Die moderne Gegenreformation

WIEN. (hpd) Der Februar 1934 brachte den Sieg des Austrofaschismus über die Demokratie. Und gab einer Art modernen Gegenreformation Auftrieb, die überlebensnotwendiger ideologischer Kitt des Regimes wurde. Bei einem durchaus komplexen Naheverhältnis zwischen Regime und katholischer Kirche. Teil II der Serie unseres Österreich-Korrespondenten über die Februarkämpfe und ihre Auswirkungen.

 

Theodor Innitzer, Kardinal in Wien, muss ein gut gelaunter Mann gewesen sein. Filmaufnahmen und Fotos aus dem Ständestaat zeigen ihn stets lächelnd und meist in Begleitung von Vertretern des Regimes, wie Martin Luksan in seinem Buch “Heilige Scheine” feststellt.

Die Regierung unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und später unter Kurt Schuschnigg gab ihm genug Anlass zur Freude. Als Dollfuß den Nationalrat ausschalten ließ, feierte das der frischgeweihte Kardinal in seiner Inaugurationsmesse wenige Tage später als “Anbruch einer neuen Zeit”. Womit er sich ganz im Mainstream seiner Kirche befand, der Parlamentarismus und Demokratie sündhafte Erfindungen der verhassten Moderne waren.

Kirchenaustritt nur gegen ärztliches Attest

Eine neue Zeit, die Dollfuß so schnell wie möglich einläuten wollte. Kurz darauf wurde es Lehrern wieder gestattet, Schüler zu religiösen Handlungen zu zwingen – und zu kontrollieren, ob sie am Sonntag auch brav in die Messe gingen. Das Verbot des Freidenkerbundes am 10. Juni gab es sozusagen frei Haus. (Die NSDAP, gegen die sich die Dolluß-Regierung angeblich hauptsächlich richtete, wurde erst neun Tage später verboten.)

Im August ordnete Unterrichts- und Justizminister Kurt Schuschnigg an, jeden, der aus einer Religionsgemeinschaft austreten wolle, müsse nachweisen, dass er oder sie auch geistig gesund sei. Die Salzburger Landesregierung, ebenfalls stramm christlichsozial, setzte dem eins drauf und verhängte eine Arreststrafe gegen alle Austrittswilligen.

Kurt Schuschnigg

Das Rennen um das Konkordat

Ergänzen ließ Dollfuß diese administrativen Maßnahmen mit kraftvoller Symbolpolitik. Kaum war der Nationalrat verfassungswidrig ausgeschaltet, beschleunigte Schuschnigg auf sein Drängen die Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl um ein neues Konkordat.

Die Eile hatte mehrere Ursachen. Sicher konnte sich Dollfuß nicht sein, dass die Sozialdemokratie als stärkste demokratische Kraft im Land seine dauernden Verfassungsbrüche ewig hinnehmen würde. Er wollte Nägel mit Köpfen machen, so lange er konnte. Seinen großen Konkurrenten Adolf Hitler wollte er auch noch schlagen. Der drängte ebenfalls auf ein Übereinkommen mit dem heiligen Stuhl – mit dem Hintergedanken, sein Regime durch einen derartigen Vertrag international anerkennen zu lassen. Ähnliche Gedanken mag auch Dollfuß gehabt haben.

Bei aller Eile war es gerade Dollfuß, der die Sache verzögerte. Ihm fielen offenbar dauernd neue Privilegien ein, die man der katholischen Kirche zuschanzen könnte. “Schnell abschließen, wer weiß, was dem Dollfuß noch alles einfällt”, soll einer der Verhandler geseufzt haben. Lediglich in einem Punkt blitzte der Heilige Stuhl ab. Staatliche Konfessionsschulen, das ging dann doch nicht. Man habe das Geld nicht, ließ die Regierung dem Heiligen Stuhl ausrichten.

Die Kirche bietet die Kulisse

Von so vielen Geschenken überhäuft, spielte die Kirche gerne mit bei der Propaganda. Der “Allgemeine deutsche Katholikentag” in Wien im September 1933 wurde zur Dollfuß-Huldigung. Die Veranstaltung war als Erinnerung an die Türkenbelagerung von 1683 angelegt und Dollfuß ließ sich als neuer Marco d’Aviano in Szene setzen, der die braven Rechtgläubigen zum Kampf gegen die heranstürmenden Ungläubigen aufstacheln muss.

Höhepunkt war die Trabrennplatzrede, auf der Dollfuß verkündete, fremde Ideen seien ins Volk eingedrungen “und haben böses Unheil (sic!) angerichtet”. Ein Gegenrezept hatte er gleich parat: Den christlichen, deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage. “Wie die Kreuzfahrer von dem gleichen Glauben durchdrungen waren, so wie hier vor Wien ein Marco d’Aviano gepredigt hat ‘Gott will es’ – so sehen auch wir mit starkem Vertrauen in die Zukunft, in der Überzeugung: Gott will es!”

Der Ständestaat – ein katholischer Traum

Womit er sich zu all dem machte, was sich Christlichsoziale und Kirche seit dem Ende der Monarchie erträumt hatten. Nicht nur stand da einer, der den letzten Resten von Freiheit und Demokratie den Garaus machen würde. Er würde den “wahren Staat” (Othmar Spann) wiederherstellen, gemäß den Grundlagen, wie sie die päpstliche Enzyklika Quadragesimo Anno vorgezeichnet hatte und wie es der Bundeskanzler und Prälat Ignaz Seipel seit den 20er Jahren vorkonzipiert hatte. Er durfte diesen Triumph nicht mehr erleben. Der Prälat ohne Milde war im Vorjahr gestorben.

Die katholische Kirche dankte artig und forderte alle Geistlichen auf, sich aus der aktiven Politik zurückzuziehen. Sie waren nicht mehr notwendig, um das Land auf Kurs zu bringen. “So konnten die Bischöfe mit Beschluss vom 30. November 1933 alle politisch, d. h. Parteipolitisch tätigen Priester aus der Politik zurückbeordern, das waren immerhin fünf Abgeordnete zum Nationalrat, drei zum Bundesrat und ein Dutzend zu den Landtagen und Gemeinderäten“, schreibt der Kirchenhistoriker und Theologe Maximilian Liebmann in einer Festschrift des „Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem” in bemerkenswerter Aufrichtigkeit.