MÜNCHEN. (hpd) Mit einem “Großen Jubiläumsfest” feiert der Tiergarten Nürnberg heuer den 75. Jahrestag seiner Eröffnung am 5. Mai 1939. Seltsamerweise aber finden die Festivitäten erst acht Wochen später statt, am 6. Juli, der eigentliche Jubiläumstag wird tunlichst übergangen.
Genau genommen verfügte Nürnberg bereits seit 1912 über einen eigenen Tiergarten. Schon kurz nach ihrer “Machtergreifung” hatten indes die Nazis das Gelände des Zoos für den Ausbau ihres Reichsparteitagsgeländes beschlagnahmt, so dass der Tiergarten Anfang 1939 geschlossen wurde. Als Ersatz war allerdings schon ab 1937 auf dem Areal eines aufgelassenen Steinbruchs am Rand der Stadt ein neuer Zoo errichtet worden, in den der Tierbestand nahtlos umziehen konnte. Der neue Zoo wurde von den Nazis mit der damals ungeheueren Summe von 4,3 Millionen Reichsmark bezuschusst. Die Gehege-, Betriebs- und Verwaltungsbauten wurden ganz im Stil der völkischen “Heimatschutzarchitektur” errichtet, wie die Nazis sie auch für ihre Siedlungsbauten bevorzugten.
Nürnbergs NSDAP-Oberbürgermeister Willy Liebel, SA-Mann der ersten Stunde und späterer Mitarbeiter Albert Speers, überwachte die Baumaßnahmen höchstpersönlich. Als Bauleiter fungierte NS-Architekt Walter Brugmann. Der Eröffnung am 5. Mai 1939 wohnte jede Menge Nazi-Prominenz bei. Hitler selbst, der schon ein paar Tage zuvor einen Privatrundgang unternommen hatte, war hellauf begeistert.
Eröffnung des Nürnberger Tiergartens am 5. Mai 1939
Auch anderwärts wurden mit finanzieller und propagandistischer Unterstützung der Nazis neue Zoos errichtet, 1936 etwa der Zoo Osnabrück, für den “Reichsjägermeister” Hermann Göring sich persönlich verwandte. Auch der im Jahr darauf eröffnete Zoo Augsburg erfuhr Förderung von höchster Stelle: Der seinerzeitige bayerische Ministerpräsident Ludwig Siebert setzte sich nachdrücklich dafür ein. Sämtliche deutschen Zooneugründungen der 1930er – Bochum, Hamm, Duisburg, Heidelberg, Rheine, Straubing oder Krefeld – wurden entweder von NS-Funktionären initiiert oder von ihnen nach Kräften unterstützt und vorangetrieben.
Zoodynastie Heck
Ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis des Nationalsozialismus zur Institution “Zoo” wirft auch die Geschichte der Zoodynastie Heck: Der seit 1931 als Direktor des Berliner Zoos firmierende Lutz Heck (1892–1983) war schon 1933 offizielles “Fördermitglied der SS” geworden, 1937 trat er der NSDAP bei. Er stand in engem freundschaftlichem Kontakt zu Göring, mit dem er seine Leidenschaft für Großwildjagd teilte. Tatsächlich ging er bei Göring ein und aus, immer wieder war er auch auf dessen Reichsjägerhof in der Rominter Heide zu Gast. Die pseudowissenschaftlichen Experimente, die er zur “Rückzüchtung” von Auerochsen und Wisenten betrieb, wurden von Göring höchstpersönlich gefördert. 1938 erhielt Heck anläßlich des “Führergeburtstages” den Titel eines Professors verliehen, zwei Jahre später wurde er zum Leiter der Obersten NS-Naturschutzbehörde ernannt.
Privatrundgang des “Führers” mit dem Nürnberger Oberbürgermeister Willy Liebel
Göring sorgte auch dafür, dass Heck 1935 für seinen Zoo eine reich bemessene Geländeschenkung aus preußischem Staatsbesitz erhielt, die es ihm erlaubte, angrenzend an die bestehenden Anlagen einen eigenständigen “Deutschen Zoo” einzurichten. In künstlich geschaffenen Felsgehegen wurden Bären, Wölfe und andere “deutsche” Tiere untergebracht, mithin Füchse, Wildkatzen und Luchse; dazu gab es ein Biber- und Fischotterbecken sowie Volieren für Auer- und Birkhühner. An einigen der Gehege wurden zur Verdeutlichung des Deutschtums der darin gezeigten Tiere eigens kleine Hakenkreuze angebracht. Auch in anderen Zoos wurden “Hegestätten deutscher Tierwelt” eingerichtet.
Die Idee eines “Deutschen Zoos” hatte bereits Ludwig Heck verfolgt, Vater von Lutz Heck, der als Amtsvorgänger seines Sohnes dreiundvierzig Jahre lang den Berliner Zoo geleitet hatte. Finanziert von Wilhelm II. hatte er schon um die Jahrhundertwende eine “vaterländische Sammlung” angelegt, in der Raubtiere, Eulen und Greifvögel aus “deutschen Landen” gezeigt wurden. Auch Ludwig Heck war überzeugter Nazi. Anlässlich seines 80. Geburtstages wurde er vom “Führer” höchstpersönlich mit der “Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft”, der höchsten “Kulturauszeichnung” des NS-Staates, geehrt.
