Das wahre Geheimnis

Michael Shermer beleuchtet The Secret - Das Geheimnis und wird abgestoßen vom "Anziehungsgesetz"

Dem weisen Pop-Philosophie-Spender Yogi Berra zufolge, gibt es „in der Theorie keinen Unterschied zwischen Theorie und Praxis. In der Praxis schon.“

Das ist ein guter Ratschlag für jeden, der darüber nachdenkt, 16, 95 Euro für einen der aktuell heißesten Bestseller Amerikas, The Secret – das Geheimnis (auch als DVD für 31, 95 Euro), von Rhonda Byrne und einem Kader Selbsthilfe-Gurus, hinzuschmeißen. Dank der Förderung durch Oprah Winfrey wurden von der Serie insgesamt über 3 Millionen Kopien verkauft.

The Secret ist ein Selbsthilfebuch in der Tradition von Dale Carnegies Wie man Freunde gewinnt. Die Kunst, beliebt und einflussreich zu werden, Napoleon Hills Denke nach und werde reich und Anthony Robbins Awaken the Giant Within1. Aber The Secret geht sehr viel weiter als eine solche fantasielose Selbsthilfe wie das Notieren der eigenen Ziele, das Führen eines Erfolgstagebuchs oder die direkte Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten. The Secret behauptet, die Wissenschaft habe entdeckt, dass im Kosmos mysteriöse Kräfte am Werk sind, die man nur richtig anpacken müsse, um Reichtum, Glück und Erfolg in unvorstellbaren Ausmaßen zu entfesseln.

Diese Kraft nennt sich das „Anziehungsgesetz“. Gleiches zieht Gleiches an. Positive Gedanken brechen von Ihrem Körper als magnetische Energie auf, um dann in Form von woran auch immer Sie dachten wieder zurückzukehren. Wie zum Beispiel Geld. Byrne und ihre Erfolgs-Speichellecker denken an eine Menge Geld. „Der einzige Grund, warum irgendjemand nicht genug Geld hat, besteht darin, dass er Geld durch seine Gedanken davon abhält, zu ihm zu kommen“, sagt man uns. Der Werbetrailer des Films ist gefüllt mit solchen aufgeblasenen Geld-Mantras wie: „Alles, was ich berühre, wird zu Gold.“, „Ich bin ein Geldmagnet.“ und mein Favorit: „Für mich wird gerade mehr Geld gedruckt.“ Wo? In der US-Münzanstalt?

Ein Aufzug glänzender, glücklicher Menschen wiederholt das Geheimnis von Das Geheimnis. „Alles, was in Ihr Leben kommt, ziehen Sie zu Ihrem Leben hin. Sie ziehen es an durch die Bilder in Ihrem Kopf“, sagt Bob Proctor, ein selbsternannter Philosoph. „Sie ziehen das an, woran Sie am meisten denken“, behauptet der Unternehmer John Assaraf. Ein Schriftsteller namens Mike Dooley sagt, man könne das Prinzip auf drei Worte reduzieren: „Gedanken werden Dinge“. Die Autorin Lisa Nicols erklärt: „Das Anziehungsgesetz ist gefügig. Es wird dir immer das geben, was du willst. Du ziehst alles zu dir. Du ziehst sie zu dir wie ein Magnet.“

Genau dieser Magnetismus verwandelt The Secret von Sachbuch in Stuss. „Jeder Gedanke hat eine Frequenz“, erklärt der Erzähler von The Secret. „Wir können einen Gedanken messen. Wenn Sie diesen Gedanken immer und immer wieder denken, dann senden Sie diese Frequenz aus.“

Nicht wirklich.

Das Gehirn produziert elektrische Aktivität. Ionenströme fließen bei einer synaptischen Übertragung zwischen Neuronen und, in Übereinstimmung mit Maxwells Gleichungen, erzeugt jeder elektrische Strom ein magnetisches Feld (und vice versa – denken Sie an die Turbine von einem Kraftwerksgenerator, die von fließendem Wasser angetrieben wird und Elektrizität durch drehende Magnete erzeugt). Diese Felder sind jedoch sehr schwach und können nur mithilfe eines hochempfindlichen Magnetfeldsensors in einem stark von äußerem magnetischen Quellen abgeschirmten Raum gemessen werden.

Erinnern Sie sich auch an das „Inverse Square Law“: Die Schallintensität ist umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung von der Schallquelle. Ein Objekt, das doppelt so weit von der Energiequelle entfernt ist, empfängt nur ein Viertel der Energie.

Mit anderen Worten: Das Magnetfeld des Gehirns löst sich schnell außerhalb des Schädels auf und wird sofort überlappt von anderen magnetischen Quellen – Radios, Fernseher, Handys und das Magnetfeld der Erde, das es um den Faktor 10 übertrumpft. Vergessen Sie auch nicht, dass sich bei Magneten Gegensätze anziehen – Positiv zieht Negativ an – also müssten positive Gedanken negative Dinge in Ihr Leben bringen.

