Am Ende der Sprachlosigkeit

BERLIN. Zur monatlichen „Kulturdebatte im Turm“ findet der Gast

auf kompliziertem Weg.

Er muss im Bezirk Friedrichshain den stadtauswärts des Frankfurter Tores rechts gelegenen Turm (Tagungsort) und dessen seitlichen Eingang finden, an der Tür bei „lounge im turm“ klingeln, den Zuspruch per Hausfunk abwarten, den zweiten (!) Fahrstuhl bis in die 10. Etage nehmen und von dort noch ein paar Etagen steigen – und wird belohnt durch herrlichen Berlinblick (Bilder 2 bis 4 im Anhang), und stets anregende Debatten – diesmal (gestern) über „Muslimische Kulturen in Berlin“.

Veranstalter ist die KulturInitiative'89“, Organisator und Moderator der Kulturwissenschaftler Prof. Dietrich Mühlberg, Gründungsvizepräsident der „Humanistischen Akademie Berlin“, in Zusammenarbeit mit "Helle Panke", unterstützt durch "Rohnstock Biografien" und "Stiftung Denkmalschutz", die den Turm verwaltet und den ehemaligen Hausklub zu einer der exklusivsten Veranstaltungsadressen in Berlin verwandelt hat. Wer die Themen nicht mag, hat wenigstens ein touristisches Erlebnis.

Mühlberg fasste die zweistündige Debatte so zusammen: Je stärker sich Muslime deutsch sprechend artikulieren, sich wie andere in Deutschland vereinsmäßig organisieren, Interessenverbände bilden, desto mehr werden sie wahrgenommen und kommen sie in die Lage, ihre kulturellen und religiösen Besonderheiten nicht nur zu leben, sondern auch politisch auszudrücken. Die Hör- und Sichtbarkeit nehme zu und eine Assimilation im klassischen Sinne werde unwahrscheinlicher, gerade in Berlin, wo die Vielfalt das Stadtzeichen sei.

Wie weit die Vielfalt reicht, symbolisierte ein engagierter Diskutant, ein Urpreuße, wie er betonte, dessen Vorfahr als Offizier im Kaiserlichen Heer in der Türkei dienend, Muslim geworden war und der nun selbst die „Stimme der Alewiten“ verteilte, vehement gegen die zugewanderten „Scharia-Muslime“ polemisierte – und der lange Jahre PDS Vorsitzender im Teilverband Tempelhof war.

Gastreferentinnen im Turm waren Riem Spielhaus und Dr. Alexa Färber. Gegenstand war ihre senatgeförderte Studie „Islamisches Gemeindeleben in Berlin“, die Spielhaus und Färber Ende 2006 im Auftrag des Berliner Integrationsbeauftragten herausgegeben haben. Sie sind Veränderungen in den letzten zehn Jahren nachgegangen. Ihre Befunde wurden vorgestellt und diskutiert. Der faktenreiche Sammelband kann gedownloadet werden.


Berlin hat ein ethnisch und religiös ausdifferenziertes islamisches Gemeindeleben, das zunehmend in Form von eingetragenen Vereinen organisiert und zu 99 % im Westteil der Stadt beheimatet ist. Diese Organisationsstruktur ermöglicht es, Imame zu beschäftigen, religiöse Grundbildung für muslimische Kinder und Jugendliche anzubieten und Gebetsräume zur Verfügung zu stellen. Diese Orte bilden häufig das Zentrum des Gemeindelebens. Seine verschiedenen Formen spiegeln die lokalen Anforderungen und Möglichkeiten, die die Stadt Menschen mit muslimischem Hintergrund bietet. Für ganz Deutschland hat die „Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Grünen zum Stand der rechtlichen Gleichstellung des Islam in Deutschland" zahlreiche empirische Befunde geliefert, die seit dem 18. April in der elektronischen Vorabfassung öffentlich zugänglich ist.


Beide Autorinnen sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der Humboldt-Universität, Riem Spielhaus, Bildmitte, im Bereich „Islamwissenschaften des nichtarabischen Raumes“ am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften. Sie ist auch Gründungsmitglied der bundesweiten „Muslimischen Akademie in Deutschland“. Zudem moderiert sie in Berlin das „Islamforum“, ein ähnliches, aber doch deutlich anders angelegtes Pendant zur „Islamkonferenz“.

