Die moderne Kultur ist eine antichristliche

ASCHAFFENBURG. (hpd) In der Buchreihe „Klassiker der Religionskritik" legt der Verlag Alibri nunmehr seinen neunten Band vor: August Bebel.

Die Herausgeber der Klassiker-Editionen stellen jeweils ausgewählte religionskritische Texte bekannter Personen vor, geben Einführungen in Leben und Werk, erklärende Glossarien, Bibliographien und biographische Zeittafeln, sowie editorische Notizen.

Der Leser hat somit in komprimierter Form ansprechendes biographisches Material und exemplarische Texte zu weltanschaulichen Positionen der vorgestellten Persönlichkeiten zur Hand.
Porträtiert wurden bisher Denis Diderot, Johann Most, Albert Dulk, Jakob Stern, Fritz Lamm, Friedrich Hecker, Peter Maslowski, Rosa Luxemburg und nunmehr der wichtigste Vorsitzende der deutschen Sozialdemokratie vor dem ersten Weltkrieg August Bebel.

Der Herausgeber des Bandes Heiner Jestrabek besorgte schon die Ausgaben von Dulk, Stern und Luxemburg.
August Bebel (1842-1913) gilt als der Stammvater der deutschen Sozialdemokratie, war deren Mitbegründer und Abgeordneter im Deutschen Reichstag. Seine Schriften - u.a. „Die Frau und der Sozialismus" - waren internationale Bestseller. Bemerkenswert und bisher nur wenig beachtet ist die Tatsache, dass er sich häufig mit religiösen bzw. religionspolitischen Fragen auseinandergesetzt hat. Die Sammlung präsentiert einige Parlamentsreden Bebels sowie Vorworte und Auszüge aus längeren Schriften, die diese Fragen behandeln.

Bekennender Freidenker und Atheist

Eine biographische Einleitung führt in die historischen Texte und politischen Diskussionen der Zeit ein. Bemerkenswert bei Bebel ist, dass er ein bekennender Freidenker und Atheist war und dies in seinen populärwissenschaftlichen Werken propagierte. Ganz im Gegensatz zu der bei Politikern üblichen Art, sich nur opportunistisch zu verleugnen, bekannte er sich in öffentlichen Reden, sogar vor dem Deutschen Reichstag, zu seinen Überzeugungen.
Im Deutschen Reichstag bekannte er freimütig 1872: „ dann hört natürlich auch die irdische Autorität sehr bald auf, und die Folge wird sein, dass auf politischem Gebiete der Republikanismus, auf ökonomischem Gebiete der Sozialismus und auf dem Gebiete, was wir jetzt das religiöse nennen, der Atheismus ihre volle Wirksamkeit ausüben."
Der Politiker Bebel vertrat hierbei einen ausgesprochen modernen Standpunkt und grenzte sich von der späteren sozialdemokratischen Haltung, die Kirchen als Bündnispartner anzusehen und ihre Privilegierung mitzutragen, ebenso ab wie von explizit kulturkämpferischen Strategien. Als Standpunkt seiner Partei definierte er den Atheismus, als religionsrechtliches Modell vertrat er den weltanschaulich neutralen, toleranten Staat, der alle Glaubensrichtungen duldet, aber staatliche Einrichtungen und Religion strikt trennen sollte.

1874, in dem Jahr des Kirchenaustritts Bebels, entstand der später berühmt gewordene Briefwechsel zwischen Bebel und Kaplan Hohoff. Der Briefwechsel zeigte Bebels Stärke als Polemiker. Er verstand es, wie kein anderer seiner Zeitgenossen, seine umfangreichen Kenntnisse der komplexen historischen Vorgänge populär und prägnant darzustellen.

Grundlage seiner Reden und Schriften waren stets eine umfangreiche Materialrecherche und gründliches Quellenstudium. Sein Vortrag war immer klar, leicht verständlich und traf die Angelegenheit punktgenau. Er hatte eben einen eindeutig oppositionellen Standpunkt und unterschied sich somit wohltuend von den voluminösen Worthülsen und Phrasen, für die Politiker damals wie heute bekannt sind. Dies war sein Erfolgsrezept als Parlamentsredner und begründete seine Popularität als Volkstribun.
Viele seiner Reden und Aufsätze, so auch die Polemik mit Kaplan Hohoff, wurden von seiner Partei als Broschüren gedruckt und fanden in sehr hohen Auflagen unter der Arbeiterschaft Verbreitung. Dieser Text hat bis heute nichts an Bedeutung eingebüßt und verdient ungeteilte Aufmerksamkeit.

