Pilatus im Interview (1)

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Christus vor Pilatus, Gemälde von Mihály von Munkácsy, 1881
Christus vor Pilatus, Gemälde von Mihály von Munkácsy, 1881

(hpd) Schon zum Darwin-Festakt hat Michael Schmidt-Salomon versucht, einer historischen Person eine Stimme zu geben. Das Gleiche soll hier mit einer historischen Person der Religionsgeschichte geschehen. Mit Pontius Pilatus, jenem römischen Statthalter, der im christlichen Glaubensbekenntnis erwähnt wird, wurde ein Vertreter des antiken Heidentums aktiviert.

hpd: Wir schreiben das Jahr 2014 und es ist ein besonderer Tag, wir interviewen für Sie Pontius Pilatus, einen Mann von dem jeder gehört hat, von dem wir aber kaum etwas wissen. Wir haben unseren Interviewgeber über den Verlauf der Geschichte seit seinem Ableben aufgeklärt. Nach monatelanger Erschütterung ist er nun bereit, sich unseren Fragen zu stellen.
Pilatus, wie lautet eigentlich ihr voller Name.

Pontius Pilatus: Wie viele Römer hieß ich auch Gaius, Gaius Pontius Pilatus.

 

Die historische Überlieferung weiß über Sie nur zu berichten, dass Sie in den Jahren 26–36 Präfekt von Judäa waren. Die größte Weltreligion der Erde sieht Sie als den Mann, der ihren Religionsstifter Jesus Christus zum Tode verurteilte. Manche Legenden sehen Sie als späteren Christen, Sie sind ein anerkannter Heiliger der koptischen Kirche.

Legenden haben keinen historischen Wert. Ich habe mich nie einer obskuren Sekte angeschlossen. Wie würden Sie sich fühlen, wenn jemand behauptete Sie seien früher Mitglied einer Vereinigung von Einfaltspinseln gewesen.

 

Das sind aber sehr harte Worte! Sie sprechen von einer Religion, die in Länder vordrang, die ihre Kultur noch gar nicht kannte, einer Botschaft der Liebe.

Ich weiß nicht, was man heute unter einer „Botschaft der Liebe“ versteht. Diese Sekte hat jedenfalls verkündet, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorstehe. Es hieß die Toten würden auferstehen und dann gerichtet werden.

Den Christen wurde gesagt, sie würden über ihre heidnischen Nachbarn und sogar über Engel zu Gericht sitzen und sie könnten sich dann an den ewigen Qualen der Bestraften weiden. Der Mann den ihr „Jesus Christus“ nennt, habe ich selbst verhört und seine Angaben mit dem mir später vorliegenden Dossier abgeglichen. Er hat seinen zwölf Hauptschülern versprochen, jeder von ihnen werde über einen ganzen Stamm Israels richten und dies würde in „Kürze“ geschehen, denn der Teufel sei bereits gestürzt. Er selbst habe ihn aus dem Himmel fallen sehen.

Erst viele Jahre später - als Mitglied eines Untersuchungsausschusses des Senats - erfuhr ich dann, dass die sich nach seiner Hinrichtung um ihn rankende Auferstehungslegende die Entstehung einer weltweit agierenden Sekte hervorgerufen hatte. Da diese so sehr mit seiner baldigen machtvollen Wiederkunft rechnete, haben viele ihre ganze Habe veräußert und unter den Armen verteilt. Aber dieses Ereignis blieb aus und so war die Jerusalemer Urkirche später selbst auf Spenden angewiesen. Dabei wurden vorher auch noch diejenigen, die vorsichtshalber etwas heimlich beiseitegelegt hatten, offenkundig durch Fememorde getötet, die wiederum als plötzliches Ableben durch göttliche Strafe dargestellt wurden.

Die Bereitschaft der Jerusalemer Urgemeinde einen heidenchristlichen Zweig anzuerkennen - dessen Mitglieder also nicht beschnitten sein mussten und die Sabbatvorschriften usw. nicht zu befolgen hatten - beruhte wohl schlichtweg auf der Tatsache, dass jener Kompromiss auch eine Kollekte der neuen Gemeinden für die verarmte Jerusalemer Gemeinde beinhaltete.

Glauben Sie wirklich so einer wie dieser Jesus - auf den sich eine solch wirrköpfige Sekte berief - konnte auf mich Eindruck machen? Ich gehörte einer Kultur an, die bereits den Erdumfang berechnen konnte und in der bereits die heliozentrische Theorie unterbreitet worden war. In meiner Heimatkultur wurde Ethik mit Hilfe der universellen Vernunft der Philosophie begründet. Unseren Denkern wie Aristoteles, Zenon von Kition, Cicero, Epikur und Lucretius verdankt eure Kultur mehr als dem Mann, den ich hinrichten ließ, welchen die Christen übrigens geistig vergewaltigt haben, denn er war ein echter Jude. Ein dreifaltiger Gott - noch dazu mit ihm selbst als göttlicher Person - wäre für ihn abartigster Götzendienst gewesen, also ein Verstoß gegen das wichtigste von über 600 Geboten des mosaischen Gesetzes.

