Die Scheibenwelt-Sachbücher

Die Sachbuch-Trilogie der Scheibenwelt verbindet humorvolle Fantasy mit Wissenschaft.

Bei den Büchern handelt es sich um "Die Gelehrten der Scheibenwelt", "Die Philosophen der Rundwelt (Rettet die Rundwelt)" und "Darwin und die Götter der Scheibenwelt". Verfasser ist ein Autorentrio: Terry Pratchett, Schriftsteller und Geisteswissenschaftler der Gruppe; Ian Steward, Mathematikprofessor und Jack Cohen, Genetiker. Steward und Cohen schreiben schon lange gemeinsam Bücher, darunter "Chaos und Anti-Chaos: Ein Ausblick auf die Wissenschaft des 21. Jahrhunderts" und "Stop Working & Start Thinking: A Guide to Becoming a Scientist". Terry Pratchett hat zwar nie studiert, aber aufgrund seiner umfassenden geistes- und naturwissenschaftlen Bildung und dem Ehrentitel der Warwick University für diese Trilogie, ist es gewiss kein großer Fehler, ihn selbst als Geisteswissenschaftler zu bezeichnen.

Die Scheibenwelt-Sachbücher spielen allesamt sowohl auf Pratchett's Scheibenwelt - ein satirischer Spiegel der Realität - , als auch auf der Rundwelt. Dabei handelt es sich im Prinzip um die Erde. Sie ist das Ergebnis eines Experiments von Zauberern der Unsichtbaren Universität, welches mit einem Atomreaktor auf einem Squashplatz zusammen hängt. Die Zauberer sind zur gleichen Zeit Professoren, allerdings ohne dem Umstand große Beachtung zu schenken, dass sie auch Studenten haben. Sie widmen sich stattdessen der Erforschung mehr oder weniger bedeutsamer Dinge. Außerdem ehren sie täglich das Motto der Universität, welches übersetzt "Fett" bedeutet. Wenn sie mal nicht essen, reisen sie zwischen Rundwelt und Scheibenwelt umher, wobei sie erfahren, wie die Rundwelt enstanden ist und wie schwer es ist, den Lauf ihrer Geschichte zu beeinflussen. Ohne ihren Studenten Ponder Stibbons wären sie dabei aufgeschmissen. Scheibenwelt-Fans dürfen sich freuen, denn in allen drei Teilen spielt der beliebte Zauberer Rincewind, Unerhörter Professor für grausame und ungewöhnliche Geographie, eine wichtige Rolle.

Die Gelehrten der Scheibenwelt

Dieses Buch beantwortet die wichtigsten Fragen nach dem Ursprung des Lebens, des Universums und allem anderen. Die Wissenschaft bietet inzwischen brauchbare Antworten auf diese Fragen an. Diese sind manchmal unvollständig, kompliziert und nicht immer die letzte Wahrheit, aber: Sie funktionieren. Wer dieses Buch gelesen hat, der kann es nur noch bedauern, dass sich so wenige Menschen für diese Antworten interessieren. Das Autorentrio erklärt nämlich nicht nur, wie der aktuelle Stand unserer Erkenntnis aussieht, sondern auch, wie man darauf gekommen ist - wie Wissenschaft funktioniert.

Dabei machen sie Schluss mit "Lügen für Kinder" und nähern sich der Realität an. "Lügen für Kinder" - das sind vereinfachte Erklärungsmuster, die das Denken in die richtigen Bahnen lenken sollen. Eine Lüge für Kinder ist zum Beispiel, dass ein Regenbogen so aussieht, wie er aussieht, weil das Sonnenlicht durch Regentropfen in seine Spektralfarben zerlegt wird. Das erklärt aber nicht die Form des Regenbogens, oder den Ort, an dem sich der Regenbogen aufhält. Man erzählt uns fast nur Lügen, unser gesamtes Leben lang, aber nicht (immer) aus Böswilligkeit, sondern weil wir erst die Lügen kennen müssen, um die Wahrheit verstehen zu können. Die Autoren dazu:

"Studenten kommen von der Schule im festen Glauben, dass sie nahezu alles wissen, und Jahre später gehen sie mit der Gewißheit ab, praktisch nichts zu wissen. Wo ist das Wissen geblieben? In der Universität natürlich, wo es sorgfältig getrocknet und gelagert wird."