Auch Ludwig Hecks zweiter Sohn Heinz (1894–1982) war Zoodirektor, und auch er war eng in das NS-Regime verstrickt. Ab 1928 leitete er den Münchner Tierpark Hellabrunn, in dem er sich, ebenso wie sein Bruder Lutz in Berlin, mit der “Rückzüchtung” von Auerochsen, Wisenten und Wildpferden befasste; auch seine pseudowissenschaftlichen Zuchtversuche wurden von “Reichsjägermeister” Göring mit großzügigen Fördermitteln ausgestattet.
Nazi-Biologie
Tatsächlich eigneten sich die Tiergärten hervorragend als NS-Propagandainstrumente: Sie dienten als Stätten “darstellender Biologie”, in denen zentrale ideologische Themen des NS-Staates wie Vererbungslehre oder Rassenkunde anschaulich gemacht werden konnten. Hinzu kam, dass gerade die Gehegeabteilungen mit “deutschen” Tieren zur Stärkung vaterländischer Volksgesinnung beitrugen. Mit “exotischen” Tieren konnte Propaganda für die Wiedergewinnung der ehemaligen deutschen Kolonien gemacht werden.
Der “Führer” als Tierfreund
Auch Tierschutz spielte eine wesentliche Rolle in der verlautbarten Werteordnung des Nationalsozialismus. Hitler etwa ließ sich gerne mit seinen Hunden ablichten, auch Kitschpostkarten, auf denen er Rehkitze tätschelt, waren weit verbreitet. Selbst Göring als passionierter Jäger oder Himmler, der vor seiner Karriere in der SS eine Hühnermastanstalt betrieben hatte, stellten sich als engagierte Tierschützer dar; Göring vor allem als Gönner und Förderer zoologischer Gärten: Die Zoos in Berlin und Dresden wurden unter seiner Schirmherrschaft weitläufig ausgebaut; aber auch kleinere Zoos wurden von ihm begünstigt: Dem Heimattiergarten Neunkirchen etwa schenkte er einen seiner privat gehaltenen Löwen. Auch Hitler selbst gerierte sich als Tiergartenfreund: Den Münchner Tierpark Hellabrunn etwa beschenkte er mit fünfzig Mandarinenten und zwei Giraffen.
Eine wirkliche Aufarbeitung der Verstrickung der deutschen Zoos in den Nationalsozialismus wurde bis heute nicht vorgenommen. Von heutigen Zoos und Zooverbänden wird die Geschichte zwischen 1933 und 1945 entweder komplett verschwiegen oder aber kaschiert, verharmlost und beschönigt. In einer Materialsammlung des Verbandes deutschsprachiger Zoopädagogen e.V. etwa heißt es lapidar, die Nazis hätten keinerlei Interesse an Zoos gehabt, insofern gebe es auch nichts darüber zu berichten.
Tatsächlich waren praktisch alle Direktoren und Verwaltungsräte deutscher Zoos spätestens seit 1937 Mitglieder der NSDAP oder gehörten sonstigen Gliederungen des NS-Staates an, viele in hochrangigen Funktionen. Im Vorstand des Aktienvereins des Berliner Zoos beispielsweise saß seit 1936 der Generalleutnant der Waffen-SS Ewald von Massow; der Heidelberger Zoo war überhaupt erst mit Geldern des NSDAP-Förderers und späteren NS-Wehrwirtschaftsführers Carl Bosch begründet worden. Auch der Dresdner Zoodirektor Gustav Brandes und viele andere seiner Gilde bekannten sich offen zum Nationalsozialismus.
“Reichsjägermeister” Göring umgab sich gerne mit Raubkatzen
Nach dem Krieg blieb die Mehrzahl der NS-Zoodirektoren unbeanstandet im Amt. Bei manchen wurde eine kurze Schamfrist eingelegt, dann wurden sie erneut in ihre alten Positionen berufen. Karl Max Schneider etwa, seit 1934 Direktor des Leipziger Zoos, wurde 1945 entlassen, im Jahr darauf aber anstandslos wieder eingestellt. 1952 erhielt er eine Professur an der Leipziger Universität, zeitgleich wurde er zum Präsidenten des Verbandes Deutscher Zoodirektoren gewählt. Eine ähnliche Karriere legte sein langjähriger Stellvertreter Heinrich Dathe hin: 1932 bereits der NSDAP beigetreten musste er 1945 seinen Posten im Zoo räumen, wurde aber bald darauf erneut berufen; kurze Zeit später bekam auch er eine Professur an der Universität Leipzig. Ab 1954 baute er den Tierpark Ost-Berlin auf, den er bis 1990 leitete.
In den Annalen der Zoos bleiben die NSDAP-Mitgliedschaften der seinerzeitigen Direktoren, Verwaltungsräte und Geldgeber bis auf wenige Ausnahmen unerwähnt. Bis heute sind sowohl nach Schneider als auch nach Dathe öffentliche Schulen benannt, desgleichen nach Ludwig Heck, Carl Bosch und anderen NS-Ideologen. Zu Ehren Ludwig Hecks erschien 1957 eine Sonderbriefmarke, zu Ehren seines Sohnes Lutz stellte man 1984 sogar eine Bronzebüste im Berliner Zoo auf.
Colin Goldner