"Am besten bleiben Sie zu Hause"

Trotz dieser Empfehlung der Ordnungsbehörden haben die katholische Kirche und die Polizei in München anscheinend gemeinsam ein Wunder vollbracht:

Die Schätzungen der Planzahlen, wie viele TeilnehmerInnen es bei den Großveranstaltungen während des Papst-Besuches geben könnte - und auf deren angenommene Zahl die Polizei ihre Sicherungsmaßnahmen vorsorglich eingestellt hatte -, stimmen exakt mit den Real-Zahlen der Teilnehmer überein.

Teilnehmer vor Ort berichten zwar von halbleeren S-Bahnen, leeren Sonderzügen, freien Parkplätzen, keinerlei Stau oder Enge. Statt der erwarteten 3.000 bis 4.000 Busse mit Pilgern fuhren nur 2.000 Busse auf die vorbereiteten Parkplätze. In der - wie es angekündigt worden war - hoffnungslos überfüllten Messe-U-Bahn gab es in der Hauptzeit des prognostizierten Pilgergedränges noch freie Sitzplätze. Aufmerksamen Betrachtern der Fernsehübertragungen fällt auf, dass die Kameras sehr flach gefahren werden und die obere Bildkante bei den Anwesenden aufhört. Meistens zumindest, denn immer dann, wenn die Kamera doch höher fährt, sieht man die dahinter beginnenden freien Flächen der vorbereitenden Felder.

 

Das Staatsministerium des Innern hatte im Vorfeld gewarnt und empfohlen: „Im Bereich der Messe München kann es, je nach Verkehrslage. zu weiter gehenden Sperrungen kommen. Dem international ausgerichteten Verkehr wird geraten, am Sonntag, den 10. September den Osten von München weiträumig zu umfahren." Und: „Die Pilger sollten nach Möglichkeit über die Anreiseangebote der Kirche oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen."
Der Leiter der Münchener Verkehrsgesellschaft (MVG) bestätigte jedoch die Feststellung vieler Teilnehmer und ebenso die Unwägbarkeit von Schätzungen: „Während die MVG während der Fußball-Weltmeisterschaft doppelt so viele Fußballfans befördern musste wie vorhergesagt, war der Andrang an Papstpilgern nur halb so hoch wie erwartet."

Um dieses Wunder von Schätzung und Realzahlen etwas zu klären, erbrachte eine Anfrage bei der Pressestelle der Polizei in München, wer denn die Zahl der Teilnehmer feststelle, die barsche Antwort: „Die Teilnehmer werden von den Polizeibeamten gezählt." Auf die Nachfrage, ob denn jeder einzelne Teilnehmer gezählt werden würde, dann die zackige Erklärung: „Da wird aus Hubschraubern fotografiert, ein Raster darüber gelegt und aus Erfahrung geschätzt." Ende der Bereitschaft, weiteres zu erläutern.

Das Erzbischöfliche Ordinariat hat es da einfacher: „Wir stimmen uns da ab und bekommen die Zahlen von der Polizei." Auf das Bedenken, dass Beobachter vor Ort geringere Teilnehmerzahlen annehmen würden, wird freundlich aufgeklärt: „Wir haben 250.000 Zugangskarten ausgegeben und so sind es 250.000 Teilnehmer." Dass es kein Gedränge und keine Staus gegeben habe, wird auf die logistische Glanzleistung der Polizei zurückgeführt.

Die Annahme, dass viele der Menschen die eigentlich teilnehmen wollten, schlicht dem eindringlichen Appell der Polizei entsprochen haben und zu Hause vor dem Fernseher geblieben sind - allein der Fernsehsender Phoenix sendet 50 Stunden Live-Berichterstattung -, darf nicht stimmen, weil der immense Aufwand sich dann als absolut lächerlich erweisen würde - seine Rechtfertigung war im Vorfeld schon bezweifelt worden.

Was war alles geplant und ist geschehen?

  • 4.500 Absperrgitter - das sind 13,5 laufende Kilometer Gitter - wurden herbeigeschafft. Um die dringende Suche der Polizei nach Absperrgittern zu erleichtern, bringen die anreisenden „geschlossenen Polizeieinheiten" aus Hamburg und Berlin ihre eigenen Absperrgitter mit.
  • 5.000 Polizisten sind in München im Einsatz.
  • 20.000 Helfer von Feuerwehr, Bahn, THW und kirchlichen Organisationen stehen vor Ort bereit.
  • Es gilt Sicherheitsstufe I: Alles, was nur irgendwie für als mögliches Versteck von Bomben geeignet sein könnte, wird entlang der Fahrtstrecke des katholischen Kirchenführers, d.h. in der Innenstadt, abgeräumt. Seien es Papierkörbe, Pflanzentröge, Streusandkisten, Schauvitrinen in den Straßen, 50 der großen Plastik-Deko-Löwen, parkende Autos und sogar Cafétische, Bistrostühle und Fahrräder. Dass die Gullydeckel zugeschweißt werden ist inzwischen bei Sicherheitsstufe I das Übliche.
  • Die Bahn stellt zusätzliche 35 Züge und 380 S-Bahnen bereit.
  • Seit April werden die Papst-Plakate in DINA 2 und DINA3 kostenlos versandt.
  • 300.000 Tücher in den Kirchenfarben gelb-weiß (Vatikan) und blau-weiß (Bayern) werden vom Erzbischöflichen Ordinariat „zur Begrüßung des Papstes" kostenlos verteilt
  • Der Bayerische Rundfunk hat 1.000 Mitarbeiter im Einsatz und 18 Ü-Wagen sind positioniert. Mehr als 100 Kilometer Kamerakabel für die 300 Kamerapositionen wurden verlegt.
  • Im BR-Hörfunk werden 70 Redakteure mit 16 Ü-Wagen an 13 Orten unterwegs sein.
  • Die Schulferien wurden verlängert.
  • Radio-Werbespots wurden geschaltet, dass es „noch Karten gäbe".
  • Alle Messfeiern am Sonntagmorgen in Münchener Kirchen werden abgesagt, damit die Kirchgänger an der Messe auf dem Messe-Gelände teilnehmen können.
  • Altarinseln werden gebaut (nur die in München kostet 6 Mio. Euro) und ein Altarberg aufgeschüttet und befestigt (in Köln, zum Weltjugendtag, kostete Aufschütten, Installation und Abtragen des „Marienfeldes" rund 25 Mio. Euro).
  • Die Autobahn A 3 wird bei Regensburg gesperrt.
  • Die Gesamtkosten werden auf rund 100 Mio. Euro geschätzt.

Und nun: die Züge halbleer, Parkplätze vorhanden, keine Staus... „Die Leute sind zu Fuß oder per Fahrrad gekommen." Andererseits spricht einiges für ein schlichtes Desinteresse oder - wie es die Süddeutsche Zeitung annimmt: „Das lag vor allem an den Nicht-Pilgern, die sich offenkundig für die innere Emigration in Haus und Garten oder aber die ganztägige Flucht an die Peripherie entschieden hatten." Das Bayerische Fernsehen meldet bundesweit 1,1 Mio. Zuschauer... angesichts des Aufwandes eine nur kärgliche Quote.

Doch „da nicht sein kann, was nicht sein darf" - sind es genauso viele Teilnehmer, wie geschätzt. Punktum - koste, was es wolle.

Carsten Frerk