Notizen aus Polen

Diskussionen im Advent

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WARSCHAU. (hpd) Bemerkenswertes in Polen aus säkularer Sicht (November/Dezember 2013). Die letzten zwei Monate war durchsetzt von Aussagen führender Kleriker, die viel Aufsehen und Kontroversen hervorgerufen haben. Eine Zusammenfassung der Diskussion zeichnet ein Bild der Kirchenoberhäupter, das wohl kaum denkbar ist und in Anbetracht aktueller Äußerungen von Papst Franziskus erstaunt.

Die Adventszeit ist gekommen, Kinder freuen sich schon auf Heiligabend, um unter dem Tannenbaum zu feiern und sich reichlich beschenken zu lassen. Erwachsene Christen – und viele Nichtgläubige – nutzen diese Zeit zur Reflexion und zur Rückschau auf das bald schon alte Jahr.

Die katholische Kirche ist in dieser Zeit in Polen ein zentraler Ankerpunkt – die Gotteshäuser sind gut gefüllt. Da könnte man annehmen, dass die Kirchenoberen den Bedürfnissen der Gläubigen nach Besinnung und Ruhe entgegen kommen, auch wenn es nur zur Bindung der Mitglieder dient.

Aber keineswegs. Die gesamte Adventszeit hinweg diskutierten wichtige Kleriker der polnischen Kirche in den Medien über den Ausdruck Gender, der im Grunde als soziologische Kategorie dazu dient, das soziale Geschlecht – in Abgrenzung zum physischen (Sex) – zu umschreiben. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte die Diskussion am letzten Sonntag im Dezember: Ein Hirtenbrief vom polnischen Episkopat wurde in fast allen polnischen Kirchen vorgelesen. In diesem ist die Rede von der "Ideologie Gender" als "Ergebnis eines seit Jahrzehnten andauernden ideologisch-kulturellen Wandels, der tief verwurzelt ist im Marxismus sowie Neo-Marxismus." Gender fördere zudem Grundsätze des Menschen, die "im Widerspruch zur menschlichen Natur stehen".

Und dabei ist der Hirtenbrief schon abgeschwächt worden. Denn zuvor schrieben die Bischöfe, dass die "Ideologie Gender" Verhaltensweisen wie "Selbstbefriedigung, Verführung, Transsexualität, Sexualisierung sowie Pädophilie" fördere. Gestrichen wurde auch die Feststellung, dass die Erziehung im Sinne von Gender verheerende Folgen für die Kinder habe. Diese würden unter Selbstmordgedanken, Persönlichkeitsstörungen, Depressionen sowie sexuellem Missbrauch und sexueller Belästigung leiden. Demnach sei das Ziel von Gender, die Sexualisierung von Kindern und Jugendlichen und führe zur Degeneration des Menschen, der Ehe und der Familie und somit des gesellschaftlichen Lebens. Diese Version des Briefes an die Gläubigen ist schon am 20. Dezember von der polnischen katholischen Presseagentur (KAI) veröffentlicht worden.

Seine Abmilderung mit wesentlich vorsichtigeren Formulierungen ist Kommentatoren zufolge ein Beleg für Uneinigkeiten und Meinungsverschiedenheiten in der polnischen Bischofskonferenz. Demnach konnten sich die Hardliner nicht in vollem Umfang durchsetzen. Kardinal Kazimierz Nycz hingegen sagte in einem kirchlichen Wochenmagazin, dass schon vorher zwei Versionen des Briefes vorbereitet wurden. So sei einer gedacht zum Vorlesen im Gottesdienst (der mildere) und der andere sei für die Seelsorge bestimmt.

Ablenkungsmanöver der Kirche

Kirchenkritiker hingegen beurteilen den Hirtenbrief und die gesamte Diskussion um Gender als Ablenkungsmanöver: Es gehe dabei um das Abwenden von in letzter Zeit öffentlich erhobenen Anschuldigungen von Pädophilie in der Kirche. Jozef Kloch, Sprecher der polnischen Bischofskonferenz zeigte sich angesprochen auf die Anschuldigungen bestürzt. "Sowas unglaublich Dummes hab ich schon lange nicht mehr gehört", so Kloch. Die Bevollmächtigte der Regierung für Gleichberechtigung Agnieszka Kozłowska-Rajewicz bewertet allerdings den Kampf der Kirche gegen Gender als "ausgedachten Feind" und wirbt dafür, anstatt Gender den Begriff Gleichberechtigung zu benutzen. Andere Kirchenkritiker weisen darauf hin, dass die Kirche mit solchen Parolen am rechten Rand fischen wolle und somit Menschen erreiche, die unter anderem gegenüber Juden, Linken und Homosexuellen feindlich eingestellt sind.

