Ende eines Mythos

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Rolf Bergmeier, Foto: © Evelin Frerk

OBERWESEL. (hpd) Viele Politiker predigen gebetsmühlenartig, wir lebten in einer Welt, die von der “christlich-abendländischen Kultur” geprägt sei. Deren Existenz stellt der Historiker Rolf Bergmeier ohne Wenn und Aber infrage. Mehr noch, er entlarvt sie in seinem Fazit als dreiste Lüge.

 

Bei seinem detailreich vorgetragenen Referat im Haus Weitblick der Giordano Bruno Stiftung (gbs) in Oberwesel am 2. Februar blickte er auf viele Jahre historischer Studien in über tausend Quellen zurück. Die daraus entstandenen Werke “Kaiser Konstantin und die wilden Jahre des Christentums” sowie “Schatten über Europa” bilden mit dem neuesten Band “Christlich-abendländische Kultur” eine Trilogie zu diesem kulturpolitisch höchst brisanten Thema.

Kenntnisreich und mit vielen Zitaten belegt demontierte Bergmeier in seinem gut besuchten Vortrag die Mär der kulturellen Wurzeln Europas im Christentum. Im Gegenteil, er brandmarkte dessen kulturvernichtende Wirkung als einen tausendjährigen Niedergang der in griechisch-römischer Antike gewonnenen Erkenntnisse.

Obwohl diese Fakten nicht zu leugnen sind und keine Außenseitermeinung darstellen, gerieren sich deutsche Politiker der ersten Garde so, als hätten wir alle modernen Errungenschaften dem Christentum zu verdanken, als sei das Kreuz ein Wegweiser in die Moderne.

Dabei sieht Bergmeier die wahren Wurzeln westlicher Demokratien neben einer geglückten Aufklärung der Europäer gegen das Christentum eben in antiker Denkarbeit, die in der Renaissance wiederentdeckt wurde, sowie in der arabisch-islamischen Erhaltung und Vermehrung dieses Kulturerbes, das gläubige Christen im Mittelalter systematisch vernichteten.

Was zuvor als fortschrittliche römische Bau- und Lebenskunst entstand – seinerseits basierend auf der griechischen Antike -, weitergegeben in allgemeinen Schulen, bekämpfte der christliche Klerus. Dabei hatte sich dieser gerade erst im 4. Jahrhundert nach aufreibenden Geburtswehen in Mitteleuropa etabliert. Die erschreckenden Folgen zeigten sich in allgemeinem Analphabetismus und dem Verfall der mittelalterlichen Buchbestände gerade in den zu Unrecht gepriesenen Klöstern.

Im Verhältnis 1:1.000 gingen hier nach Meinung von Rolf Bergmeier Buchbestände aus den Bereichen Philosophie und Naturwissenschaft verloren: Werke antiker Denker, die zum Teil nur dank arabischer Übersetzungen überleben konnten.

Bergmeier vertritt deshalb die Meinung, dass unsere Politiker heute gut beraten wären, wenn sie auf die muslimische Kultur nicht mit der Überheblichkeit des Christentums herabblickten, sondern voller Dankbarkeit auf die Erhalter und Förderer wertvollen, griechisch-römischen Wissens zugingen. Dies könnte seiner Meinung nach deren Herzen für einen konstruktiven Dialog öffnen.

Meiner persönlichen Meinung nach verkennt Bergmeier an dieser Stelle allerdings die heutige Funktion des Islam. Unstreitig richtig ist der gewaltige Beitrag der arabischen Kultur zur Moderne. Viele heute übliche Begriffe stammten aus dem Arabischen, wie der Historiker eindrucksvoll ausführte. Allerdings begann dieser Prozess in vorislamischer Zeit und wurde bis zum 9. Jahrhundert gefördert, bis der Islam in seiner dogmatisierten Starre diese Fortschritte zunichte machte. Wenn diverse Autoren recht behalten und der Islam nicht mit einem Propheten Muhammad begann, sondern als allmähliche Häresie des syrisch-aramäischen Christentums, das im Kern die 325 im Konzil von Nicäa festgeschriebene Gottgleichheit Jesu ablehnte, dann könnte dies durchaus mit Bergmeiers Sicht der Dinge zusammenpassen. Dann hätte der Islam – der seine christliche Wurzel bis dahin vergessen hatte – tatsächlich erst zwischen 900 und 1000 n. Chr. seinen fortschrittshemmenden Siegeszug angetreten. Auch die von Bergmeier behauptete Judenfreundlichkeit des Islam wäre so erklärlich, weil sich die östlichen Häretiker wieder nur einen Gott ohne vergotteten Sohn – wie die Juden – wünschten und nicht das himmlische Dreigespann, wie es im Westen seit dem Konzil von Konstantinopel 381 propagiert wird. Erst später wurden Juden bekämpft – möglichweise auf Basis falsch übersetzter Texte, die auf das fraglos judenfeindliche Christentum hindeuten. Im Resümee verbindet sich dies wieder in Bergmeiers Feststellung, dass sich Islam und Judentum näher stünden, als Judentum und Christentum. Doch das nur als kleine Anmerkung von mir aus dem Grund, weil es entsprechende Einwürfe aus dem Publikum während der anschließenden Diskussion gab.

Uneingeschränkten Beifall erhielt der studierte Historiker und Philosoph für die Feststellung, die erweiterte Bezeichnung des streitgegenständlichen Begriffs als “christlich-jüdisches Abendland” - diese, so Bergmeier, “Bindestrichkonstruktion” - werde nicht nur durch Juden zu Recht als heuchlerisch zurückgewiesen. Und doch benutzten sie gerne und oft führende deutsche Politiker. Gerade das Christentum habe beginnend mit Paulus stets eine unverhohlene Judenfeindlichkeit gelebt, die sich quer über Luther bis zu den Nazis erhalten habe und noch heute christliches Denken durchdringe.

So mutierte Jesus vom Juden zum Christen und die Römer wurden durch die Juden als angebliche Christusmörder ersetzt. Eine taktische Logik verbirgt sich dahinter, schließlich wollte das Christentum Staatsreligion im römischen Reich werden. Doch heutige Politiker weigerten sich, diese Querverbindung zwischen christlichem Judenhass und dem Holocaust zu ziehen.