Vielleicht sollten wir uns also länger in Universitäten aufhalten, möglichst weit entfernt von theologischen Fakultäten, die Autoren machen nämlich klar, dass Priester stets die größten Gegner der Wissenschaft waren und die Wahrheit gar nicht hören wollten. Zumindest beherrschten sie die Fähigkeit, Feuer zu machen und Leute damit zu verbrennen, was zumindest eine primitive Offenheit für Forschung suggeriert.

Die Autoren spekulieren auch ein wenig über mögliche Tierarten, die es einmal gegeben haben könnte. So wäre es denkbar, dass ein intelligentes Krabbenvolk in früher Zeit die Meere bewohnte. Am Ende des Buches schlagen sie den Bau eines Weltraumlifts vor, eine Idee, die es ihnen sichtlich angetan hat, denn sie reden in jedem Teil der Sachbuchreihe darüber. Das schmälert die Qualität der "Gelehrten der Scheibenwelt" jedoch gewiss nicht. Es bleibt ein Buch, das die Entstehung der Erde bis hin zu frühen Säugetieren genauso unterhaltend wie spannend und lehrreich erklärt. Von der Quantenmechanik über die Chemie bis hin zur Evolution ist für jeden etwas dabei.

Die Philosophen der Rundwelt (Rettet die Rundwelt)

Dieses Buch beschäftigt sich mit den wohl bedeutensten geisteswissenschaftlichen Fragen. Es behandelt die Entstehung der Kultur und der menschlichen Psyche. Eine große Rolle spielen in der zugehörigen Erzählhandlung Elfen, die versuchen, Menschen durch Geschichten zu versklaven. Hierzu ein bezeichnender Satz aus dem Buch, den Erzkanzler Ridcully beim Besuch der mittelalterlichen Rundwelt von sich gibt:

"Alle glauben, dass die Magie funktioniert, obwohl es ganz offensichtlich nicht der Fall ist. Erstaunlich! Es zeigt, was Elfen anrichten können."

Die Elfen haben die Menschen sogar dazu gebracht, den Bibliothekar der Unsichtbaren Universität, einen Orang-Utan, für einen Menschen zu halten, nur weil er sich als Frau verkleidet hat. Die Zauberer treffen auf Dee, einen Alchimisten. Bei ihm handelt es sich um die Scheibenwelt-Version von John Dee, von 1527-1608 Hofastrologe von Mary Tudor. Sie versuchen ihn davon zu überzeugen, dass es auf der Rundwelt keine Magie gibt. Dabei tun sie sich schwer, schließlich wenden die Zauberer selbst oft Magie an. Im sachlichen Teil erklären die Autoren, warum die Renaissance für die Entwicklung von Wissenschaft und Kultur so bedeutend war. Dabei erläutern sie die Bedeutung von Shakespeare, den sie als Schlüsselfigur vom Übergang des Mystizismus zum Rationalismus ansehen.

Die Zauberer begeben sich im Folgenden auf eine Zeitreise durch die Menschheitsgeschichte und versuchen, die Elfen aufzuhalten. Am Ende merken sie, dass die Menschen Geschichten und somit die Elfen brauchen, man muss sie nur unter Kontrolle haben. Ohne Fiktion, ohne Fantasie, wären die Menschen unintelligent und unkreativ.

Die Bedeutung von Geschichten wird sowohl aus Sicht der Evolutionsbiologie als auch aus Sicht der Kulturwissenschaft erklärt. Geschichten dienen unter anderem der Erzeugung von "Extelligenz", der Gruppen-Identität eines Stammes oder, zu heutiger Zeit, der Fähigkeit, mit anderen Menschen zusammen zu leben. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben, hängen also eng mit der Tradition zusammen. Dabei muss stets ihr Sinn hinterfragt werden. Es gibt Geschichten, wie die Dramen und Komödien von Shakespeare, die moralische Aussagen haben und für den Menschen wertvoll sind, die also Sinn ergeben. Die meisten religiösen Geschichten ergeben, den Autoren zufolge, wenig Sinn, deshalb sollte man sie nicht weiter erzählen.