Sie brauchen keine Wissenschaft um zu beweisen, dass The Secret Käse ist – nur einen kleinen Funken Verstand. Sollten Reichtum und Armut nur das Ergebnis von nichts weiter als unseren Gedanken sein, müssten wir demnach nicht diese armen, verhungernden Zimbabweaner dafür verurteilen, dass sie nur ein Haufen pessimistischer Miesepeter sind? Und was ist mit den Opfern von Auschwitz? Wenn das Anziehungsgesetz wahr ist, dann verdient es jede unterdrückte, versklavte oder ausgerottete Gruppe in der Geschichte nicht anders. Die Idee ist jenseits von verschroben – sie ist böse.

Können wir etwas für unseren Erfolg tun? Das hängt davon ab, was Sie unter „Arbeit“ und „Erfolg“ verstehen. Ich wohnte einmal einem Kongress bei, dessen Eröffnungsredner Mark Victor Hansen war, heute weithin bekannt als Autor der sehr populären Chicken Soup for the Soul Buchreihe2. Einer der einprägsameren Sätze seiner inspirierenden Rede lautete „Es läuft gut für dich, wenn du gut läufst“, womit er meinte, dass das wahre Erfolgsgeheimnis darin besteht, hart für den Erfolg zu arbeiten.

Die Rede stammt von 1980. Ich habe von Hansen bis in die späten 1990er nichts mehr gehört, als es seine Bücher in die Bestsellerlisten schafften. Hansen zeigte, dass Sie genügend Dinge immer wieder versuchen müssen, um Ihre Erfolgschancen zu erhöhen.

Der Immer-Wieder-Teil ist der Schlüssel, um zu verstehen, wie solche Selbsthilfeprogramme tatsächlich funktionieren. Laut Sham: How the Self-Help Movement Made America Helpless3, ein Buch von 2006 des Investigativjournalisten Steve Salerno, führen die verschiedenen Selbsthilfe-Gespräche und -Tonbänder zu einem vorübergehenden Inspirationshöhenflug, der nach ein paar Wochen nachlässt. Marktuntersuchungen zeigen, dass „der wahrscheinlichste Kunde für ein Buch zu irgendeinem Thema jemand ist, der ein ähnliches Buch innerhalb der letzten 18 Monate kaufte.“

Die Ironie hinter der „18-Monate-Regel“ dieses Genres ist Salerno zufolge: „Würde das, was wir verkaufen, funktionieren, dann müsste sich unser Leben verbessern. Man würde nicht erwarten, dass die Leute weiterhin Hilfe von uns brauchen – zumindest nicht auf dem selben Problemgebiet und gewiss nicht immer und immer wieder.“

Derartige Selbsthilfe- und Erfolgsprogramme haben ein Schild, das sie vor skeptischer Prüfung schützt. Wenn Sie eines davon probieren und sich Ihr Leben nicht verbessert, dann ist es Ihre Schuld – Ihre Gedanken waren nicht positiv genug. Die Lösung? Mehr vom Selben, oder zumindest mehr von der selben Botschaft, verpackt in immer neue Produkte und Programme.

Funktionieren sie? Keines davon funktioniert. Salerno zufolge gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass irgendeines der unzähligen Selbsthilfeprogramme – von Feuerlaufen bis zu den 12 Schritten – besser funktioniert, als würde man etwas anderes oder sogar gar nichts tun.

Jedoch besagt das Gesetz der großen Zahlen, dass es angesichts der Millionen von Menschen, die solche Programme versucht haben, unvermeidlich einige geben wird, die sich verbessern. Und wir hören stets nur von den Erfolgsgeschichten, nie von den Fehlversuchen. Hier eine Episode aus Oprah Winfreys Show, die sie niemals zu Gesicht bekommen werden: „Als Nächstes auf Oprah werden wir Ihnen ein dutzend Leute vorstellen, die eine brandneue Methode zum Geldmachen ausprobiert haben und nicht einer von ihnen ist reich geworden. Bleiben Sie dran. Sie werden das heutige Special nicht versäumen wollen.“

Dr. Michael Shermer ist Herausgeber des Skeptic Magazine, monatlicher Kolumnist beim Scientific American und Assistenzprofessor bei der Claremont Graduate University. Er ist Autor von Mathe-Magie und zahlreichen weiteren Büchern zu skeptischen Themen, etwa Why Darwin Matters oder Why People Believe Weird Things, die leider nicht ins Deutsche übersetzt wurden.

 

1„Erwecke den Riesen in dir“. Von Anthony Robbins ist bislang nur „Das Power Prinzip“ auf Deutsch erschienen. (Anm. des Übers.)

2„Hühnersuppe für die Seele“. Die Bücher sind noch nicht im deutschen Sprachraum erhältlich. (Anm. des Übers.)

3„Schwindel: Wie die Selbsthilfebewegung Amerika hilflos machte“. Das Buch erschien noch nicht in Deutschland. (Anm. des Übers.)

 

Übersetzung: Andreas Müller
Quelle: Shermer, Michael: The Real Secret. Forbes.com. 10. September 2007

 

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