Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel

NÜRNBERG. (hpd) Zurückhaltend ist die Werbung für das neue Bilderbuch von Michael Schmidt-Salomon und Helge Nyncke nicht gerade.

Das „frechste Kinderbuch aller Zeiten“ sei es, so der humanistische Pressedienst . Der „Dawkins for Kids“ als „Erste-Hilfe-Set für genervte Eltern“. Ein „subversiver Erwachsenencomic“ ebenso wie ein „Heidenspaß für Groß und Klein“.

 

Hält das Buch, was es verspricht? In gewisser Weise schon: es liegt ganz auf der kirchen- und religionskämpferischen Linie, die ein gewisser Teil der freigeistigen Szene traditionell und nicht ohne Recht vertritt. Ich frage mich nur: Ist dafür ein Kinderbuch der rechte Ort?

An der graphischen Qualität jedenfalls gibt es nichts zu mäkeln. Schon beim ersten Durchblättern fallen die sorgfältigen und für Kinder bis circa sechs Jahren sicher altersgerechten Zeichnungen auf, auch wenn der Text sich gewiss an etwas ältere Kinder wendet. Bei näherem Hinsehen allerdings stellt sich schon die Frage, ob denn tatsächlich die Darstellung jedes der vorkommenden Religionsgelehrten – des Rabbis, des Bischofs, des Muftis – so zornig und Furcht einflößend hat ausfallen müssen. Man könnte ja meinen, die Autoren des Büchleins sähen alle Priester prinzipiell nicht nur als Dunkelmänner, sondern auch als Schreckgestalten. In merkwürdigem Kontrast dazu steht die immer wiederholte Aussage, diese allesamt zähnefletschenden Angstmacher trügen „lustige“ Kleidungsstücke, vor allem Kopfbedeckungen. Persönlich finde ich weder eine Bischofskippa noch einen schwarzen Hut besonders lustig. Aber über Humor lässt sich eben nicht streiten.

Der Plot ist schnell erzählt. Das kleine Ferkel und der kleine Igel wollen sich Äpfel pflücken, treten vor ihr Haus, finden dort ein Plakat: „Wer Gott nicht kennt, dem fehlt etwas!“ Sie kennen Gott nicht und machen sich auf die Suche nach ihm. Schließlich finden Sie auf einem Berg drei Gotteshäuser mit den dazugehörigen Priestern. Der Rabbi („mit einem lustigen Hut“) erschreckt sie mit der grässlichen Geschichte von der Sintflut und erklärt ihnen, nur der jüdische Gott sei der tatsächliche, alle anderen eingebildet. Als sie ihn fragen, ob er sich da denn ganz sicher ist, verjagt er sie. Fazit der beiden: der jüdische Gott ertränkt kleine Meerschweinchen. Dann treffen sie den katholischen Bischof („lustiges lila Käppchen“). Er erschreckt sie mit dem toten Jesus und seinem Blut. Als das Ferkel aus Hunger ein paar Hostien isst, herrscht sie der Bischof an, diese seien das „Fleisch Jesu“. Die beiden ergreifen die Flucht, denn: „Das sind Menschenfresser“, und sie wollen auch nicht auf dem Teller landen. Als drittem Priester begegnen sie dem Mufti (hat „sich ein Tuch über den Kopf gezogen“, das „den kleinen Igel ein wenig an seine Großmutter Elfriede erinnerte“). Er erklärt ihnen, um Gott zu finden müssten sie fünfmal am Tag beten und sich ebenso oft waschen. Das ist den beiden Tieren nicht recht, und mit der Vermutung, dass Mohammed gar kein Prophet gewesen sei sondern die Gläubigen nur auf den Arm genommen hätte ergreifen sie vor den aufgebrachten Muslimen die Flucht. Draußen prügeln sich die drei Priester und streiten sich darüber wer die heißeste Hölle habe. (Da fehlt eigentlich noch eine vierte Gestalt in der Rauferei: ein ebenfalls zähnefletschender atheistischer Kirchenkämpfer, der es mit allen dreien um der Wahrheit Willen aufnimmt.) Das Ferkel und der Igel gehen zurück zu ihrem Haus und stellen fest, dass ihnen Gott mit seinen „komischen Dienern“ gestohlen bleiben kann. Fazit: „Wer Gott kennt, dem fehlt etwas – nämlich hier oben“.

Alles richtig. Die mörderische Intoleranz der monotheistischen Religionen, die widerlichen Vernichtungsorgien der Bibel, die traumatisierende Schmerz- und Blutästhetik des Christentums und die übertriebene Erregbarkeit mancher Muslime. Dem „religiös Unmusikalischen“ kommt in der Tat vieles im Glauben höchst merkwürdig vor, manches auch richtiggehend verrückt und einiges wirklich gefährlich. Und es ist natürlich zulässig und sogar notwendig, sich darüber lustig zu machen. Aber was für ein Bild von Religion und religiösen Menschen soll den kindlichen LeserInnen mit diesem Buch eingeprägt werden? Die Gläubigen sind ausschließlich entweder als graue, freudlose Masse oder in Furcht einflößender Körperhaltung mit zähnefletschender Grimasse dargestellt. Sollte es bei Kinderbüchern überhaupt um einen mit solch harten Bandagen ausgefochtenen Weltanschauungskampf gehen – wäre wohlverpackte Aufklärung nicht besser? Ich gebe es zu: Mir ist das milde Lächeln über die Skurrilitäten des Glaubens lieber als der Holzhammer, der den groben Keil in den groben Klotz schlägt.

Vermutlich ist es diese allzu harsche Zuspitzung der Religionskritik und die Überheblichkeit dem Religiösen gegenüber, die mein Unwohlsein an dem Büchlein ausmacht. Andererseits: Wer christliche Kinderindoktrinationsfibeln ansieht, der findet auch dort wenig Zurückhaltung. Warum also nicht mit gleichem Kaliber zurückschießen? Und schließlich haben Rabbis ja wirklich schwarze Locken, Vollbärte und große Nasen, oder? Ich bin aus Nürnberg, da kennt man sich historisch mit solchen Darstellungen aus... Ups, war das übertrieben? Entschuldigung! Darf ich diese Assoziation haben? Kommt es auf den Kontext einer karikaturhaften Darstellung an? Oder vielleicht doch nicht? Ist ja nur Spaß, ein „Heidenspaß“ eben... Aber würden wir wollen, dass so über uns geschrieben wird? Mit einem respektvollen Umgang miteinander und Toleranz gegenüber dem Andersdenkenden hat das Werk jedenfalls wenig zu tun. Das will es wohl auch nicht – schließlich ist es ja das „frechste Kinderbuch aller Zeiten“. Deshalb eignet es sich allenfalls für den Privatgebrauch. Als pädagogisches Arbeitsmittel etwa in einer Kindertagesstätte dürfte es nicht in Frage kommen. Schließlich sollen dort die Kinder bei allen Unterschiedlichkeiten zu eben jenem freundlichen Miteinander erzogen werden, das sich im „Dawkins for Kids“ so gar nicht findet.

Aber für Bedenken tragende und Skrupel wälzende Erwachsene ist das Buch nicht geschrieben. Was sagt die eigentliche Zielgruppe? Ein Praxistest zu Hause ergibt: Sie lacht. Na dann.

 

Michael Bauer

Der hpd bedankt sich ganz herzlich bei der Redaktion diesseits für den Vorabdruck.