Drei Fragen an... Vanessa Lux

In Trier findet vom 15. bis 17. Juni der Kongress ¡Die erschöpfte Theorie? –

Evolution und Kreationismus in Wissenschaften statt. Im Vorfeld stellt der hpd die Referenten und ihre zentralen Thesen in Kurzinterviews vor.

Vanessa Lux ist Diplom-Psychologin und promoviert zur Zeit an der FU Berlin zur Bedeutung der Entwicklungen in der modernen Genetik für die psychologische Praxis. Ihr Vortrag „Biologismen in Soziobiologie und Evolutionärer Psychologie – eine Funktionskritik“ gehört zum Themenblock „Soziobiologie – eine kritische Betrachtung“ (Sonntag, 17.5.2007, 10-12 Uhr).

hpd: Worin liegt nach Ihrer Auffassung der grundlegende Denkfehler soziobiologischer Erklärungsmuster?

Vanessa Lux: Die Soziobiologie, so zum Beispiel Richard Dawkins, geht von einem Modell der DNA aus, nach dem in dieser ein komplettes Programm für die Entwicklung und der für das Überleben notwendigen Verhaltensweisen eines Organismus gespeichert sei. Nur das, was in den „Genen“ festgelegt ist, könne als Ergebnis der Evolution gelten. In der Konsequenz führt diese Perspektive zu der Annahme, dass der einzelne Organismus in seiner Population, d.h. bei uns Menschen unser Körper, aber auch die Gesellschaft, in der wir leben, unsere Kultur nur Medium sind für das Überleben der „Gene“. Entsprechend spricht Dawkins hier auch metaphorisch von dem „egoistischen Gen“ als Motor von Individualentwicklung und Evolution. Die DNA wird aktiv gedacht.

Beim Versuch der Funktionsbestimmung der DNA hat sich aber gezeigt, dass dieses Modell vom egoistischen Gen die experimentell beobachtbaren Prozesse nicht adäquat beschreibt. Die DNA ist eher passiv, und die Interaktion zwischen den übrigen Zellelementen, zwischen einzelnen DNA-Abschnitten, der Zelloberfläche und dem unmittelbaren zellulären Umfeld sind für die Genexpression von zentraler Bedeutung – und zwar schon bei Mikroorganismen. Beim Menschen kommt noch hinzu, dass dieser seine „Umwelt“ – eben die Welt, in der wir leben – einerseits selbst gestaltet. Andererseits ist diese Welt und wie wir sie wahrnehmen für unser Verhalten in ihr entsprechend bedeutsam, sie kann z.B. Lernprozesse strukturieren, blockieren oder beförderen.

hpd: Könnten Sie dies anhand eines Beispiels erläutern?

Vanessa Lux: Ein für mich sehr eindrückliches Beispiel ist das vom aufrechten Gang. Es ist ja sehr verbreitet anzunehmen, dass die Zweibeinigkeit angeboren ist und dass diese zu einem zentralen genetischen Merkmal des Menschen gehören muss. Der Anthropologe Tim Ingold weist aber darauf hin, dass die Menschen sehr unterschiedlich gehen, ja dass man deutlich kulturelle Differenzen beobachten kann. Diese führt er unter anderem auf Kulturunterschiede beim Gehen lernen als Kleinkind zurück. Sieht man sich die Situation an, in der ein Kind anfängt, seine ersten Schritte zu tun, wird schnell deutlich, dass diese Lernprozess nicht ohne sozialen Unterstützungsrahmen vorstellbar ist, Menschen, die das Kind dazu animieren zu laufen, es wieder aufrichten, wenn es umgefallen ist, es in weiteren Versuchen bestärken. Dawkins könnte diesen Unterstützungsrahmen jetzt wiederum nur als genetisches Programm denken. Dann ist allerdings schwierig zu erklären, wieso es hier zu kulturellen Unterschieden kommt.

hpd: Inwiefern können soziobiologische Modelle patriarchale Geschlechterverhältnisse oder soziale Ungleichheit stützen?

Vanessa Lux: Ein Beispiel, das Dawkins selbst zur Erklärung seines Gen-Modells nimmt, ist die Sorge um und Pflege von Kindern. Dass diese gesellschaftlich mehrheitlich von Frauen geleistet wird, wird in der Soziobiologie damit begründet, dass Frauen sich biologisch sicher sein können, dass sie mit ihren Unterstützungsleistungen in ihre eigenen Kinder investieren. Männer dagegen könnten sich nie ganz sicher sein, ob die Frau ihnen nicht das Kind eines fremden Mannes „untergejubelt“ habe. Ein biologisch-genetisches Programm für Sorge und Pflege von Kindern würde daher bei Frauen die Weitergabe ihrer Gene fördern, während dies für Männer nicht eindeutig der Fall sei. Für diese sei es vielmehr funktional, viele Kinder mit verschiedenen Frauen zu zeugen und möglichst wenig für deren Sorge und Pflege zuständig zu sein.

Dieses Modell schreibt Frauen die gesellschaftliche Zuständigkeit für Sorge und Pflege von Kindern zu, aber auch die Hausarbeit –sozusagen als Nestbau – und begründet dies zudem noch mit einem angeblich biologischen Vorteil. Das schreibt die patriarchale Struktur der gesellschaftlichen Arbeitsteilung als „natürliche“ fest. Die Pflege von Alten und Kranken wäre der Theorie nach dagegen genetisch unfunktional, weil aufgewendete Ressourcen und Zeit nicht für die Fortpflanzung und damit die Weitergabe von Genen eingesetzt würden. Hiermit lässt sich etwa die Demontage der Sozialsysteme legitimieren. Soziale Ungleichheiten können in der gleichen Logik ebenfalls als „natürlich“ dargestellt werden, indem etwa die angeblich höhere sexuelle Attraktivität von Männern mit Geld und Macht für Frauen durch die Notwendigkeit der Absicherung der eigenen Kinder, die ja Medium der Gen-Weitergabe der Frau sind, erklärt wird.

 

Die Fragen stellte Martin Bauer.

Weitere Informationen zum Kongress hier.