In Museen beten?

KÖLN / BERLIN. Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht. Irgendwann ist das Maß voll und das Glas läuft über. Jetzt ist der Punkt erreicht,

wo dazwischen zu rufen ist, weil die Kulturanmaßung des organisierten Christentums in unserem Land zu nerven beginnt ... und weil der missionarische Eifer des Geschäftsführers des „Deutschen Kulturrates“, Olaf Zimmermann, diese ehrenwerte, seit mehr als einem halben Jahrhundert bestehende Einrichtung in Misskredit bringt, weil er sie als Kirchenlobbyist nutzt – ein Kommentar zum gestrigen hpd-Artikel „Der 4,4 Milliarden Euro Coup“:

Herrn Zimmermanns Mission

Herr Zimmermann sieht in Religion Kultur und in Kultur Religion. Er kann das nicht mehr ganz auseinander halten. Das Durcheinander, würde es Realität, hätte Folgen: Werden wir demnächst in säkularen Kulturtempeln auf mehr betende Menschen stoßen, die in Gemäldegalerien den sakralen Charakter einiger dort ausgestellter Altäre bzw. Jesus- oder Engel-Bilder für sich religiös entdecken, etwas frommer noch, als Bazon Brock dies schon gesehen hat? Wird es davor einen extra Platz zum Beten geben oder – wie im Berliner Olympiastadion reserviert für Christen – einen speziellen Raum? Wie sollen wir es halten mit Zeugnissen muslimischer oder heidnischer Kultur? Sollte am Museumseingang der Tauf- und Konfirmationsschein vorgezeigt werden, ehe jemand zu bestimmten Werken Zugang erhält?

Wie sagte doch der Geschäftsführer des „Deutschen Kulturrates“, Olaf Zimmermann, „die evangelische Kirche könne auf einen gemeinsamen kulturellen Kernbestand zurückgreifen und durch Kultur Zugang zu Kirche eröffnen: ’Kultur kann und sollte zu einem Schlüssel werden, mit der Kirche in Kontakt zu kommen.’ Angebote der kulturellen Bildung könnten bislang kirchenfremde Menschen erreichen ... Dabei hingen kulturelle und religiöse Bildung eng zusammen, denn viele Werke der Malerei, der Literatur, der Kirchenmusik und Architektur setzten entsprechende religiöse Bildung voraus.“

Mehr, der Sprecher des „Deutschen Kulturrates“ kann es noch viel Grundsätzlicher (wie bereits gestern im hpd-Artikel zitiert): Wer vor Ort religiöse und weltliche Kultur der Breiten- und Hochkultur erleben will, wer Künstler kennen lernen will, wer den interkulturellen Austausch erleben will, muss wissen, dass der Gang in die Evangelische Kirche am Ort erfolgreich sein wird.“

Herr Zimmermann, Kunsthändler von Beruf, betätigt sich seit einigen Jahren zunehmend als Händler in evangelischen Religionssachen, geradezu als Missionsberater. Der „Deutsche Kulturrat“, der Spitzenverband bundesdeutscher Kulturverbände (nicht nur der Geschäftsführer, laut Ankündigung) ist Gast beim „31. Deutschen Evangelischen Kirchentag“ am kommenden Wochenende in Köln. Der Herr Zimmermann erklärt dort am Donnerstag Abend im Gürzenich, so der Titel des Podiums, dass Kreativität als „göttlicher Wesenszug des Menschen“ gesehen werden kann. Am Tag danach, nachmittags in Halle 11.2., redet er mit, wie die Zusammenhänge zwischen Musik und Predigt zu sehen sind. Er berät die Kirche in beiden Fällen in Sachen Religion, mehr noch: in Sachen Kulthandlungen.