Alexa Färber arbeitet am „Institut für Europäische Ethnologie“. Ihr aktuelles DFG-Forschungsprojekt heißt „Ethnische Repräsentation und urbane Kultur: Berlin und Moskau auf dem Weg zur world city?“ – was in der Debatte zu Vergleichen führte und u.a. zu der Anmerkung, dass es im Vergleich zu Paris und Moskau in Berlin (wie in Deutschland) noch (!) keine repräsentative, national bedeutsame Moschee gibt.

Wie sich überhaupt die Berliner Integrations-Situation von der anderer deutscher Städte positiv unterscheidet (bei allen Mängeln, die auch in der Debatte angesprochen wurden) und Parallelgesellschaften weitgehend durch die hiesige Toleranz- und Förderpolitik behindert. Gleich sei aber überall, dass der 11. September und die öffentliche Zumutung, ja Verurteilung, eine einheitliche „Zurechnungsgemeinschaft“ des Islam zu bilden, Muslime aus ihren Schubladen herauskommen ließ. Das erzeugte eine sehr differenzierte Bekenntnislandschaft. Es gebe heute Atheisten, die wieder ihre muslimische Herkunft betonen, andere, die sich als Ex-Muslime outen, wieder andere erkennen ihre religiösen Wurzeln bzw. ihre „islamische Spiritualität“, manche legen das Kopftuch ab, andere tragen es demonstrativ.

Zusammen gesehen mit einem Generationswandel (die Einwandergeneration geht in Rente, wenn sie eine bekommt) entsteht ein neuer Konflikt: auf der einen Seite Modernisierung, Ausdifferenzierung und Pluralisierung muslimischer Kulturen, auf der andren Seite der Zwang, gerade von politischer Seite, eine „Kirchenbildung“ nach christlichem Muster als Partner des Staates zu schaffen, eigene theologische Fakultäten vorzubereiten, Islamunterricht anzubieten usw. Der „Koordinierungsrat“ könne als mögliches Subjekt den Weg dorthin zu gestalten versuchen.

In Berlin könne kein muslimischer Verein für sich Deutungshoheit beanspruchen. Aber jetzt werde deutlicher als noch vor zehn Jahren wahrgenommen, dass man auch gemeinsame Interessen habe. Das – und der Generationswechsel – habe zu einer Zunahme sich bewusst deutsch verstehender Muslimvereine geführt, die sich der Öffentlichkeit öffnen, mit ihr in deutscher Sprache kommunizieren und ein professionelles Vereinsmanagement anwenden, eingeschlossen eine steigende Zahl von Hauptamtlichen mit Medienerfahrung.


Einem ersten Altersheim in Berlin (und demnächst anderswo) werden sicher Kindergärten und andere Sozialeinrichtungen folgen, die – so folgert der Berichterstatter – langfristig zu einer Änderung auch der Religionsverfassung in Deutschland führen werden, weg vom Kirchenmonopol: wie sich das im Berliner Modell der Gleichbehandlung schon ansatzweise zeigt. In dem steigenden Maße, wie die Pluralisierung Kulturmuslime und Ex-Muslime einbezieht, werden die möglichen Folgen deutbar an den Reaktionen der Kirchen und dem Suchen der Politik nach verfassungsmäßigen Lösungen. Das hat auch Folgen für den hiesigen „Humanistischen Verband“ und den HVD bundesweit. Für die „Humanistische Akademie“ habe ich schon mal laut Lern- und Gesprächsbereitschaft mitgeteilt. Warum keine gemeinsame Tagung mit der „Muslimischen Akademie“? Ein Thema wird sich schon finden lassen. – Und: Wann gibt es die erste senatsgeförderte Studie: „Humanismus in Berlin“?

Nächster Termin im Turm: 13. Juni, 19:30 Uhr

Prof. Kurt Pätzold: Mein Hitlerbild Eine Debatte besonders über die letzten Hitler-Filme

 

Horst Groschopp