Doch unsere Geschichten werden nicht einfach nur weitergegeben, sie passen sich der aktuellen Werteordnung an. Man nehme nur die amüsante Entwicklung des Märchens "Rumpelstilzchen". Ursprünglich war "Rumplestiltskin" ein sexuelles Gleichnis, das unseren Ahnen mitteilen wollte, weibliche Selbstbefriedigung führe zu Unfruchtbarkeit. Dabei trug Rumpelstilzchen durchaus keine Glaspantoffel, sie trug auch keine Pelzpantoffel, wie es uns das "Lexikon populärer Irrtümer" einreden will, nein Pratchett und co. wissen es besser. Was mag es bedeuten, wenn ein Mädchen dem Prinzen ihren "Pelzpantoffel" zum Anprobieren gibt? Alles weitere sei nun der Fantasie der Leser überlassen... Andererseits: Man stelle sich die Reaktion des prüden Amerika auf eine quellengetreue Disney-Verfilmung vor.

Neben Shakespeare und Dee hat auch Isaak Newton einen Auftritt. Die Autoren erläutern, warum er den absolut überwiegenden Teil seines Lebens mit Magie und Alchemie verschwendet hat und trotzdem in einer kurzen Phase der Erleuchtung bedeutende Grundlagen der Physik entdeckte.

Im Resumé stellend die Autoren fest, dass der Mensch "der geschichtenerzählende Affe" ist, "Pan narrans", dass er sich von anderen Affen vornehmlich dadurch unterscheidet, dass er die Welt in Geschichtenform wahrnimmt. Eben gerade die durch Geschichten erzeugte Fantasie trägt zu unserer Fähigkeit bei, Realität von Fiktion unterscheiden zu können. Wer in der Lage ist, sich einen rauschebärtigen Gott auf einer Wolke sitzend vorzustellen, der wird nicht an ihn glauben, sondern allenfalls über diese Vorstellung lachen. Nur mit Hilfe der Humanität und unseren kritischen Fähigkeiten können wir die Elfen in Schach halten. Irgendwann einmal sind wir vielleicht nicht nur geschichtenerzählende Affen, sondern echte Homo sapiens, vernunftbegabte Menschen.

Keine schlechte Idee. Genau wie die Idee, sofort die nächste Buchhandlung aufzusuchen und sich dieses Buch zu kaufen. Die Autoren ziehen aus vorhandenen, auch eigenen Forschungsergebnissen Schlussfolgerungen, welche durchaus brauchbare Antworten zur Entstehung von Kultur und menschlicher Psyche darstellen. Abgerundet wird das Werk durch die spannenste Erzählhandlung der Reihe und stellt somit das beste Buch der Trilogie dar.

Darwin und die Götter der Scheibenwelt

Dieses Buch geht näher auf die Evolutionstheorie ein. Es handelt sich außerdem um eine umfassende und hervorragend recherchierte Biographie von Charles Darwin - sogar einige Original-Aufzeichnungen des Naturforschers finden sich hier wieder. Das Trio hat jenes Werk vor allem als Reaktion auf Kreationismus und Intelligent Design geschrieben. Es ist das anspruchsvollste aller Scheibenwelt-Sachbücher. Die mathematischen Passagen, etwa über die verschiedenen Formen der Unendlichkeit, erfordern schon mindestens das Abitur. Die Abrechnung mit der Quantenmechanik ist zweifelsohne genial, aber wirklich verstehen werden sie nur wissenschaftlich belesene Zeitgenossen. Der Rezensent selbst stand hier beizeiten am Rande seiner Fähigkeiten, nach zweimaligem Lesen bestimmter Passagen war aber doch alles verständlich. Schlussfolgern kann man daraus jedoch, dass die Zielgruppe dieses Buches eher klein ist. Dieses Werk erfordert seinen Lesern eine Bildung ab, die sicherlich bereits ohne Glauben an Intelligent Design auskommt. Die äußerst raffinierten Methoden, wie die Autoren ihre Leser von der Unsinnigkeit des Kreationismus überzeugen wollen, sind so zwar unterhaltend, ihre Zielgruppe dürften sie allerdings verfehlen.

