(hpd) Die Wogen um den sogenannten und umstrittenen Genmais 1507 gehen hoch. Zum Ärger der Gentechnikgegner haben die EU Agrarminister diesen Mais durch die Paragraphen gewunken. Kritiker warnen vor unabsehbaren Folgen. Für den Immunologen Beda Stadler ist das Getue und Gehabe um gentechnisch veränderte Nahrungsmittel höchstens noch eine Posse.
Ich könnte also wie unzählige meiner Kollegen mir die Finger wund schreiben, um aufzuzeigen, wie harmlos die gelben Körner sind. Ich könnte zahlreiche wissenschaftliche Publikationen zitieren, die aufzeigen, dass die traditionelle Pflanzenzucht meist zu einer grösseren Veränderung der Genexpression in einer Pflanze führt, als das Einführen eines zusätzlichen Gens. Diese Argumente würden beim Laien abperlen wie das Wasser auf einer Nanotechnologieoberfläche.
Die Mahnfinger werden nach diesem Lead hochgehen. Es wird uns Wissenschaftlern gleich vorgeworfen, wir sollten die Ängste unserer Mitbürger ernst nehmen. Das ist richtig. Es ist allerdings meine persönliche Erfahrung, wann immer jemand mir sagt, dass er meine Ängste ernst nimmt, er mich eigentlich über den Tisch ziehen wollte. Deshalb werde ich mir im Folgenden die Frage erlauben, ob es rationale oder allenfalls virtuelle Gründe gibt, dass 80% der europäischen Bevölkerung in der Zwischenzeit die grüne Gentechnik ablehnt.
Seit ein paar Jahren bin ich allerdings zur Überzeugung gekommen, die eigentlichen Gründe der Ablehnung zu kennen. Doch machen wir es etwas spannend.
Virtuelle Gründe gibt es zu Hauf. In der Diskussion rund um die Gentechnik ist klar zu erkennbar, dass es nur noch um die grüne Gentechnik geht. Die rote Gentechnik, also die Anwendung in der Medizin, ist längst kein Thema mehr. Es gab sogar einen Todesfall bei der Gentherapie, was aber niemandem mehr Angst zu machen scheint. Schliesslich sind auf dem europäischen Markt mehr als 40 rekombinante Proteine, von denen bereits abertausende von Patienten täglich profitieren. Der Nutzen scheint so offensichtlich, dass niemand dagegen protestiert, obwohl in der roten Gentechnik die gleichen Methoden angewendet werden wie in der grünen Gentechnik.
Zu den virtuellen Gründen zählt auch, dass dieses Gebiet sich ausgezeichnet eignet, um Anti-Amerikanismen zu pflegen. Deshalb wird ja diese neue Variante des gentechnisch veränderten Maises in den Medien auch gerne als US-Mais bezeichnet oder man kann das Lied gegen die böse Monsanto singen, um damit aufzuzeichnen, wie die Gentechnik bloss ein Instrument ist, um uns Bürger auszubeuten. Die virtuellen Gründe sind immer auch virtuelle Ängste, die vor allem von den Freunden dieses Planeten gepflegt werden, meist NGOs, am prominentesten vielleicht Greenpeace. Die Beweggründe sind offensichtlich, denn die multinationalen Protestorganisationen benutzen die Kampagnen gegen die Gentechnik hauptsächlich als Cash-Cow. Solange die Spendengelder fliessen, wird sich das auch nicht ändern.
Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass ein ehemaliges Greenpeace-Mitglied, Dr. Patrick Moore, eine Gegenkampagne gegründet hat. Die “Golden Rice now” Kampagne gipfelt darin, dass Greenpeace angeklagt wird, durch ihre Haltung den goldenen Reis zu verhindern und damit zugleich ein Verbrechen gegen die Menschheit initialisiert zu haben.
Moore argumentiert, dass während den letzten 14 Jahren, in denen der goldene Reis aktiv durch Greenpeace und ähnliche Organisationen verhindert wurde, mindestens 8 Millionen Kinder unnötigerweise gestorben sind, wobei die Zahl der unnötigen Erblindungen wesentlich höher liegt. In der Zwischenzeit haben sich auch Wissenschaftler dieser Bewegung angeschlossen, da man anhand dieses Beispiels aufzeigen kann, dass eine Verhinderungspolitik einer neuen Technologie gegenüber ganz konkret mehr Schaden und Leid generiert, als durch die potentiellen Risiken je vorhanden gewesen sind.
