben. Genau in diesem Bereich, nämlich dem Verfassen sogenannter Schattenberichte, konnte die Bewerberin (Frau F.) jahrelange Erfahrungen nachweisen. Sie wurde jedoch noch nicht einmal zum Gespräch eingeladen, was ihrer Meinung nach an ihrer Konfessionslosigkeit lag. Die Kirchenmitgliedschaft war in der Anzeige als Voraussetzung genannt worden. Sich für die Rassismusbekämpfung einzusetzen und gleichzeitig Nicht- und Andersgläubige kategorisch auszugrenzen, sei ihrer Meinung nach nicht vereinbar.
Schon am ersten Sitzungstag behauptete die beklagte evangelische Einrichtung, sie habe den anderen Bewerber aufgrund seines Hochschulabschlusses bevorzugt. Da Frau F. nur einen FH-Abschluss vorweisen konnte, sei sie nicht in die engere Wahl gekommen. Diese Anforderung bezüglich des Studiums könne er so nicht der Anzeige entnehmen, insistierte der Richter auch am zweiten Sitzungstag. Schließlich stünde darin nur „vergleichbare Qualifikation“ und nicht Hochschulstudium. Auf seine Frage, welche Rolle die Konfessionslosigkeit denn nun gespielt habe, lamentierten die vier(!) VertreterInnen der Diakonie recht unbeholfen herum, man habe eben mehrere Filter zur Auswahl.
Außerdem dürfe man ja nach der Kirchenmitgliedschaft unterscheiden, was man aber in diesem Fall nicht getan habe. Es sei einzig der Diakonie überlassen, ob sie sich an ihre eigenen Regeln halte, nach der sie sehr wohl nach Art der Tätigkeit im Zusammenhang mit der Verkündigungsnähe abstufen soll. Das seien aber „Verwaltungserwägungen“, für die man sich nicht erklären müsse, hieß es.
Sebastian Busch aus Hamburg, Rechtsanwalt von Frau F., hakte immer wieder nach: „Man hat diese Voraussetzung doch wohl nicht ins Stellenprofil geschrieben, um sie dann nicht anzuwenden.“ Es mache schließlich einen Unterschied, ob man „Frauen werden bevorzugt“ oder „ausschließlich Frauen werden eingestellt“ schreibe.
Außerdem könne man anhand der Ausführungen der Gegenseite durchaus von einem Motivbündel ausgehen, was zugunsten der Klägerin sprechen würde. Er sehe keine widerspruchsfreie Argumentation der Kirchenvertreter, die einzig die Qualifikation als Ablehnungsgrund belege. Was wiederum auch anhand der vergleichbaren Situation (FH- und Hochschulstudium) nicht das Kriterium hätte sein dürfen.
Deutsches Antidiskriminierungsgesetz oder EU-Vorgabe?
In der sogenannten Kirchenklausel im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (§9 AGG) räumten deutsche Politiker eine „zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung“ ein, die über die Intentionen der EU-Richtlinie hinausgeht. Die EU-Vorgabe erlaubt Ungleichbehandlungen nämlich nur in verkündigungsnahen Berufen, die deutsche Kirchenklausel erlaubt sie für das gesamte Personal. Außerdem heißt es in der EU-Vorgabe, es muss sich um „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ handeln, im deutschen AGG blieb davon nur die „gerechtfertigte“ übrig.
Der Richter ließ klar erkennen, dass er mit der Formulierung in §9 AGG nicht zufrieden ist, da sie von der EU-Vorgabe abweicht. Auch von diakonischer Seite hieß es, „das ist nicht optimal formuliert, da sind wir uns einig“. Trotzdem beriefen sich die Kirchenvertreter auf ihren Ethos als religiöse Einrichtung und auf eine Rechtstradition, die ihr Selbstverständnis und ihr Selbstbestimmungsrecht umfasse. Diese Argumentation überzeugte RA Busch keinesfalls, zumal es ja an den weltlichen Gerichten liege, im Rahmen des geltenden Rechts die Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den deutschen Gerichten 2010 vorgeworfen, es sei eine Menschenrechtsverletzung, die Grundrechte der Betroffenen nicht gegen die Rechte der Kirchen abzuwägen. Vonseiten der Diakonie kam Protest, denn das würde ja bedeuten, der Staat könne entscheiden, was kirchlichen Ethos ausmache.
Klare Absage an Ausgrenzung
Gestern nun war der richterliche Verkündungstermin. Der Richter befand, es sei davon auszugehen, dass die Klägerin aufgrund der in der Ausschreibung geforderten Kirchenmitgliedschaft benachteiligt worden sei. Die Qualifikation von Frau F. halte er für vergleichbar, zumal wenn man ihre einschlägigen Erfahrungen berücksichtige.
Für die Ablehnung von Frau F. stelle die (mangelnde) Konfessionszugehörigkeit keinen rechtfertigenden Grund dar, da es sich nicht um eine religionsnahe Tätigkeit handele.
Er betonte, das Selbstverwaltungsrecht und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen müsse neu bewertet werden, zumal die bisherigen Urteile vor dem Hintergrund der neuen Anforderungen an das kirchliche Selbstverständnis durch die EU-Richtlinie zu betrachten seien.
Nach der Sitzung drückte Frau F. ihre Freude über das Urteil aus: „Das Urteil bringt Bewegung in die richtige Richtung. Die Diakonie muss ihre diskriminierende Praxis bei den Einstellungsverfahren überdenken!“
So erfreulich das Urteil ist, es belegt trotzdem, dass mangels guter Gesetze zum Diskriminierungsschutz immer wieder die Betroffenen selbst Klage einreichen müssen. In diesem Fall unterstützt von ver.di. Falls die Diakonie gegen das in den nächsten Wochen schriftlich vorliegende Urteil Berufung einlegen sollte, könnte daraus aber durchaus noch etwas Grundsätzliches werden, das dann allen Betroffenen rechtlichen Schutz bieten kann.
Der hpd wird weiter berichten!
Corinna Gekeler