Die Handlung des Buches dreht sich wieder um die Zauberer. Sie beobachten, dass sich die Geschichte auf der Rundwelt dramatisch entwickelt hat. Grund ist, dass Charles Darwin statt "Die Entstehung der Arten" das falsche Buch geschrieben hat, nämlich "Theologie der Arten". Folge ist eine lange Zeit des Friedens - jedoch ohne jeden Fortschritt und ohne jede Menschlichkeit. Es handelt sich um einen trügerischen Frieden, denn er ist nur durch die stetige Unterdrückung Andersdenkender möglich. Genau diese Idee haben Stewart und Cohen übrigens in ihrem neuesten Roman "Heaven" detaillierter dargelegt, der Wissenschaftsfreunden ebenfalls empfohlen werden kann. Die Zauberer reißen nun in verschiedene Zeit-Dimensionen der Rundwelt und versuchen, die Umstände herbeizuführen, die als Resultat "Die Entstehung der Arten" hervorbringen sollen. Die Autoren betonen, dass es in der Realität keine verschiedenen Dimensionen gibt und dies nur ein erzählerischer Trick ist. Auf jeden Fall will dieses Unternehmen nicht gelingen, die Geschichte will unbedingt die "Theologie der Arten" entstehen lassen. Schließlich entscheiden sich die Zauberer dazu, Darwin persönlich davon in Kenntnis zu setzen, dass er gefälligst "Die Entstehung der Arten" schreiben soll. Das erweist sich am Ende als unnötig, denn Darwin entscheidet sich schließlich selbst gegen die Idee, eine Gottheit habe das Leben erschaffen - seine Beobachtungen sprechen eine klare Sprache.

Besonders herausragend sind in diesem Buch die Anmerkungen zur Quantenmechanik und anderen esoterisch missbrauchten Wissenschaften. Die Autoren erklären, warum am Ende eben doch alles mit rechten Dingen zugeht und viele Interpretationen der Quantenmechanik auf der unreflektierten Übertragung mathematischer Modelle auf die physikalische Wirklichkeit basieren. Sie widerlegen auch die Hypothese, dass Zeitreisen in der Praxis möglich sei. Dabei gehen sie nacheinander auf jede in Wissenschaft und Science-Fiction diskutierte Möglichkeit ein. Sie widersprechen durchaus nicht Einstein, dass rein hypothetisch Zeitreisen möglich sind, erklären jedoch, warum dafür mehr Energie notwendig wäre, als im gesamten Universum vorhanden ist. Damit und mit ihrer Widerlegung der Existenz verschiedener Dimensionen geben sie unter anderem dem Physiker David Deutsch Kontra, der behauptet, 90 % seiner Kollegen wären nur aus mangelnder geistiger Beweglichkeit nicht bereit, Zeitreisen anzuerkennen. Sogar mit Richard Dawkins legen sie sich an, indem sie darauf hinweisen, dass seine genetische Interpretation der Evolutionstheorie zum Teil falsch sei. Laut neuester Erkenntnisse besteht nämlich eine ständige Interaktion zwischen Genen und Umwelt, die so genannte "Epigenetik". Noch dazu bestehen erste Hinweise auf die Funktion der so genannten "Müll-DNS". Das stimmt zwar alles, Dawkins widerlegen sie damit allerdings nicht. Dafür bezeugen sie seiner Memetik Respekt. Es folgt eine Abrechnung mit der Chaos-Theorie. Die Autoren legen dar, warum sich das Leben auch dann so entwickelt hätte, wie es sich entwickelt hat, wenn jemand in der Urzeit einen Schmetterling zertreten hätte. Selbst die menschliche Geschichte wäre in den Grundzügen ähnlich verlaufen, wenn etwa jemand Hitler erschossen hätte. Damit kehren die Autoren wieder zum Determinismus zurück, wo die Wissenschaft auch hingehört.

Resumé: Das Trio aus Geisteswissenschaftler, Mathematiker und Naturwissenschaftler ist schlicht und ergreifend unschlagbar. Alle Erkenntnisse der Autoren resultieren in einem naturalistischen Weltbild, in dem am Ende doch alles Sinn ergibt. Allemal Grund genug, sich auch Buch Nummer drei zu kaufen.

Fazit

Bei den Scheibenwelt-Sachbüchern handelt es sich um drei der besten populärwissenschaftlichen Bücher, die jemals erschienen sind. Die Autoren gehören zu den fähigsten in ihren Fachgebieten und beweisen das auf jeder einzelnen Seite. Sie verlangen dem Leser einiges ab, doch die Mühe wird reich belohnt. Einzig die Erzählhandlungen der Bücher befinden sich nicht auf dem Niveau von Pratchetts Romanen. Dennoch: Eine so lehrreiche Kombination von Wissenschaft, Philosophie und humorvoller Literatur ist selten, man findet sie sonst höchstens noch bei Douglas Adams. Kaufen!

Andreas Müller