Die virtuellen angeführten Gründe haben immer Interessenvertreter im Rücken. Die Biobewegung spielt insbesondere gerne damit und hat das Label “Gentechnik-frei” auf ihre Fahnen geschrieben. Dies ist besonders amüsant, da wissenschaftlich erwiesen ist, dass diese Eigenschaft des Biogemüses wahrscheinlich die einzige Eigenschaft ist, die wissenschaftlich nachgewiesen werden könnte. Die Abwesenheit von Gentechnik wäre nämlich tatsächlich messbar, während all die anderen Behauptungen im Zusammenhang mit Bioprodukten nie durch eine gesicherte wissenschaftliche Methode zu belegen sind. Wir kommen unserem Thema also schon näher. Im Biogemüse steckt in etwa gleich viel Glaube drin, wie in anderen virtuellen Glaubenssystemen.
Der gemeinsame Nenner der virtuellen Gründe ist die Tatsache, dass die Opponenten der Gentechnik bloss von Risiken reden. In der öffentlichen Debatte wird von den Exponenten nämlich die eigentliche Gefahr ausgeklammert. Der feine Unterschied besteht schliesslich darin, dass ein Risiko eine bestimmte Wahrscheinlichkeit darstellt, eine Gefahr hingegen eine messbare Grösse ist, mit der wir umgehen können.
Somit wären wir bei der Frage, ob es rationale Gründe gibt, um gegen die Gentechnik zu protestieren.
Ausschliessen kann man die Möglichkeit nicht. Nimmt man aber die Fakten zusammen, wird es umso schwieriger, die Debatte zu verstehen. Greenpeace war ja genial in der Kommunikation, indem sie die Diskussion quasi auf den Nenner bringen konnten, dass gentechnisch veränderte Produkte giftig sind: “Genfood gleich Gift”. Nehmen wir an, es wäre ein Kern Wahrheit dabei, hätte man irgendwo jemanden finden müssen, der an Genfood gestorben ist, etwa so wie 2011, als mehr als 30 Menschen an Biogemüse in Deutschland starben, oder anhand der Literatur, dass jedes Jahr irgendwo auf der Welt Menschen an irgendeinem Bio- oder Organic-Produkt sterben. Man hätte dann also echte Gefahren und eine messbare Grösse, somit eine rationale Diskussion. Die Biobewegung hat die Todesfälle überstanden und wird es auch weiterhin, weil dieses System keine Rationalität braucht, sondern auf Glauben basiert. Glaubenssysteme fallen meistens unter den Schutzmantel der Religionsfreiheit und Glaubensfragen auf rein rationaler Ebene zu diskutieren, ist hoffnungslos.
Die Mehrheit unserer Bevölkerung, die sich also derart vehement gegen die Gentechnik in der Landwirtschaft wehrt, muss also andere Gründe haben, als virtuelle oder rationale Risiken, da selbst die EU den gentechnisch veränderten Produkten bescheinigt, dass sie unbedenklich sind. Es gibt auch keine Wissenschaftler, die je mit Wissenschaft hätten belegen können, dass eine konkrete Gefahr von gentechnisch veränderten Produkten ausgeht. Es gibt aber Wissenschaftler, die schlechte und zweifelhafte Daten produzieren und sich nachher gerne in die Märtyrer-Rolle begeben, wenn man ihnen beweist dass sie Stuss publiziert haben. Die Faktenlage bleibt trotzdem eindeutig. Bereits vor etwa 15 Jahren wurde im amerikanischen Parlament diskutiert, ob Genfood nun gefährlich sei oder nicht. Damals musste David Aaron Stellung nehmen und hat gesagt, dass seit 13 Jahren kein einziger amerikanischer Bürger je einen geröteten Popo, ein Hüstelchen, eine Heiserkeit oder ein Kopfweh von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln gekriegt hat. In der Zwischenzeit sind das also fast 30 Jahre und die Situation ist gleich geblieben. Es gibt keine echten Gefahren und es gibt praktisch keine andere Technologie, die der Mensch neu eingeführt hat, die für eine derart lange Zeitspanne mit so wenig Gefahren verknüpft war. Für den Hass und Angst gegen die Gentechnik muss es also andere Gründe geben.
In den über 20 Jahren, in denen ich an der öffentlichen Debatte um die Gentechnik beteiligt bin, war die häufigste Frage nach Debatten: “Herr Stadler, woher nehmen sie das Recht, in die Natur einzugreifen?” Manchmal war die Frage auch präziser formuliert: woher ich mir das Recht nähme, in die Schöpfung einzugreifen. Mich hat die Frage jeweils perplex gemacht und auch quasi zum Erstarren gebracht, sodass ich meistens dazu tendiert habe, die Frage zu überhören. Wird die Frage heute gestellt, bin ich mutiger. Ich frage jeweils zurück, woher eigentlich die Gewissheit stammt, dass es überhaupt jemals eine Schöpfung gegeben hat. Damit behaupte ich jetzt nicht, dass die Diskussion um die Gentechnik dadurch fruchtbarer wird, indem man den Gentechnik-Gegnern nachweisen kann, dass sie klammheimliche oder offensichtliche Kreationisten sind.
