Israel

Erfolg gegen "Beschneidungsanordnung"

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Traditionelles jüdisches Beschneidungswerkzeug (im Jewish Museum (New York City)), 19. Jahrhundert
Traditionelles jüdisches Beschneidungswerkzeug (im Jewish Museum (New York City)), 19. Jahrhundert (CC BY-SA 2.0)

BERLIN. (hpd) Im Herbst 2013 verurteilte ein Rabbinergericht in Israel auf Antrag des geschiedenen Ehemannes die Mutter Elinor D., den gemeinsamen einjährigen Sohn beschneiden zu lassen; die Mutter sollte mit der Verhängung eines Zwangsgeldes von umgerechnet 140 US-Dollar pro Tag zur Durchführung der Beschneidung gezwungen werden. Elinor D. weigerte sich und erhielt mittlerweile vor dem von ihr angerufenen höchsten Gericht Israels (High Court of Justice) Recht.

Das Gericht befand: Die Anordnungen des Rabbinergerichts sind nicht rechtens. Die Angelegenheit wurde zugleich auch zu einem Streit darüber, ob in Israel Rabbinergerichte oder die (weltlichen) Familiengerichte für Entscheidungen zu Beschneidungen zuständig sind. Der High Court hat entschieden, dass zwischen den Eltern strittige Beschneidungen ein Fall für die weltlichen Familiengerichte sind.

Der Fall begann mit einem Streit zwischen den geschiedenen Eltern, in dem der Kindesvater die Vorhautamputation (“Beschneidung”) seines Sohnes, der aufgrund medizinischer Bedenken nicht bereits am achten Tag nach der Geburt beschnitten worden war, gerichtlich erzwingen lassen wollte. In Israel steht Rabbinergerichten die Entscheidungskompetenz in diversen familiären Angelegenheiten, wie zum Beispiel Eheschließung und Scheidung, zu. Das vom Kindesvater eingeschaltete Rabbinergericht gab jenem Recht und urteilte, dass der einjährige Sohn beschnitten werden müsse. Es begründete diese Entscheidung unter anderem damit, dass die eigene Ausnahmeerscheinung des “Nicht-beschnitten-seins” einen irreversiblen psychologischen Schaden bei dem Jungen anrichten werde und dass die Beschneidung ein wesentlicher Bestandteil der jüdischen Identität sei. Für jeden Tag, an dem die Mutter sich weigerte, dem Urteil zu folgen und den Sohn beschneiden zu lassen, wurde ihr ein Zwangsgeld von umgerechnet 140 US-Dollar auferlegt. Der hpd berichtete darüber.

Nichtsdestotrotz gab Elinor D. nicht auf und wandte sich im Dezember 2013 an den israelischen High Court, um das Urteil des Rabbinergerichts anzufechten. Kurz darauf startete die israelische beschneidungskritische Organisation “Jewish Circumcision Resource Center” eine Petition, in der das oberste Gericht dazu aufgerufen wurde, das Urteil des Rabbinergerichts zu annullieren. Bis dato hat der Aufruf über 36.000 Unterzeichner gefunden. Mit der zunehmenden nationalen und internationalen Bekanntmachung des Falles stieß Elinor D. auf viel Solidarität und Unterstützung, die ihr sogar die Bezahlung der “Strafgebühren” durch Spendengelder ermöglicht hätten.

Im Februar dieses Jahres meldete sich Israels Attorney General (Das Amt ist vergleichbar mit dem eines Generalstaatsanwalts und Justizministers), Yehuda Weinstein, zu Wort, nachdem ihn das oberste Gericht bezüglich des Falles konsultiert hatte, und ergriff dabei Partei für die Kindesmutter. Er argumentierte, dass das Rabbinergericht mit der Anordnung, den Jungen beschneiden zu lassen, seine rechtliche Zuständigkeit überschritten habe. Er sei überdies skeptisch, ob das Rabbinergericht seine Entscheidung am Kindeswohl orientiert habe.

Am 26. Februar berichtete die Jerusalem Post über die erste Anhörung vor einem siebenköpfigen Ausschuss des High Court of Justice, für die die Anordnung des Rabbinergerichts vorläufig zurückgenommen worden war.

Die Mutter widersprach in ihrer Aussage der Begründung des Rabbinergerichts und argumentierte, dass sozialer Druck kein legitimer Grund sei, den von der Natur geschaffenen Körper ihres Sohnes zwangszubeschneiden (Originalzitat:“social pressure is no reason to force cutting my son’s body as nature and the universe naturally created him”). Der High Court eröffnete die Anhörung mit der Darlegung dreier für ihn zentraler Fragen: Hat ein juristisches Gremium die Autorität, sich in diese Frage einzumischen? Haben speziell Rabbinergerichte diese Autorität und, falls sie diesbezüglich ein gewisses Maß an Autorität besitzen, gibt es dann eine Grundlage für den High Court, den Rabbinergerichten in der Nutzung dieser Autorität Vorschriften zu machen?

