(hpd) Der Historiker Olaf Stieglitz will in seinem Buch “Undercover. Die Kultur der Denunziation in den USA” anhand von Fallstudien die Präsenz wie Tabuisierung der Denunziation untersuchen. So beachtenswert die einzelnen Beispiele auch in der Detailanalyse sind, so bedauerlich ist das Fehlen eines allgemeinen Untersuchungsergebnisses.
Bradley Manning und Edward Snowden gelten als die gegenwärtig bekanntsten Denunzianten, gaben sie doch interne Regierungsdokumente an die Öffentlichkeit weiter. Doch ist die Formulierung “Denunzianten” in diesem Kontext die treffende Wortwahl? Könnte man hier nicht nach jeweiliger Auffassung mehr von Aufklärern oder mehr von Verrätern sprechen?
In Europa dominiert die erstgenannte, in den USA, die letztgenannte Sicht. Doch wie steht es überhaupt um die Denunziation in Alltag und Politik, in Geschichte und Gegenwart. Dieser Frage geht der Historiker Olaf Stieglitz in seiner Studie “Undercover. Die Kultur der Denunziation in den USA” nach. Sie will der Frage “Wenn … die Denunziation ein Tabu ist, warum ist sie so präsent in der Kultur der Vereinigten Staaten?” (S. 14) anhand von ganz unterschiedlichen Fallbeispielen von 1880 bis in die Gegenwart nachgehen. Im “Sinne der Neuen Kulturgeschichte” fragt der Autor nach den “Bedeutungen, die … Dinge erhalten, sie tragen und reproduzieren” (S. 24).
Dazu beabsichtigt Stieglitz einen Perspektivwechsel in der historischen Denunziationsforschung, die bezogen auf die Diktaturen Europas relativ gut entwickelt, aber hinsichtlich der Demokratie in den USA stark unterentwickelt sei. Denunziation gelte in den “Cultural Studies” als Sonderform des Verrats und werde ebendort hinsichtlich der Verletzungen von Loyalität und Vertrauen aus unterschiedlicher Perspektive untersucht. In Anlehnung an die Diskursanalyse von Michel Foucault präsentiert er zunächst einige methodische Reflexionen, bezogen auf “die Formierung des Wissens, sein Ausdruck in regulierenden Machsystemen sowie die dadurch angestoßenen Subjektivierungsweisen” (S. 47). Denn eine erkenntnisfördernde Analyse des Denunziatorischen habe “vor allem dann Sinn, wenn man es auf größere Zusammenhänge und Begriffe bezieht, etwa das Geheime und seinen Verrat, die Loyalität und das Vertrauen in sie, die Sicherheit und ihre Kontrolle, das Subjekt und seine Stellung im Kollektiv” (S. 49).
Erst danach geht es in Fallstudien um die Betrachtung einzelner Denunziationen, wobei die unterschiedlichsten Beispiele bezogen auf Akteure und Rahmenbedingungen den Gegenstand für die Analyse bilden: das Agieren von “patriotische Organisationen” zur Überwachung von “Alien Enemies” im Ersten Weltkrieg, die Arbeit des FBI mit einschlägigen Informanten vor und nach der Hoover-Ära, die Rolle der “Labor Spies” in der Kultur der US-Arbeiterbewegung, die Selbstdarstellungen der Denunzianten in der McCarthy-Ära als Hüter der “nationalen Sicherheit”, die Erinnerung an den Verrat von Mitgliedern der “Black Panther Party”, das “Patriotic Acting” nach dem 11. September 2001 und dem “Whistleblower”-Phänomen der Gegenwart. Über die Perspektive seiner Betrachtung schreibt Stieglitz: “Im Mittelpunkt meines Erkenntnisinteresses standen Funktionen, Mechanismen und Strategien, welche sich mit der Figur des Denunzianten verbanden, um Positionen in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen um acht zu markieren” (S. 282).
In der Tat geben die einzelnen Fallstudien einen interessanten Einblick in die unterschiedlichsten Dimensionen und Kontexte der Denunziation. Stieglitz erweist sich auch als guter Detailkenner der jeweiligen historischen Fälle. Und doch fehlt die entscheidende Abrundung zum Thema, denn der Autor arbeitet zu fragmentarisch und unsystematisch. Mal kommt hier ein beachtenswertes Beispiel, mal kommt dort eine überlegenswerte Deutung. Doch worin besteht die eigentliche Erkenntnis, was bringt das Verständnis weiter? Es ist kein Zufall, dass das Buch mit der Kapitelüberschrift “Vorläufiges zur Figur des Denunzianten in den USA” endet.
Die gewisse Enttäuschung hat zwei Ursachen: Bei seinen methodischen Ausführungen mit Rekursen auf Foucault verzettelt sich Stieglitz ein wenig, fehlt doch die eigentlich klare Linie für die Untersuchung. Und dann widmet sich der Autor auch zu unterschiedlichen Fällen von Denunziation, sollten doch Fälle im kriminellen und im politischen Bereich nicht pauschal unter dem gleichen Kontextbegriff gefasst werden.
Olaf Stieglitz, Undercover. Die Kultur der Denunziation in den USA, Frankfurt/M. 2013 (Campus-Verlag), 395 S., 34,90 Euro