Tatsache ist, die Anzahl der Gentechnik-Gegner ist in etwa gleich gross wie die Anzahl Menschen, die glauben, dass es einen Schöpfer gab. Für die einen mit weissem Bart, für andere vielleicht als eine Singularität vor dem Big Bang. Vielen Gentechnik-Gegnern ist anfänglich auch gar nicht bewusst, dass sie rein religiös argumentieren. Die Mutter Natur ist nämlich für viele Mitbürger genauso ein unfehlbarer Gott wie die interstellaren Herrscher der monotheistischen Religionen. Natürlich gibt es auch unter Akademikern oder sogar unter Kollegen solche, die etwas differenzierter reagieren und sich natürlich vehement wehren, als Kreationisten bezeichnet zu werden. Aber ich meine, wo liegt der Unterschied zwischen dem Glauben, dass es ein 7-Tage Modell der Schöpfung gibt, oder der unverrückbaren Einbildung, dass vor dem Big Bang ein glückliches Händchen oder sonst was sein sollte, das das ganze System in Gang gebracht hat oder gar überwacht. Eines steht fest, seitdem ich das grosse Tabu, das religiöse “Denken”, als die eigentliche Ursache für die Ablehnung der grünen Gentechnik betrachte, sind die Dispute und Diskussionen einerseits lustiger geworden und anderseits kürzer.
Die Frage bleibt, ob es einen Ausweg gibt, ob wir je Frieden haben werden und diese wichtige Technologie sozial verarbeiten können. Ich bleibe Optimist, insbesondere da ich weiss, dass es über 100 Jahre gedauert hat, bis Europa die Kartoffeln als Novel Food akzeptiert hat. Die Kartoffel wurde ja nicht rational akzeptiert, sondern rein emotional auf unseren Tellern. Die rote Gentechnik hat es auf die gleiche Art geschafft. Die meisten Leute sind nämlich sehr dankbar um die neuen Medikamente, oder die neuen Therapieverfahren, die dank Gentechnik Leben retten. Die Gentechnik wird aber nicht akzeptiert werden, wenn wir weiterhin bloss Viehfutter, wie etwa im Fall dieses neuen Maises, anpflanzen. Die Diskussion wird wahrscheinlich ein Ende finden, sobald ein gentechnisch hergestelltes Produkt auf den Markt kommt, das besser schmeckt, gesünder und dazu noch billiger ist. Da dies in absehbarer Zeit leider nicht passieren wird, kann man sich fragen, ob es einen rationalen Weg gibt, um der Gentechnik zum Durchbruch zu verhelfen.
Ja, den gäbe es! Dies wäre eine Revolution in der Schulstube. Mal angenommen, wir würden den Darwin wirklich bereits in dem Kindergarten zusammen mit den Dinosauriern einlassen. Mal angenommen, unsere Lehrer würden die Evolution verstehen. Innerhalb einer Generation hätten wir dann nur noch Erwachsene, die wissen, dass die Evolution an und für sich keinen Sinn hat. Die Mehrheit der Bevölkerung würde denken statt glauben, und die Gentechnik wäre eine relativ simple, einfach zu verstehende Technologie, um verschiedene Bereiche, von der Landwirtschaft bis zur Medizin, mit Produkten zu bereichern, für die wir jeweils rein rational entscheiden könnten, ob wir sie wollen oder nicht. Wenn ich im Winter keine Erdbeeren will, muss ich sie ja nicht kaufen, aber es würde mich dann auch niemand gesellschaftlich aufhetzen, dass ich aus Erdbeeren eine religiöse Frage mache. Wer also den Darwin verstanden hat, für den sind die meisten Errungenschaften aus den modernen Life Sciences ein Kulturgut, das man meinetwegen auch regulieren darf.
Was einem aber wirklich Sorgen machen kann ist, dass es nun bereits mehr als 200 Jahre dauert, um dem Darwin seinen Platz in unserem Denken zu geben. Also bleibt wahrscheinlich doch nur die Hoffnung, dass bald eine Erdbeere auf den Markt kommt, die auch nach Tagen noch knackig ist, süss und aromatisch wie Walderdbeeren, nicht nach einem Tag bereits schimmelt und nicht gleich schmeckt, wie die Kartonverpackung, in der sie verpackt sind.