Von Saulus zu Paulus?

 

oder: Wie man einen Christen macht   

 

 

NEW YORK. (hpd) Wer sich nicht gerade mit Religionskritik befasst, mag seinen Namen vielleicht noch nie gehört haben. Doch Antony Flew ist ohne Zweifel der weltweit bekannteste Atheist. Bereits 1950, im Alter von nur 27 Jahren, trug er in dem berühmten, von C. S. Lewis geleiteten Sokrates Club in Oxford seinen Aufsatz „Theologie und Falsifikation" vor. Diese lediglich aus drei Seiten bestehende Arbeit ist der meistgelesene philosophische Artikel der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geworden.

In den nachfolgenden 50 Jahren hat Antony Flew neben einer „Einführung in die westliche Philosophie: Von Platon bis Sartre" zahllose Artikel zur Religionskritik geschrieben. Die meisten dieser Arbeiten sind in seinen Büchern „Gott, Freiheit und Unsterblichkeit" sowie „Gott und die Philosophie" versammelt. Gründlicher noch als David Hume und Bertrand Russell hat Flew das theologische Gedankengebäude so gnadenlos auseinander genommen, dass letztlich kein Stein auf dem anderen blieb. Von der Dreieinigkeit über die Offenbarung bis hin zur Auferstehung hat er alle christlichen Dogmen einer vernichtenden Kritik unterzogen.

Angesichts seines Rufs als „Antichrist von Oxford", traf es die Philosophen daher auch wie ein Schock, als vor nunmehr drei Jahren, am 9. Dezember 2004, eine Meldung der Associated Press um die Welt ging und in großen Lettern verkündete: „Berühmter Atheist glaubt jetzt an Gott!" Nach dieser Pressenotiz hatte der inzwischen 84jährige Antony Flew seinen Skeptizismus an den Nagel gehängt und zugunsten eines Schöpfergottes aufgegeben. Wie ein beigefügtes Zitat erläuterte, glaube Flew jetzt jedoch keineswegs an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, sondern lediglich an den Gott von Shaftesbury, Voltaire und Jefferson. Er sei also kein Theist, sondern nur ein „Deist" geworden - ein Anhänger der Lehre, dass es zwar ein intelligentes Wesen gibt, das die Welt erschaffen habe, aber sich um das Wohl und Wehe der Menschen in keiner Weise kümmere:

„Ich glaube an einen Gott, der weder dem christlichen noch dem muslimischen Gott ähnelt, die mir als orientalische Despoten oder kosmische Saddam Husseins erscheinen. Ich glaube an einen unpersönlichen Gott, der das Universum und seine Naturgesetze erschaffen hat, aber nicht in den Lauf der Welt oder das Schicksal der Menschen eingreift."

Welchen Grund gibt es für Flews „Bekehrung"

Seit Bekanntwerden dieser Nachricht haben sich sowohl Verächter als auch Verfechter der Religion gefragt, was wohl für Flews „Bekehrung" verantwortlich gewesen sein könnte: Ist er auf ein neues philosophisches Argument gestoßen? Ist er einer persönlichen Offenbarung teilhaftig geworden? Oder ist er lediglich senil geworden?

Flew, der zurückgezogen in Reading lebt, einer Kleinstadt etwa eine Stunde westlich von London, hat lange Schweigen gewahrt. In einem Interview, das er der BBC am 22. März 2005 gegeben hat, bekräftigte er jedoch noch einmal, dass er nicht zu Kreuze gekrochen sei. Als ihm die Journalisten davon berichteten, dass Christen seine Bekehrung wie einen Sieg feierten und ihn nun für einen der ihren erklärten, lachte er und sagte: „Tut mir leid, aber ich bin keiner von ihnen."

Um mit allen Missverständnissen aufzuräumen und den Spekulationen endlich ein Ende zu bereiten, kündigte Flew an, dass er ein Buch schreibe, in dem er seinen Sinneswandel detailliert erklären werde. Dieses mit großer Spannung erwartete Buch ist am 16. November 2007, nahezu drei Jahre nach der Meldung der Associated Press, endlich erschienen. Es trägt den Titel: „Es gibt einen Gott: Wie der weltweit berühmteste Atheist seine Meinung änderte" - ein Titel, der, wie Flew bereits im Vorwort beteuert, vom Verlag und nicht von ihm stammt.

Christliche Internetportale brachen in Begeisterung aus und Überschriften wie: „Der Atheist, der konvertierte" oder „Ein Atheist kommt zur Einsicht" gaben den Ton an.

Intellektuelle Autobiographie

Das Buch selbst ist eine wundervoll geschriebene intellektuelle Autobiographie. Wie Flew berichtet, sei er selbstverständlich nicht immer ein Atheist gewesen. Am 11. Februar 1923 als Sohn eines methodistischen Pfarrers in London geboren, habe er eine christliche Erziehung erfahren und sei regelmäßig in die Sonntagsschule gegangen. Anders als sein Vater sei er jedoch nie ein enthusiastischer Christ gewesen. Die sonntäglichen Kirchgänge erschienen ihm immer eher als lästige Pflicht.

