Europawahl 2014

Warum ist Europa wichtig? (7)

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Karin Heisecke, Foto: © Evelin Frerk

(hpd) In dieser Interview-Serie geht es jeden Mittwoch um den Einfluss der Europawahl auf Menschenrechte und selbstbestimmtes Leben und Sterben.

Die Aktivistin Karin Heisecke befasst sich seit vielen Jahren mit sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung, insbesondere auf europäischer Ebene. Hier zeigt sie die Folgen kirchenfinanzierter Kampagnen in europäischen Gremien bei mangelhafter Gegen-Mobilisierung auf nationaler Ebene auf.

 

Hallo Karin Heisecke,

als gut vernetzte Aktivistin engagieren Sie sich in mehreren europäischen Ländern für Frauenrechte und sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten in Brüssel gearbeitet, unter anderem beim europäischen Dachverband der Familienplanungs-Organisationen IPPF und beim Brüssel-Büro des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, dem UNFPA. Seit 2001 sind Sie aktiv bei V-Day, der internationalen Bewegung gegen Gewalt an Frauen und für sexuelle Selbstbestimmung.

Bei der reproduktiven Selbstbestimmung zeigt sich gerade sehr anschaulich, welche Rolle die Europapolitik bei Fort-, aber eben auch Rückschritten haben kann. Kürzlich war eine Anhörung im Europäischen Parlament (EP) zu der Europäischen Bürgerinitiative „One of Us“. Worum ging es da genau?

Karin Heisecke: Bei der Europäischen Bürgerinitiative „One of Us“ geht es kurz gesagt um die Forderung, dass die EU keine Mittel mehr bereitstellt für Forschung, bei der womöglich Embryonen zerstört werden, und für alle Gesundheitsprojekte in der Entwicklungszusammenarbeit, die Abtreibung nicht explizit ausschließen.

 

Wie konnte es der konservativen „One of Us“-Bewegung gelingen, eine Anhörung im Europäischen Parlament zur Einschränkung der Stammzellenforschung und für Einschränkungen der EU-Entwicklungshilfe für sexuelle und reproduktive Gesundheit zu initiieren?

Der Vertrag von Lissabon (2009) ermöglicht Europäische Bürgerinitiativen, genannt EBI, also eine Art Volksbegehren auf europäischer Ebene. Kommen über eine Million Unterschriften aus mindestens sieben der 28 Mitgliedsstaaten zusammen, müssen sich die Europäische Kommission und das Europäische Parlament (EP) mit dem Anliegen befassen. Die erste EBI wand sich Mitte 2013 erfolgreich gegen die Privatisierung von Wasser in der EU.

Die Anhörung im EP ist zustande gekommen, weil die Initiative „One of Us“ die Anzahl der notwendigen Unterschriften in 18 der 28 Mitgliedsstaaten erreicht hat und von der Europäischen Kommission als gültig anerkannt wurde. Es haben fast 500 Personen an der Anhörung am 10. April teilgenommen, die meisten waren UnterstützerInnen der Initiative, viele davon sind aus Italien und Spanien angereist. Die Debatte verlief recht hitzig, wie ein Video davon zeigt.

Die katholische Kirche hat kräftig geholfen bei der Mobilisierung für die Initiative. Die Adresse der „Bürgerinitiative“ ist übrigens eine Kirche in der Nähe des Europäischen Parlaments in Brüssel. Auch andere christliche Gruppen sind involviert, in Griechenland z.B. hat die Orthodoxe Kirche Unterschriften für „One of Us“ gesammelt.

Wenn man die UnterstützerInnen der Kampagne etwas genauer anschaut, zeigt sich eine Finanzierung zu 96 Prozent von zwei rechtskonservativen katholischen Organisationen in Italien und Spanien, die von zwei konservativen, Vatikan-nahen Europaabgeordneten gegründet wurden. Außerdem wird die Initiative durch radikale Evangelikale aus den USA unterstützt.

Die Europaabgeordnete Ana Gomes wurde in der Anhörung ausgebuht, als sie zu den finanziellen und personellen Hintergründen eine Frage stellte. Das lässt vermuten, dass es den „One of Us“- OrganisatorInnen in Europa nicht gelegen kommt, ihre Verbindungen in die USA transparent zu machen.

Der juristische „focal point“ von „One of Us“, Grégor Puppinck, ist der Generaldirektor des sogenannten European Centre for Law and Justice (ECLJ). ECLJ wurde als europäischer Ableger des US-amerikanischen American Centre for Law and Justice (ACLJ) von dem für seine extremen, antifeministischen Ansichten bekannten US-amerikanischen Tele-Evangelisten Reverend Pat Robertson gegründet. Puppinck ist auch aktiv in der Bewegung „Manif pour tous“ (gegen gleichgeschlechtliche Ehe) in Frankreich. Es ist also recht offensichtlich, dass es hier viel umfassender um sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung geht. Auch das Statement von Sophia Kuby von „European Dignity Watch“ (Tochter der einschlägig bekannten Gabriele Kuby) bei der Anhörung machte deutlich, dass es nicht nur um Abtreibung geht, sondern um eine Unterminierung fortschrittlicher Positionen und das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit.

Es gab in den vergangenen Monaten im Europäischen Parlament mehrere Initiativen für Berichte zu sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung, die von den „One of Us“-UnterstützerInnen attackiert wurden. Der „Bericht über sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte“ der portugiesischen Abgeordneten Edite Estrela wurde zu Fall gebracht. Ebenso der „Bericht über die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Europäischen Union (2012)“ von der portugiesischen Abgeordneten Inês Cristina
 Zuber. Der „Bericht über den EU-Fahrplan zur Bekämpfung von Homophobie und Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität“ der österreichischen Abgeordneten Ulrike Lunacek wurde auch attackiert, allerdings ohne Erfolg.

 

Europa Parlament Straßburg. Foto: © Evelin Frerk

 

Gab es nennenswerte Unterstützung aus Deutschland?

Nicht nur Bischöfe und Priester unterstützten das Sammeln von Unterschriften für „One of Us “ und die Mobilisierung gegen die oben genannten EP-Berichte, sondern auch rechtspopulistische Gruppen. In Deutschland beispielsweise die AfD-nahe Plattform „Zivile Koalition“, deren Blog und die Initiative Eurocheck.

Bei der EBI von „One of Us“ war es für die OrganisatorInnen von Vorteil, dass viele Menschen in Deutschland schlecht informiert waren. Die Art und Weise, wie die Initiative sich präsentierte, hat dazu geführt, dass auch Menschen, die generell eine fortschrittliche Haltung zu den betreffenden Themen haben, unterschrieben haben. In ihrer Kommunikation hat sich die Initiative auf ein europäisches Gerichtsurteil bezogen, das Greenpeace erstritten hat (“Brüstle V Greenpeace” von 2011). In diesem Urteil geht es um die Patentierbarkeit des menschlichen Embryos und die Auslegung des Embryonenbegriffs in Bezug auf Stammzellenforschung. Die Stellungnahme des Generalanwalts zu diesem Urteil machte deutlich, dass die Definition eines Embryos im Sinne des Patentrechts nicht gleichzusetzen sei mit der Definition eines menschlichen Embryos in anderen Bereichen, vor allem bei Schwangerschaftsabbrüchen, bei denen es um individuelle Konfliktsituationen gehe.

Dass die „One of Us“-AktivistInnen den Inhalt des Gerichtsurteils nicht akkurat wiedergegeben haben, und dass das, was sie fordern, letztlich nichts mit dem Greenpeace-Urteil zu tun hat, konnte man nur wissen, wenn man sich intensiv damit auseinandergesetzt hat.