Wie weit geht religiöse Freiheit?

DRESDEN. (hpd) Ein weiterer Vortrag in der Reihe "Das neue Deutschland" im Hygienemuseum Dresden befasste sich mit dem Thema "Schächten und Beschneiden - Wie weit geht Religionsfreiheit?". Dabei sollte es nicht um eine Positionierung gehen, was man sich als Zuhörer eventuell gewünscht hätte, sondern um die historische Bedeutung von religiösen Riten anhand dieser beiden Beispiele.

 

Leider wurde bereits gleich zu Anfang von der Verantwortlichen der Vortragsreihe Susanne Illmer erklärt, dass es nicht um die Abwägung von schlecht oder gut gehe und hier nicht diskutiert würde, ob diese recht blutigen Riten in einer säkularen Welt noch zeitgemäß seien, sondern die Vortragenden nur erörtern, welche Bedeutung diese Riten haben.

Und obwohl die eingeladenen Experten Prof. Ulrich Willems und Dr. Miriam Schader von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster kommend, angeblich keine Stellung beziehen wollten, war schnell klar, auf welcher Seite sie zu finden sind.

Susanne Illmer erklärte gleich anfangs, "dass wir nicht verkennen sollten, dass auch Kindstaufe ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht ist", was zwar prinzipiell richtig ist, jedoch nicht mit den lebenslangen Folgen einer Beschneidung vergleichbar ist.

Beschneidung

Dr. Ulrich Willems erläuterte die Konflikte, die zu den geltenden Gesetzen entstanden sind und wie die Politik recht einhellig den Spagat geschafft hat, diese religiösen Riten als zulässig zu deklarieren.

Willems steht auf dem Standpunkt, dass man beiden Seiten, die nicht in der Lage sind, ohne Verlust ihrer "Prinzipien" einen Kompromiss herbeizuführen, in einem Gesetz gerecht werden könne. Er führte als Beispiel das "Abtreibungsgesetz" an, wo man sowohl das Verbot der Abtreibung, als auch die persönliche Freiheit der Frau zu diesem Schritt berücksichtigt habe. Er könne sich vorstellen, dass es ebenso ein Gesetz zur Beschneidung geben könne. In seinen Überlegungen zur Abwägung des offensichtlichen Konflikts zwischen den Rechtsprinzipen (körperliche Unversehrtheit, Religionsfreiheit des Kindes, elterliches Erziehungsrecht, staatliche Schutzpflicht und Kindeswohl), kam er zu der Überzeugung, dass es keine eindeutige Rangordnung der Prinzipien gäbe und dass es zu einer Abwägung der relativen Bedeutung kommen müsse.

Willems erklärte, "dass eine pragmatische Lösung statt einer Prinzipienklärung sinnvoller ist und eine Regulierung der schädlichen und vorteilhaften Folgen ist einem grundsätzlichem Verbot oder einer völligen Erlaubnis vorzuziehen." Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Veröffentlichungen vom Holm Putzke, mit denen sie sich im Exzellence-Cluster intensiv auseinandergesetzt hätten.

Im übrigen seien sie in diesem Gremium zu der Erkenntnis gekommen, dass es kaum zu einfachen oder schweren Komplikationen bei diesem Eingriff käme, dass diese aber bei steigendem Lebensalter zu einem größeren Risiko wachsen würden. Er sprach von ca. 1–1,5 Prozent Komplikationsrisiken.

Wer gibt ihnen eigentlich das Recht über diese 1,5 Prozent hinwegzusehen? Auch sämtliche anderen Risiken wurden für gering erklärt, außer der Gefahr der psychischen Traumatisierung als Folge unterlassener Schmerzbehandlung.

Letztlich wurden alle Bedenken hinweg gewischt und das elterliche Erziehungsrecht über alles gestellt. Dies hätte auch Vorrang gegenüber der staatlichen Schutzpflicht. Über das Kindeswohl wurde gar nicht mehr gesprochen … "die Beschneidung ist nur ein begrenzter Eingriff!", so Willems. "Insgesamt überwiegen die Gründe gegen ein völliges Verbot und es sollte stärker die Nutzung der Möglichkeiten der Verminderung der schädlichen Folgen ins Auge gefasst werden. Die Anforderungen an religiöse Beschneider müssen höher geschraubt und die effektive Schmerzlinderung ermöglicht werden."