Als er 13 Jahre alt war, habe sein Vater ihn häufig zu Vortragsreisen nach Deutschland und Frankreich mitgenommen. Wie Flew erklärt, haben ihn diese Reisen stark geprägt. Auf einem Schild der Marburger Universitätsbibliothek las er, dass Juden keinen Zutritt hätten und auf dem Münchener Marienplatz beobachtete er einen Aufmarsch von Braunhemden. Angesichts des Antisemitismus und des Nationalsozialismus konnte er nicht anders, als sich zu fragen, wie das Böse in dieser Welt mit der Güte Gottes zu vereinbaren sei. Mit 15 Jahren habe er dieses Problem als logisch unlösbar betrachtet und sich denn auch zum Atheismus bekannt.

An der Universität von Cambridge studierte er unter Gilbert Ryle, einem von Ludwig Wittgenstein beeinflussten Sprachphilosophen, der sich vor allem mit dem Leib-Seele-Problem beschäftigte und die inzwischen berühmt gewordene Formulierung vom „Geist in der Maschine" prägte. Von ihm übernahm er den sokratischen Wahlspruch, der ihn für den Rest seines Lebens begleiten sollte: „Folge den Argumenten, wohin auch immer sie führen!"

Was seine „Bekehrung" anbelangt, schreibt Flew, sei es nicht das erste Mal, dass er seine Ansicht geändert habe. So sei er beispielsweise mit Mitte Zwanzig vom Kommunismus zum Kapitalismus gewechselt und habe sich seither konsequent für einen eng begrenzten Staat und eine ungehinderte freie Marktwirtschaft ausgesprochen. Zudem habe er auch bei der Frage der Freiheit des menschlichen Willens seine früheren Aussagen bereits vor Jahren revidiert.

„Theologie und Falsifikation"

Flew benutzt diese Gelegenheit auch dazu, um noch einmal kurz auf seinen berühmt gewordenen Artikel „Theologie und Falsifikation" zu sprechen zu kommen. Anders als immer wieder behauptet, habe er nie gesagt, dass religiöse Aussagen inhaltsleer seien. Er habe lediglich gesagt, dass eine Behauptung, die philosophisch ernst genommen werden will, nicht nur etwas aussagen, sondern auch etwas ausschließen muss, sonst handele es sich nämlich gar nicht um eine Behauptung.

Was er dabei vor Augen hatte, seien Behauptungen wie „Gott liebt uns" gewesen, die offenbar mit allen möglichen Ereignissen in dieser Welt vereinbar sind. Ganz gleich, was auch geschehen möge - angefangen von einem Kind, das an Krebs erkrankt, bis hin zum Holocaust -, es gebe offenbar nichts, was der theologischen Behauptung, „Gott liebt uns", überhaupt widersprechen könne. Wenn eine Behauptung aber in keiner Weise falsifizierbar ist, sei es auch keine Behauptung. Nicht umsonst hätte er daher mit der Frage geschlossen: „Was müsste geschehen, das für Sie einen Gegenbeweis gegen die Liebe oder die Existenz Gottes darstellen würde?"

Wie das Buch zeigt und von jedem, der ihm jemals begegnet ist, auch immer wieder bestätigt wird, war Antony Flew nie ein militanter Atheist. Anders als etwa Richard Dawkins hat er weder in seinen Schriften noch in seinen Vorträgen je einen polemischen oder gar sarkastischen Ton angeschlagen. Gemäß seinem sokratischen Motto war er für jedes neue Argument stets aufgeschlossen. Wann immer ihm jemand berichtete, einen neuen „Gottesbeweis" entdeckt zu haben, verwandelte sich der alternde Flew wieder in den wissbegierigen Studenten, der er während seiner Studienzeit in Cambridge war.

Auf Seite 88 seines 222 Seiten zählenden Buches kommt Flew schließlich darauf zu sprechen, wie er von einem „Verleugner Gottes zu einem Entdecker Gottes" geworden sei. Wie leicht einzusehen, seien es vor allem die wissenschaftlich unbeantwortbaren Fragen wie „Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?" und „Woher stammen eigentlich die Naturgesetze?", die ihm Kopfzerbrechen bereiteten. Da diese Probleme alles andere als neu sind, erwartet man an dieser Stelle eine ausführliche Erklärung, warum er diese Fragen, die er früher im Sinne des Atheismus beantwortet hat, jetzt im Sinne des Deismus beantworten zu müssen meint. Doch eigentümlicherweise erhalten wir eine solche Erklärung nicht.

Eigentümlich Verwirrendes

Noch eigentümlicher ist, dass er auf Seite 156 das Theodizee-Problem aufgreift, also das bereits erwähnte Problem der Vereinbarkeit der Güte Gottes mit den Übeln dieser Welt. Warum, so fragt man sich, sollte sich Flew für dieses Problem noch interessieren? Wenn er nicht an einen persönlichen, sondern an einen unpersönlichen Gott glaubt, den das Schicksal der Menschen kalt lässt, stellt sich ihm dieses Problem doch gar nicht. Die Theodizee ist ein Problem für traditionelle Theisten, nicht aber für bloße Deisten.