 

Kunst als Lobpreis

Säkulare müssen nicht darüber belehrt werden, in Kirchen Kunst zu sehen. Wenn sie Kirchen besichtigen, dann zumeist der Kunst wegen. Selbstredend gibt es in Kirchen große Kunst (und ziemlichen Kitsch, wie in anderen Kulturhäusern auch). Säkulare wissen um den sakralen Gebrauch dieser Kunst in Kirchen. Was ihnen ein schönes Madonnenbild ist, ist Gläubigen in einer Kirche ein anbetungswürdiges Heiligenbild, vor dem sie schon mal auf die Knie fallen, sich bekreuzigen oder eine Kerze anzünden. In Museen ist solches Verhalten bislang wenig beobachtet worden. Noch. Doch wenn man Herrn Zimmermanns Überlegungen zu Ende denkt, dann steckt doch in jeder Kunst zumindest etwas Religion – wenn nicht gar Kunst überhaupt als Ausdruck religiösen Erfahrens begriffen wird: Gott erfährt, wen Kunst ergreift. Auf zur „Kreativwerkstatt mit Gebet und Lobpreis“.

Wenn es sich hier um die Privatansicht eines theologisierenden Kunstwissenschaftlers handeln würde, geschenkt wäre dem Urheber seine Meinung. Er spricht aber im Namen einer Organisation. Und da sich seine Ansichten sehr wohl einordnen in eine strategisch-gesellschaftspolitische Initiative der christlichen Kirchen, sind vier Anmerkungen nötig.

Renaissance der „klassischen“ Kulturpolitik

Wir sind Teilnehmende an der Wiederkehr klassischer Kulturpolitik. Das hat die „Kulturpolitische Gesellschaft“ nur noch nicht gemerkt. Wer begegnet uns just heute auf der Startseite der Homepage der „KuPoGe“ – Herr Professor Sternberg.

Als im 19. Jahrhundert Kultusministerien (erstmals in Preußen 1817) gegründet wurden, war der Kircheneinfluss auf staatliche Belange, besonders auf Unterricht, Wissenschaft und Kunst noch groß und der Staat widmete viel Energie auf die Regelung der äußeren Kirchenangelegenheiten.

Zwar sind hier und heute die Kirchen nicht mehr so mächtig wie früher, zumal der große Bereich der Medien hinzugekommen ist, überhaupt der Markt mit Sinn- und Unterhaltungsgütern. Auch ist gegenwärtig zu fragen, welche Bestandteile unserer Kultur noch christlich bzw. als von christlicher Herkunft im Alltag erkennbar sind.

Doch was wir beobachten ist, dass sich Religion und Kirchen nicht über mangelnde Wahrnehmung und finanzielle Stützung von Seiten des Staates beklagen können. In welchen öffentlich-rechtlichen Gremien und welchen staatlichen Kommissionen sitzen keine Kirchenvertreter? Es ist doch eher so, dass mehr Wahrnehmung nötig wäre hinsichtlich der schon jetzt erfolgenden Zahlungen über die „Kultus“-Zuwendungen hinaus.

Kulturpolitik begann, als sich der Staat zu Beginn des 19. Jahrhunderts klar wurde, dass seine „Culturpolizey“ (so hieß das tatsächlich) mehr zu verwalten hat als äußere Kirchensachen und Interventionen in christlichem Interesse. Kulturpolitik entstand, als sich demokratische Kräfte regten, als über Freiheit der Kunst von Staat und Kirche, über Mittel und Zwecke von Kunst öffentlich gestritten wurde. Das „Weimarer Kartell", der Bund freidenkerischer Bünde, entstand um 1900 als „Kulturpolitische Gesellschaft“ gegen den Einfluss der Kirchen. Das gibt zu denken.

Staatsziel Kultur

Kultur verstärkt religiös zu denken und Religion kulturell zu vermarkten ist keine staatsferne Veranstaltung. Zwei Ereignisse verweisen auf strategische Überlegungen. Da ist zum einen die bevorstehende „Kultur-Enquete“ des Deutschen Bundestages, die garantiert – da werden Wetten angenommen – einen Kirchenteil haben wird, eine einseitig christliche Sammlung von Vorschlägen, was Staat tun könnte, Kirchenkultur zu befördern.