Es ist also in naher Zukunft nicht damit zu rechnen, dass es ein Verbot der Beschneidung Minderjähriger geben wird, obwohl dies mit den Gesetzen überhaupt nicht in Einklang zu bringen ist. Die Betroffenen bleiben ungehört, Kinderärzte bleiben ungehört und die "Religionsfreiheit" wird extrem ausgeweitet.

Schächten

Ein anderes Ritual, das des Schächtens, ist ebenfalls in den Fokus geraten. Frau Dr. Schader hat sich intensiv mit dem Thema und der Historie beschäftigt.

Nahrungs- und Speisevorschriften gibt es seit Alters her als Zeichen einer Gruppenzugehörigkeit und als Identitätsmerkmal. Für verschiedene Gruppen ist dies zur Abgrenzung sehr wichtig. Es zeigt zudem Klassengrenzen auf.

Bis 1986 war das Schächten in der Bundesrepublik Deutschland geduldet. Vermutlich weil es nicht so oft vorkam. Mit der größeren Zuwanderung von Muslimen, die durch regelmäßige, gesicherte Einkünfte einen höheren Lebensstandard bekamen und somit zu einer erheblichen Gruppe von Konsumenten wurden, war der Bedarf an “koscheren” bzw. "halalen" Lebensmitteln gestiegen. Die muslimischen Metzger gerieten damit mehr in den Fokus der übrigen Bevölkerung und die Schächtung wurde mehr und mehr als Tierquälerei angesehen.

Auch hier bog sich die Gesetzgebung. Einerseits gab es ab 1986 den Tierschutzparagrafen, der die Tötung von Tieren ausschließlich nach vorheriger Betäubung erlaubte und andererseits wurde für Religionsgemeinschaften, die nur "koscheres" Fleisch konsumieren dürfen, eine Ausnahme geschaffen. Dies galt vorerst nur für Juden, da der Islam nicht zwingend diese Art der Schlachtung vorschreibt. Nach einer Klage eines Muslimen, der daraufhin sein "Handwerk" nicht mehr ausführen durfte, wurde dieses Gesetz 2002 wieder aufgeweicht. Und obwohl der Tierschutz seit 2006 im deutschen Grundgesetz steht, darf das Schächten weiter betrieben werden.

Schader brachte als zwar ebenfalls schlechte Beispiele, wie das Gesetz aus Profit- und Machtgründen umgangen wird, einige Beispiele aus der Massentierhaltung. Es klang fast so, als ob man sich wegen dem "bisschen" Schächten nicht so aufregen solle, wenn es doch auch aus nichtreligiösen Gründen viel größere Tierschutzprobleme gäbe.

Zudem meinte sie, dass aus der Historie heraus "vorwiegend aus antisemitischen Gründen, um Juden zu schikanieren, das Schächten verboten werden sollte. Vor allem die Nazis haben in den 30er Jahren diese Tötungspraxis als Vorwand für die Judenverfolgung genutzt und auch heute sind einige Tierschutzvereine noch diesem antisemitischen Vokabular anhängig", so Dr. Schader.

Da traut man sich ja fast gar nicht mehr, sich für den Tierschutz zu engagieren, möglicherweise wird man da gleich in die "rechte Ecke" gestellt oder als Antisemit verschrieen!

Die anschließende Diskussion mit dem Publikum, die nicht sehr intensiv war, zeigte, dass sich in der Zuhörerschaft offensichtlich viele "religiös Gebundene" befanden, denn die Beiträge befürworteten die Beschneidung als religiösen Zugehörigkeitsakt und stellte die Bindung an die Religionsgemeinschaft höher als das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Da wurde die Beschneidung sogar auf eine Stufe mit dem Ohrlochstechen gestellt. Was man zwar prinzipiell auch als Körperverletzung sehen kann, aber nicht mit den dauerhaften Folgen. Denn das Löchlein im Ohr wächst wieder zu, wenn ich es nicht mehr will…

Der einzige Beitrag, der den Tierschutz nur solange als aussichtsreichen Kampf darstellte, wie es keine Ausnahmegesetze gibt, wurde mit eisigem Schweigen quittiert.

Elke Schäfer