Die "Marburger Schule"

(hpd) Der Soziologe Lothar Peter beschreibt und kommentiert die Entwicklung einer Wissenschaftsrichtung um den marxistisch orientierten Juristen und Politologen Wolfgang Abendroth. Es handelt sich um eine informative und umfassende Darstellung zum Thema, wobei der Autor allerdings die Nähe der portraitierten Wissenschaftler zu DDR und DKP nicht genügend problematisiert.

 

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland entstanden an den Universitäten unterschiedliche Wissenschaftsrichtungen, die sich häufig nach dem jeweiligen Ort benannten oder so benannt wurden. Am bekanntesten dürfte heute noch die “Frankfurter Schule” um Theodor W. Adorno und Max Horkheimer sein. Es gab aber auch eine “Marburger Schule”, die um den marxistisch ausgerichteten Juristen und Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth entstand.

Nachdem sie in den 1970er und 1980er Jahren eine gewisse Bedeutung erlangt hatte, fanden ihre Repräsentanten und Schriften im vereinten Deutschland kaum noch größere Resonanz. An sie erinnert der Soziologe Lothar Peter, der sich selbst als deren Repräsentant und Schüler versteht (vgl. S. 7), in seinem Buch “Marx an die Uni. Die ‘Marburger Schule’. Geschichte, Probleme, Akteure”. Da für den Autor auch die Soziologen Werner Hofmann und Heinz Maus “schulebildend” waren, spricht er eben nicht von der “Abendroth-”, sondern von der “Marburger Schule”.

Deren Entwicklung behandelt Peter historisch-chronologisch: Die erste Phase mit der allmählichen Konturbildung von 1951 bis 1966 sieht er vor allem durch Abendroth und seine Mitarbeiter geprägt. Ansätze einer “epistemischen Gemeinschaft” seien zwischen 1965 und 1970 durch das Wirken der Soziologen Hofmann und Maus auch und gerade mit der Dominanz des marxistischen Paradigmas entstanden.

Die Phase von Kontinuität und Neuausrichtung in den 1970er Jahren nimmt mit Ausführungen zu einigen Standardwerken dieser Richtung wie den Schriften von Frank Deppe zu den Gewerkschaften, Georg Fülberth zur Sozialdemokratie, Reinhard Kühnl zum Faschismus und Dieter Boris zu Lateinamerika besondere Aufmerksamkeit ein. In den 1980er Jahren seien diese Entwicklungen mit teilweise neuen Repräsentanten fortgesetzt worden, wozu etwa der verfassungsrechtliche Beitrag von Peter Römer oder später die Verarbeitung des “Epochenbruchs” durch Fülberth gehört habe. Und schließlich skizziert Peter noch die Entwicklung seit den 1990er Jahren.

Er wolle, so formuliert der Autor, sich mit seinem Buch gegen die heute noch kursierende Legende wenden, “dass die Marburger Schule sich durch intellektuelle Orthodoxie und ideologischen Instrumentalismus wissenschaftlich disqualifiziert habe”, was eben durch “die tatsächlichen Leistungen ihrer Akteure widerlegt” (S. 202) werde. Und in der Tat wäre diese Einschätzung eine einseitige und pauschalisierende Deutung, die so sicherlich nicht angemessen ist. Peter kommt das Verdienst zu, erstmals in Form einer breit angelegten Monographie die intellektuelle und personelle Entwicklung der “Marburger Schule” dargestellt zu haben. Seine persönliche Herkunft und Nähe von ihr verschweigt Peter nicht, was ihn indessen nicht zur Ignoranz gegenüber Defiziten oder Problemen veranlasst. So hießt es etwa: “Weder bis zu diesem Zeitpunkt noch später hat Abendroth eine umfassendere Theorie des Politischen oder der Politikwissenschaft vorgelegt” (S. 30), was für einen Gründungsvater der deutschen Politikwissenschaft in der Tat bedauerlich ist.

Immer dann wenn es aber um die Nähe der “Marburger Schule” zur DDR oder DKP (vgl. S. 103–107) geht, beschönigt und relativiert der Autor – selbst bei zaghaften kritischen Kommentaren - allzu sehr. Das diktatur-apologetiche Werk zum Vergleich von “BRD – DDR” kommentiert Peter zwar als “nicht zu Unrecht kritisierten Sammelband” (S. 103). Wie aber die Forderung nach mehr Demokratie und die Orientierung auf eine Diktatur grundsätzlich in Einklang gebracht werden kann, problematisiert der Autor nicht wirklich. Dabei werden dann bestimmte Details auch nicht genannt. So heißt es etwa über das “Institut für Marxistische Studien und Forschungen”: “Das IMSF … musste sich 1990 auflösen, da seine von der DKP abhängige Finanzierung nach 1990 nicht mehr gesichert war” (S. 106). Das Geld kam aber von der DDR über die DKP zum IMSF. Einen gewissen Dogmatismus der “Marburger Schule” hatten auch nicht nur “Kalte Krieger”, sondern auch als links geltende Hochschullehrer wie Iring Fetscher und Fritz Vilmar vehement kritisiert.

Armin Pfahl-Traughber

 

Lothar Peter, Marx an die Uni. Die “Marburger Schule”. Geschichte, Probleme, Akteure, Köln 2014 (PapyRossa-Verlag), 221 S., kart., 14,90 Euro