Pädophilie und scharfe Polemik in der polnischen Kirche

Anschuldigungen von Kirchenkritikern, die Kirche wolle mit der Diskussion um Gender von wahren Problemen innerhalb der Institution ablenken, sind schwer von der Hand zu weisen. So wiegen die Vorwürfe gewaltig. Darüber hinaus sorgten andere, zumindest kontroverse Aussagen von polnischen Geistlichen in den Medien für Empörung – auch unter Gläubigen. In Zeiten einer zunehmenden Liberalisierung der polnischen Gesellschaft kommen diese sehr ungelegen.

Im November letzten Jahres sind neue Anschuldigungen gegen wichtige Kirchenvertreter in den Medien bekannt geworden. Erzbischof Józef Wesołowski, ehemaliger polnischer Nuntius in der dominikanischen Republik, wird beschuldigt, fünf Kinder sexuell missbraucht und Drogen konsumiert zu haben. Die dominikanische Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen Anfang November abgeschlossen und die Ergebnisse an den Vatikan geschickt. Ermittlungen laufen zudem gegen Priester Wojciech Gil, der auch das Amt des Nuntius in der dominikanischen Republik begleitete und Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen gegenübersteht. Und das sind nur die prominentesten Fälle; die katholische Kirche in Polen musste sich zum Beispiel erst Anfang Dezember für einen Priester entschuldigen, der wegen des Missbrauchs von Kindern zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt wurde.

Kontroverse Äußerungen von Kirchenvertretern sorgen für zusätzlichen Aufruhr. Tomasz Terlikowski, einer der bekanntesten Kirchenbefürworter, sieht den Orkan Xaver als Zeichen Gottes. Xaver hatte Anfang Dezember in ganz Europa enorme Schäden verursacht und Schätzungen zufolge 14 Menschenleben geforderte, darunter fünf in Polen. Terlikowski hingegen sieht den Orkan als Zeichen für die Gläubigen, da das Naturphänomen in der Adventszeit aufgekommen ist. "Durch das Zeichen ruft uns Gott unsere Natur in Erinnerung und auch, das was wir alle erwarten – das Ende der Welt", so Terlikowski.

Erzbischof Henryk Hoser hingegen klagte Mitte Dezember in einem Interview über Homosexualität, die die Idee der Freundschaft unter Frauen und Männern zerstört habe und diese Beziehungen "gänzlich erotisiert".

Bischof Antoni Dydycz sprach sich Anfang November gegen die Zusammenarbeit der Kirche mit staatlichen Institutionen aus. "Man darf keinen Druck auf Geistliche ausüben, damit diese mit säkularen Instanzen zusammenarbeiten", schrieb Dydycz in einem Hirtenbrief zu Allerheiligen. Denn das kanonische Recht sehe genügend harte Sanktionen vor. Seiner Meinung nach wird die Kirche auch deswegen angegriffen, da seine "Vertreter keine Denunzianten sind". Und damit hat der Geistliche sogar recht, wie Generalstaatsanwalt Andrzej Seremet bestätigte. Nach polnischem Recht seien Geistliche nicht dazu verpflichtet, die Staatsanwaltschaft über pädophile Priester zu informieren, sagte Seremet in einem Radiointerview.

Kritik am Brief des Episkopats, an der Pädophilie und an kontroversen Äußerungen von Kirchenwürdenträgern fällt gerade nichtgläubigen Menschen leicht. Doch für die katholische Kirche in Polen wird es schwierig, wenn ihre Worte und Taten dem widersprechen, was Papst Franziskus predigt. Erst kürzlich sagte er, "das Evangelium verkündet man mit Sanftmut, mit Brüderlichkeit, mit Liebe". Aber vielleicht hat die katholische Kirche in Polen eine andere Vorstellung davon, was Sanftmut, Brüderlichkeit und Liebe bedeuten.