 

Kommt Ihnen nicht der Gedanke, dass Sie die genannten Verkündigungen zu wörtlich nehmen?

Wer in meiner Zeit über Dämonenaustreibung, ewige Höllenstrafe für Andersgläubige und apokalyptische Naherwartung sprach oder schrieb, der hat es auch so gemeint. Zumindest meine Deutung der Ereignisse in der Urgemeinde entspricht auch keiner wörtlichen Übernahme, sondern der Suche nach einem realistischen wahren Kern.

 

Kommen wir doch erst mal zu Ihrer Lebensgeschichte: Als Präfekt von Judäa müssen Sie Mitglied des römischen Ritterstandes (untere Oberschicht) gewesen sein. Sie wurden also in eine reiche Familie hineingeboren, haben etwa 20jährig eine Offizierslaufbahn eingeschlagen, um dann vermutlich mit etwa 40 in die zivile Laufbahn zu wechseln. Zumindest wäre dies die typische Karriereschiene. Hier brachten Sie es zum Präfekten von Judäa. Warum sind sie als junger Adeliger, der es nicht nötig hatte Geld zu verdienen, bei dem Militär geblieben? Sie waren vermutlich mehrfach in einem Krieg aktiv, in jungen Jahren waren Sie zeitweise Kampfkommandant kleiner Einheiten. Da haben Sie wohl kaum die Sicherheit eines Stabsoffiziers genießen können, der zum Gefolge des Feldherrn gehört. Sie hätten jung sterben können.

Auch als Legionstribun musste ich mich in Gefahr begeben, um dem Oberbefehlshaber Bericht erstatten zu können. Auch Feldherrn sind auf Feldzügen zu Tode gekommen, denken Sie an Crassus (115 bis 53 v. u. Z.) oder Gaius Caesar (20 v. u. Z bis 4 u. Z.) den Enkel des Augustus, ganz zu schweigen von dem Schicksal des Varus und seiner drei Legionen mit ihren Offizieren.

Es ist reiner Zufall, dass ich nicht in der Varusschlacht im „Teutoburger Wald“ (9 u. Z) starb. Ich wurde vorher von Germanien nach Pannonien versetzt, wo der Krieg glücklicher verlief. Nach der Katastrophe musste ich zurück, um die Rheingrenze sichern zu helfen. Ich musste dann nochmal mit einer ausgewählten Truppe in die germanischen Urwälder vorstoßen, um Kolonisten unhaltbarer Außenposten zu evakuieren. Vor allem die Bewohner von Augusta Mattiacorum. Dieser Ort war eigentlich als zivile Provinzhauptstadt im rechtsrheinischen Germanien vorgesehen.

 

Wo lag dieses Augusta Mattiacorum?

An der mittleren Lagona, in der Nähe der verlassenen Ubierstadt.

 

Wie alt waren Sie damals?

Ich war 31 Jahre alt. Ich wurde 8 Jahre nach der Schlacht bei Actium geboren.

 

Stammten Sie aus einer alten Familie?

Ich bin ein Nachkomme des samnitischen Feldherrn Gaius Pontius, Sohn des Herennius. Er kämpfte gegen die Römer, etwa dreihundert Jahre vor meiner Geburt, als Rom noch eine regionale Metropole war. Doch letztlich unterlagen die Samniten und wurden zu Bundesgenossen Roms, zu Foederaten wie wir sagten. Mein Ururgroßvater war Publius Pontius Telesinus, der im Bundesgenossenkrieg ebenfalls ein samnitisches Heer führte.

Damals wurde die Verleihung des römischen Bürgerrechtes an alle italischen Bundesgenossen durchgesetzt. Allerdings starb er später im Kampf gegen den Diktator Sulla. Mein Großonkel war Pontius Aquila, ein Volkstribun, der zu den Verschwörern gegen den Diktator Julius Caesar gehörte und auch am Attentat beteiligt war. Durch ihre Gegnerschaft zu Sulla und durch ihren späteren Versuch gegen Caesar und seine Erben die Republik zu verteidigen, stand unsere Familie zweimal, innerhalb von 50 Jahren, auf Seiten der Verlierer. Wir hatten Verluste an Angehörigen und Gütern zu beklagen. Meine Eltern waren beide Halbwaisen. Nur das Familiengut meiner Mutter bei Ameria, in Umbrien, blieb uns erhalten. Wir führen seitdem nur noch das Cognomen „Pilatus“. Es war keine Selbstverständlichkeit, dass ich als junger Mann in den Ritterstand aufgenommen wurde.