Diese Enquete und der Kirchenteil darin machen aber nur dann richtig Sinn, wenn das zweite Ereignis mitgedacht wird – die beabsichtigte Einfügung von „Kultur“ in den Kanon der Staatsziele, also ins Grundgesetz. Für Kultur sind schließlich alle. Aber welche Kultur soll es denn sein, bitteschön, die nicht nur förderwürdig ist, sondern dem Staat ein Ziel gibt? Die Kultur – was ist das? Schaut man in die aktuellen politischen Programmdebatten, fällt auf: Es ist besonders eine Partei, die CDU, die klar sagen kann, was sie mit Kultur meint: Leitkultur, selbstredend gedacht als christlich-abendländische.

Dialektik des Kulturprotestantismus

Niemand kann sagen, er oder sie wäre überrascht worden. Wir beobachten das Wiederaufleben von Ideen des Kulturprotestantismus als Konzept „kultureller Diakonie“ seit einigen Jahren. Der Vorgang ist ja Teil der Renaissance der „Inneren Mission“, deren Produkt die „Diakonie“ vor fast einem Jahrhundert war. Herr Wichern, der große Reformator der preußischen Zuchthäuser und Erfinder der „Inneren Mission“ lässt ebenso grüßen wie Bischof Kettelers „Caritas“. Wie sagte schon der Berliner Armenarzt Thümmel 1827: „durch Anlegung neuer Kirchen und Fundierung ... durch Missionäre, welche vielleicht hier ebensoviel als unter den Südsee-Insulanern zu bekehren bekämen“, solle man den Zuständen der Armut und der sittlichen Verrohung abhelfen. – Im Innern missionieren lautet der Auftrag.

Hinter dem Vielen, zu dem Bischof Huber und Kardinal Lehmann fast täglich ihre bedeutenden Ansichten abgeben, sogar zu Tugenden anderer Leute, steht – wie schon bei Wichern und Ketteler – eines: Christliche Kultur ist gut für Deutschland. Konfessionsfreie kommen in solchen Kulturprogrammen sowieso nur als Objekte vor. Sie gelten – zitiert wird nach der Buchfassung „Räume der Begegnung“, S.78ff) als „entkirchlichte“ oder gar (im Osten Deutschlands) als „gottvergessene“ Menschen, die zu missionieren sind.

Kirche und Welt begegneten sich im ursprünglichen Konzept des Kulturprotestantismus im 19. Jahrhundert in der Kultur als der neuen Form der Spiritualität. Die Theateraufführung wurde sozusagen als Andacht mit anderen Mitteln gesehen. Und der religiöse Mensch suchte sein Bedürfnis nach Erhebung und Gefühl auch in Formen der Kultur. Ziel war die Symbiose von Kultur und Glaube, unter Inkaufnahme einer Relativierung der Bibel und der Kirche.

Die offizielle Kirche lehnte deswegen dieses Konzept ab. Doch als Teil einer Gesamtstrategie sind Teile davon heute wieder verwendbar. In „Räume der Begegnung“ ist das Konzept bereits seit 2002 zu besichtigen: Religion ist nun selbst Begegnungsfeld. Kulturelle Phänomene wie Selbsterfahrung, Rituale und Legitimation der politischen Ordnung werden als notwendig religiös und damit auch als kulturpolitische Felder bestimmt: Eidesformel, Festkalender. Die Kirche akzeptiert die Öffnung zur Säkularität, fasst die Formen aber als „zivilreligiöse“ mit den Praxisfeldern Gedenkkultur, Kunst, Jugendkultur, Bildung und Wissenschaft, Medien, Sport und Spiel, Alltag und Sonntag. Darum geht es. Das setzt Herr Zimmermann im Team mit anderen um.