Elinor D`s. Anwalt Avigdor Feldman berichtete dem High Court, dass die Mutter die Praxis der Zirkumzision ablehne und dem Autoritätsanspruch des Rabbinergerichts im besten Interesse ihres Sohnes widerspreche. Darüber hinaus argumentierte er, die Forderung des Rabbinergerichts basiere auf einer inkorrekten Interpretation, der zu Folge eine Zirkumzision ein medizinischer Eingriff im besten Interesse des Jungen sei. Tatsächlich bestünde jedoch keine medizinische Notwendigkeit und die Angelegenheit sei lediglich ein ideologischer Disput zwischen den Eltern. Die Frage der Zirkumzision sei zwischen einem Individuum und Gott zu beantworten und liege jenseits des Einmischungsrechts menschlicher Gerichte.

Die Positionen der Richter des High Court variierten deutlich. Manche schienen der Meinung zu sein, dass ein Einschreiten in dieser Angelegenheit zu einer Inflation von gerichtlichen Beschlüssen bei elterlichen Konflikten zu religiösen Fragen der Kindererziehung führen würde und einige gingen davon aus, dass das Unterlassen einer Beschneidung den Jungen in seinem späteren Leben sozial schädigen könnte.

Anwalt Shimon Yakobi, der als Repräsentant der Rabbinergerichte fungierte, führte vor dem obersten Gericht aus, dass es entscheidend sei, die Autorität der Rabbinergerichte aufrechtzuerhalten, um sie als gleichgestellte und rechtsgültige Gerichte im juristischen System anzuerkennen.

Schließlich beauftragte der High Court Generalstaatsanwalt Weinstein dazu, innerhalb von sieben Tagen ein detailliertes Fazit mit sicheren und spezifischen rechtlichen Aspekten vorzustellen. Die anderen involvierten Parteien sollten auf Weinsteins Position innerhalb einer weiteren Woche antworten.

Kurz darauf berichtete Aljazeera von Protesten liberaler und säkularer Juden in Israel, die sich über das Urteil des Rabbinergerichts empörten und Elinor unterstützen wollten. (Der Artikel nimmt den Fall zum Anlass, die Spannungen zwischen orthodoxen und säkularen Juden, sowie den Einfluss einer orthodoxen Auslegung des Judentums auf das Rechtssystem und die Gesellschaft Israels zu erörtern.)

Nach Ablauf der angeordneten sieben Tage publizierte die Jerusalem Post die Position des Generalstaatsanwalts, in der dieser die Entscheidungsgewalt über strittige Zirkumzisionen in Scheidungsfällen den Familiengerichten - und nicht den Rabbinergerichten – zuordnete. Ende Juni verkündete der High Court schließlich seine Entscheidung, in der er der Position Weinsteins folgte und dem Rabbinergericht die Entscheidungszuständigkeit absprach. Die Richter entschieden mit 6 zu 1 Stimmen, die Zuständigkeit in der Angelegenheit an das zivile Familiengerichtssystem zu überweisen. Zwischen den Eltern strittige Zirkumzisionen werden damit in Israel künftig generell vor dem Familiengericht verhandelt und sind kein scheidungsbezogenes Thema mehr, womit die Rabbinergerichte ihre diesbezügliche Entscheidungsmacht verlieren.

In seiner Entscheidung führte das oberste Gericht unter anderem aus, dass eine Zirkumzision ein irreversibler körperlicher Akt ist, der am Körper eines Kindes vorgenommen werde. Die Entscheidung der Eltern über die Zirkumzision sei nicht Teil eines Scheidungsverfahrens. Eine Entscheidung über die Beschneidung des Sohnes beinhalte Fragen im Zusammenhang mit grundlegenden Rechten des Kindes wie Religionsfreiheit oder Freiheit von Religion (“freedom from religion”), sowie soziale und kulturelle Überlegungen.

Seitens mehrerer jüdischer Religionsvertreter folgte eine vehemente Kritik des Urteils, macht es doch über den unmittelbaren Fall hinaus eines deutlich: Der Ausgang des Falles ist Ausdruck einer wachsenden Sensibilisierung der israelischen Gesellschaft hinsichtlich Beschneidungen und ein klares Signal für eine zunehmende Säkularisierung des Rechtssystems Israels.