Kirche lässt Tausende kommentarlos ziehen

hasenfest_dresden.gif

"Hasenfest" in Dresden, 2013

KONSTANZ. (hpd) Über ein Jahr nach seinem Kirchenaustritt hat sich der Sprecher der Humanistischen Alternative Bodensee (HABO), Dennis Riehle, noch einmal an die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) gewandt. Er erinnerte dabei an eine noch ausstehende Antwort.

 

In seinem siebenseitigen Brief hatte der 28-Jährige detaillierte Kritikpunkte und die auslösenden Faktoren für sein Ausscheiden aus der Kirche dargelegt, die als Ermutigung zu Veränderungen an die EKD formuliert waren. “Ich war davon ausgegangen, dass sich die Kirchen bei tausendfachem Verlust von Mitgliedern mit den Ursachen hierfür auseinandersetzen möchten und dankbar darüber sind, wenn ehemalige Gläubige mit Offenheit über ihre Beweggründe sprechen. Denn somit erleichtern sie die Chance für Reformen. Doch offenbar nimmt die EKD die dramatischen Zahlen an Menschen, die der Kirche den Rücken kehren, vollkommen interessenlos entgegen. Das ist durchaus bezeichnend”, so Riehle.

Erst auf erneute Nachfrage habe die EKD nun geantwortet, wie der HABO-Sprecher berichtet. So schrieb das Büro dort, man könne keine Einschätzungen abgeben, weil die Unterlagen dem Sachbearbeiter nicht mehr vorlägen. “Allgemein hat man mir gegenüber aber formuliert, dass die Kirche auch offen für diejenigen sei, die einmal ausgetreten sind”. Immerhin gehe man davon aus, so verlautbarte aus der EKD, dass Christinnen und Christen immer wieder auf Vergebung vertrauen dürften. Riehle zeigt sich irritiert über diese Wortwahl: “Nicht nur, dass man sich mit Ausreden um eine Reaktion auf inhaltliche und sachliche Kritik drückt. Besonders anmaßend bleibt, dass die EKD keinerlei Selbstreflektion sucht und jedwede Verantwortung abwälzt. Der Austritt war eine Konsequenz auf die unerträglichen Umgangsformen, die menschlichen Abgründe und die nicht hinnehmbare dogmatische Rückentwicklung in der evangelischen Kirche – sich hier auf die ‘Vergebung’ zu berufen, das zeigt doch deutlich, dass man sich um ein Schuldeingeständnis drückt.”

Kirchenaustritt ’vergeben’?

Unklar bleibt hier auch, ob es nicht gar um eine Vergebung seines Kirchenaustritts geht. Nach Ansicht Riehles hätte sich die EKD in einem solchen Fall mit ihren Argumentationen vollkommen den theologischen Denkweisen ihrer katholischen Mitbrüder angeschlossen. “Das Vergeben von Verfehlungen, im Kirchendeutsch würde man von ‘Sünden’ sprechen, als Verhaltensweisen, die aus Sicht der eigenen Lehre, jedoch nicht zwingend der ihr zugrunde liegenden religiösen Schriften, als nicht mit dem kirchlichen Normenkodex vereinbar zu betrachten sind, wird zu einem ritualisierten Prozess, ohne Ernsthaftigkeit oder Tiefgründigkeit. So, wie Katholiken bei Ehebruch, Kirchenferne oder gelebter Homosexualität von Sünde ausgehen, hat sich die sonst in der Dogmatik der Verfehlung eher zurückhaltende protestantische Seite nun offenbar zu neuen Definitionen entschlossen. Und sie macht es sich damit natürlich leicht, indem sie Schuldhaftigkeit umdreht. Anstatt Kirchenaustritte als Signal anzuerkennen, dass in den eigenen Reihen Missstände herrschen, wird der Austretende zum Sündenbock gemacht.”

Riehle zeigt sich mittlerweile überzeugt: “Mir braucht niemand meinen Kirchenaustritt zu vergeben, diesen Beschluss trage ich mit voller Überzeugung und Souveränität. Göttliches Mitleid kann ich daher ebenso dankend ablehnen wie ein von angeblicher Barmherzigkeit triefendes Angebot, dass die Kirche auch für Sünder wieder ein Zuhause biete. Solange diese Einrichtung aber derart beliebig mit der Zuschreibung von Verfehlungen umgeht, um sich selbst von Schuld freizusprechen, kann das kein Ort sein, an dem authentisch Glaube gelebt wird. Jeder Gott würde vor Entrüstung toben, wenn er all das vergeben sollte, was die Kirchen als Sünde brandmarken. Nicht nur, aber in Deutschland besonders, der EKD wäre zu empfehlen, statt Personalstellenstreichungen und Zusammenlegungen von Gemeinden zu planen, an ihrer Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zu arbeiten. Diese Kirche hat es nicht verdient, sich über eine Rückkehr Gedanken zu machen.”

 

Jan Weber