Ambivalenzen

Die Umsetzung dieses Konzeptes ist für die Kirchen aber eine zweischneidige Sache, bereitet durchaus strategische Probleme. Zum einen ergibt sich aus dem Konzept ganz grundsätzlich die Frage nach der Zukunft der (historisch bedingten) Privilegierung von Kult- gegenüber Kultureinrichtungen. Wenn sich Kirche ins kulturelle Fahrwasser begibt, säkularisiert sie sich nicht nur weiter. Sie wird noch stärker als Kulturvereinigung wahrgenommen wie andere Kulturbünde und -vereine auch. Warum soll sie dann nicht auch als solche behandelt werden? Gleichbehandlung für alle – unabhängig von Mitgliederzahlen. Oder bekommen deutsche Opern und Theater ihr Geld nach Mitgliedern ihrer Freundeskreise? Und was den christlichen Kulturvereinen gegeben wird, das wollen auch die muslimischen und humanistischen. Was unterscheidet die Inszenierung eines Kirchentages von einem Popfestival, einen Gottesdienst von einem Ritual auf einer anderen Bühne? Wer bekommt wie viel für was?

Innenkirchlich – zum anderen – wird sich die evangelikale Kritik verstärken, in beiden Kirchen mit ihren Beamtenapparaten. Denn was wird staatlich gestützt? Kann noch dem Kult dienen, was die Allgemeinheit bezahlt und damit „entheiligt“ hat? Ist es noch ein Gottesdienst, wenn man dort Schlager singt? Wem gehört eigentlich diese oder jene Madonna? Und gehören nicht die Museen entsäkularisiert nach dem Motto: Gebt uns unsere Heiligenbilder wieder!

Neue Geldquellen erschließen

Zurück zum Ausgangspunkt: Lassen wir die Kirche im Dorf und offen für religionsbedürftige Gläubige wie für kunstinteressierte Ungläubige – und die Museen frei von sakralen Handlungen. Achten wir auf die erworbenen Eigentumstitel, was wem gehört, wer wem Zugang gibt und wer darauf zu sehen hat, dass nichts wegkommt. Womöglich kommen die Kirchen, wenn denn alles Kultur ist, Arbeitsplätze sichert, den Tourismus fördert usw. auf die famose Idee, den Ländern die Kosten für die heute nötige Sicherheit anzudrehen.

Bis jetzt ist die Regelung, fragen wir die Fachleute, so: „Die katholische Kirche und die evangelische Kirche in Deutschland regeln jeweils für ihren Bereich in eigenen Datenschutzanordnungen die Videoüberwachung. Die Regelungen in der Anordnung über den kirchlichen Datenschutz (KDO) der katholischen Kirche und das Datenschutzgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (DSG-EKD) sind zum § 6b des BDSG praktisch inhaltsgleich.“

Wenn, was in den Kirchen ist und in den Zimmern der Priesterschaft, zur Kunst oder zum Denkmal oder zum Erbe erklärt wird – jedes Votivbild, jeder Kirchenchor, jede Ambone, jeder Märtyrerknochen, jede Bibel älter als hundert Jahre, jeder alte Opferstock und jeder neue liturgische Gebrauchsgegenstand ... – dann gehört das mit zur Aufgabe staatlicher Kulturpflege und zum staatlichen Schutz von Kulturgütern. Das hätten die Vorfahren im Dienste des Herrn aber wirklich schon 1803 beim „Reichdeputationshauptschluss“ beachten können. Aber auch das Staat-Kirche-Verhältnis benötigt ab und zu Innovationen.

Nachtrag

Die Polizei Sachsen meldet: „Bevorzugtes Diebesgut bei den insgesamt 1.970 Diebstählen in/aus Kirchen und kirchlichen Einrichtungen waren Bargeld und Geldbörsen ...“. Daraus zu folgern, Kirchenbesuch sei gefährlich, ist genauso seltsam wie die Mitteilung, Kunst sei Religion.

 

Horst Groschopp