Unermüdlicher Streiter

Bebel war zu seiner Zeit kein unumstrittener Parteiführer. Gegen Parteiopportunismus und Revisionismus musste er sich auf fast jedem sozialdemokratischen Parteitag wehren. Bebel verteidigte nicht nur den revolutionären Geist der Bewegung, er stritt auch unermüdlich gegen Militarismus und drohenden Krieg, gegen Kapital, Junkerherrschaft und Großgrundbesitzer und gegen die Kolonialpolitik des deutschen Imperialismus.
Besonders unter dem letzten Aspekt ist Bebels bewerkenswertes Buch „Die Mohammedanisch-Arabische Kulturperiode" von 1884 zu sehen. Dieses Buch verdient auch noch heute große Aufmerksamkeit, angesichts eines Islambildes, das verzerrt ist durch terroristische islamische Fundamentalisten und US-amerikanische, christlich-fundamentalistisch artikulierte und motivierte imperialistische Kriege.
Zu einer historisch gerechten Positionierung der Rolle des Islams trägt Bebels Orientbuch sicher bei. Bebels Schreiben an Karl Kautsky vom 31. Januar 1884 wird zitiert, worin er betonte, dass ihm daran liege, nachzuweisen, dass es Schwindel sei, mit der christlichen Kultur zu prahlen. Dem Christen- und Heuchlertum, das sich breit mache, eins auszuwischen, sei der eigentliche Zweck seines Werkes.
Das Werk endet mit der prägnanten Aussage: „Die mohammedanisch-arabische Kulturperiode ist das Verbindungsglied zwischen der untergegangenen griechisch-römischen und der alten Kultur überhaupt und der seit dem Renaissancezeitalter aufgeblähten europäischen Kultur. Die letztere hätte ohne dieses Bindeglied schwerlich so bald ihre heutige Höhe erreicht. Das Christentum stand dieser ganzen Kultur-Entwicklung feindlich gegenüber. Und so kann man denn mit Fug und Recht sagen: Die moderne Kultur ist eine antichristliche Kultur."

Der Herausgeber stellt den historischen Bebel auch in die aktuelle politische Diskussion: Das Verhältnis der Sozialdemokratie zur Religionsfrage zog sich wie ein roter Faden durch deren Selbstverständnisgeschichte. Deren grundsätzliches Dilemma ist der unaufgelöste Widerspruch zwischen marxistischer Theorie, wonach für Deutschland die Kritik der Religion im Wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion, die Voraussetzung aller Kritik ist, wie Karl Marx in „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" schrieb - und den vermeintlichen Erfordernissen einer um Wähler buhlenden Partei mit einer opportunistischen, theorieträgen Parteibürokratie.
Bekanntermaßen entschied sich die Sozialdemokratie in dieser Frage nicht für den Weg Bebels. Die Verhinderung der konsequenten Umsetzung der Forderung nach Trennung von Staat und Kirche in den Verfassungen von 1919 und 1949 sowie der programmatischen Kurswechsel in Bad Godesberg 1959, mit einer völligen Streichung der Forderung nach Laizismus, waren Etappen einer verhängnisvollen Entwicklung. Eine Entwicklung allerdings, die sich nicht auf das Erbe August Bebels und seiner Mitkämpfer berufen kann.

Für die Befreiung der Arbeiterklasse

Die geneigte Leserschaft mag selbst entscheiden, welchen Platz ein August Bebel innerhalb der heutigen SPD einnehmen würde. Auch wenn ein Jahrhundert zwischen unseren Welten liegt, ist schwer vorstellbar, dass er Sozialabbau bei gleichzeitigen Unternehmenssteuergeschenken, Rentenklau und Privatisierungen bei zeitgleichen Kriegseinsätzen in aller Welt gut geheißen hätte.

August Bebels Lebenswerk war der Kampf für die Befreiung der Arbeiterklasse und der Kampf gegen Imperialismus, Kriegsvorbereitungen und Militarismus. Seine fundamentale Opposition gegen die herrschenden materiellen und geistigen Verhältnisse drückte er in dem, zum geflügelten Wort gewordenen, Motto aus: „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!"

 

Ralph Metzger

August Bebel: „Die moderne Kultur ist eine antichristliche". Ausgewählte Reden und Schriften zur Religionskritik. Hg. von Heiner Jestrabek. Aschaffenburg: Alibri Verlag 2007, 159 Seiten, kartoniert, Abbildungen.

ISBN 3-932710-59-2 (Klassiker der Religionskritik, 9), 13 €.