Eine Einladung zum Missbrauch

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Auf einen Kaffee / Foto: (c) Christoph Baumgarten

WIEN. (hpd) Der Skandal um die "Bürgerinitiative" "One of us" lenkt die Aufmerk­samkeit auf das Instrument der direkten Demokratie, dessen sich radikale Abtreibungs­gegner bedient haben. Die so genannte Europäische Bürger­initiative ist ein Verfahren, das gelinde gesagt höchst anfällig für Miss­brauch ist.

Sie soll den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, sich aktiv in die Politik der EU einzubringen: Die Europäische Bürger­initiative. Die EU-Kommission macht es ihnen denkbar einfach. Eine Million (Online-)Unterschriften aus sieben Mit­glieds­ländern und man ist dabei. Klingt simpel und unbüro­kratisch.

Das ist es auch. Zu simpel und unbürokratisch. Eine Million Unter­schriften – das sind etwa 2,6 Promille der Wahl­berech­tigten innerhalb der EU. Zum Vergleich: In Öster­reich muss ein Promille der Wohn­bevölkerung einen Antrag auf ein Volks­begehren unter­stützen, damit das Volks­begehren überhaupt eine Ein­tragungs­woche bekommt. Umgelegt auf die Wahl­berechtigten wären das etwa 1,25 Promille. In einem zweiten Schritt müssten 100.000 weitere unter­schreiben, damit das An­liegen im National­rat behandelt wird. Das sind etwa 1,5 Prozent der wahl­berechtigten Bevölkerung. Eine sechsmal höhere Hürde als EU-weit vor­gesehen.

Lächerlich niedriges Quorum

Dieses lächerlich niedrige Quorum ist eine Einladung an gesell­schaftliche Rand­gruppen, die EU-Politik beein­flussen zu wollen. So geschehen mit der "Bürger­initiative" "One of us", die nicht mehr oder weniger ist als Front­organisation für radikale Abtreibungsgegner aus ganz Europa.

Man muss nur straff organisiert sein und über eine Handvoll über­zeugter Anhänger verfügen und schon funktioniert’s. Eine Million Unter­schriften ist schnell gesammelt und schon muss sich die EU-Kommission mit den An­liegen befassen. Eine Anhörung vor dem EU-Parlament verschafft zusätzliche öffent­liche Auf­merk­samkeit. Eine Rand­gruppe kann sich als Main­stream präsen­tieren.

Man kann diskutieren, ob etwa die öster­reichische Hürde zu hoch ist. Die Ansicht ist legitim, auch wenn man sie nicht teilt. Für eine EU-weite Initiative sollte man zumindest eine Hürde von einem Prozent der Wahl­berechtigten nehmen müssen. Das ist nicht unüber­windbar. Es stellt nur sicher, dass die Anliegen ein Mindest­maß an Verankerung in der Gesellschaft haben.

Man braucht nur die Führer­schein­nummer des Nachbarn

Erschwerend kommt dazu, dass diese Unter­schriften auch online gesammelt werden können. Niemand muss zu einem Amt gehen. Das mag als Erleichterung gedacht sein. Und lädt geradezu zum Miss­brauch ein. Wer die Führerscheinnummer des Nachbarn hat (und mitunter braucht man nicht einmal das), kann jederzeit für ihn unterschreiben. Ob der will oder nicht. Die Behörden werden nur überprüfen, ob der angebliche Unterstützer das Mindestalter erreicht hat und Staatsbürger eines EU-Landes ist. Ob der auch selbst unterschrieben hat – wie soll das überprüft werden?

In manchen Mitgliedstaaten ist nicht einmal vorgesehen, dass ein Unterschriftswilliger seine vollständige Adresse angibt. Man darf offenbar schon froh sein, dass überhaupt noch nach dem Namen der Unterstützer gefragt wird.

Man kann an einem österreichischen Volks­begehren sicher einiges kritisieren. Nur, dort muss man am Gemeinde­amt oder vor einem Notar unter­schreiben und vorher einen Ausweis vorlegen. Das stellt sicher, dass nur der unterschreibt, der unter­schreiben will. Man kann nicht für Dritte unter­schreiben, die vielleicht gar nichts wissen von ihrem Glück.

Bei der Europäischen Bürgerinitiative kann niemand ausschließen, dass auf diese Weise manipuliert wird. Das ist nahezu Anstif­tung zum Miss­brauch.

Offenlegung der Finanzen? Fehlanzeige

Nicht besser wird es mit den Finanzierungs­regeln. Die Betreiber einer Europäischen Bürger­initiative müssen nur angeben, welche Finanzierungs­zusagen von mehr als 500 Euro sie bei der Registrierung haben. Was nachher zugesagt wird, muss offen­bar nicht mehr öffent­lich ange­geben werden.

Es ist gut möglich, dass "One of us" bei der Registrierung vor eineinhalb Jahren nur eine verbind­liche Zusage von 50.000 Euro von der Fondazione Vita Nova hatte. Mehr musste die "Bürger­initiative" in dem Fall auch nicht angeben. Nur, dass es erheblich mehr Geld­mittel geben würde, konnte man sich damals schon ausrechnen. Hinter "One of us" stehen der rechte Flügel der CDU/CSU und nicht gerade arme christliche Lobby­organi­sationen wie das "European Center for Law and Justice" sowie katholische Anti-Abtreibungsinitiativen.

Nur, wenn man nicht verpflichtet ist, spätere Finan­zierungs­zusagen anzugeben – warum tun? Dass "One of us" zu irgend­einem Zeit­punkt illegal gehandelt hätte, sei an dieser Stelle ausdrück­lich nicht gesagt. Dafür gibt es keine Anhalts­punkte.

Nur so viel sei gesagt: Die 50.000 Euro Anschub­finan­zierung können nicht lange gereicht haben. Dass "One of us" allem An­schein nach die weitere Finanzierung nicht offen legen muss, ist ein Problem der Richt­linien. Nicht das der Organisation, die gerne und allem Anschein nach reich­lich von den über­dimensio­nierten Schlupf­löchern Gebrauch gemacht hat.

Ist das die Demokratie, die man will?

Mit Transparenz hat das nichts zu tun. Das ist eine Ein­ladung zum Schummeln – vor allem für kleine, straff geführte Organi­sationen mit vollen Kriegs­kassen. Das mag rechtlich in Ordnung sein. Demokratie­politisch ist es mehr als frag­würdig.

Mit der "Europäischen Bürgerinitiative" hat die EU fanati­sierten Rand­gruppen ein Instrument in die Hand gegeben, das ihnen zahl­reiche Möglich­keiten bietet, die EU-Politik mitzu­bestimmen. Es ist frag­lich, ob das die Bürgerbeteiligung ist, die man fördern wollte. Und ob das das Zusammen­leben in einer Gesell­schaft fördert, die ihre Konflikte nach demo­kratischen und trans­parenten Spiel­regeln aus­tragen will.

Christoph Baumgarten

Notizen aus Wien ist die monatliche Kolumne unseres Österreich-Korrespondenten.