Vollends verwirrend wird es jedoch, wenn er sich auf Seite 186 plötzlich mit der Auferstehung Christi beschäftigt. Die Frage, ob Jesus Gottes Sohn war und nach seinem Tod am Kreuz wieder auferstanden ist, sollte ihn so wenig interessieren wie es Shaftesbury, Voltaire und Jefferson interessierte. Mit dieser Frage setzen sich skeptische Atheisten und apologetische Theisten auseinander, nicht aber Deisten, die die Existenz eines persönlichen Gottes und eines himmlischen Heilsplans in Abrede stellen.

Wenn man auf Seite 185 liest: „Ich denke, dass das Christentum von allen Offenbarungsreligionen den größten Respekt verdient, da es mit Jesus über die charismatischste Gestalt und mit Paulus über den größten Intellektuellen verfügt", fragt man sich erstmals: Hat wirklich Antony Flew dieses Buch geschrieben? Wer ist eigentlich Roy Abraham Varghese, der als Autor des Anhangs genannt wird? Hat dieser Varghese möglicherweise weit mehr als nur den Appendix verfasst?

Hat wirklich Antony Flew dieses Buch geschrieben?

Offenbar hat sich auch Mark Oppenheimer, ein Journalist der New York Times, diese Fragen gestellt. Bereits Mitte Oktober 2007 hatte er ein Rezensionsexemplar des Buches von der Marketing-Abteilung des HarperOne Verlages zugeschickt bekommen. Da ihm der Text ebenfalls ungereimt erschien, beschloss er, Antony Flew in Reading aufzusuchen und persönlich zu dem Buch zu befragen.

Wie es sich für einen guten Journalisten gehört, recherchierte Oppenheimer vor Beginn seiner Reise nach England erst einmal gründlich. Dabei stellte sich heraus, dass Roy Abraham Varghese ein 49jähriger Geschäftsmann indischer Abstammung und ein unermüdlicher Kämpfer für die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion ist. Bereits im Mai 2004 hatte er eine Dokumentation produziert, die den Titel trägt „Hat die Wissenschaft Gott entdeckt?"

Diese Dokumentation zeigt Antony Flew im Gespräch mit dem orthodox-jüdischen Physiker Gerald Schroeder und dem christlichen Philosophen und päpstlichen Berater John J. Haldane. Während des Gesprächs meint Schroeder Stephen Hawking widerlegen zu können, der in seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit" erklärte, dass die Komplexität unseres Universums auch ohne jeden Rückgriff auf eine höhere Intelligenz erklärt werden könne. „Auch eine unendliche Zahl von Affen, die auf einer Schreibmaschine herumhämmert", kontert Schroeder, „wird nie ein Sonnett von Shakespeare zustande bekommen." Gleich darauf sieht man Fotos von Albert Einstein und Werner Heisenberg und hört - untermalt von der Musik Vivaldis - eine Stimme sagen: „Viele der größten Wissenschaftler aller Zeiten glaubten, dass die Intelligenz, die sich im Universum offenbart, ein Fingerzeig Gottes ist und auf eine unendliche Intelligenz verweist, die keine Grenzen kennt."

Antony Flew hat in der Dokumentation einen vergleichsweise kurzen Auftritt. Auf die langen Ausführungen von Haldane und Schroeder antwortet der nicht nur sichtlich, sondern auch hörbar gealterte Flew, dass man den biblischen Schöpfungsbericht durchaus als eine Metapher für die Urknall-Theorie verstehen könne; dass die ungeheure Komplexität der DNS in der Tat auf eine höhere Intelligenz zu verweisen scheine; und dass das Theodizee-Problem sicher kein unüberwindliches Hindernis für den Gottesglauben darstelle. Auf die plötzlich eingeworfene Frage Gerald Schroeders, ob man die Entstehung des Lebens nicht als eine Art „Offenbarung Gottes" verstehen dürfe, gibt Flew zu: „Ich sehe kein Argument, das eine solche Interpretation von vornherein ausschließen würde." Die DVD schließt mit einem Werbespot für Roy Abraham Vargheses Buch „Das Wunder dieser Welt: Eine Reise von der modernen Wissenschaft zum Geist Gottes".

Flew kennt ‚sein' Buch nicht

In Antony Flews Arbeitszimmer in England eingetroffen, befragte Mark Oppenheimer den Philosophen zunächst einmal nach einigen Autoren, deren Werke in Flews Vergangenheit nie erwähnt wurden, in seinem neuen Buch aber lang und breit zitiert werden. „Kennen Sie Brian Leftow?" „Nein, ich glaube nicht, dass ich ihn kenne." „Kennen Sie John Leslie?" Flew überlegte eine Weile und antwortete dann etwas unsicher: „Ich denke, er ist recht gut, nicht wahr?" „Kennen Sie Paul Davies?" „Ich fürchte, mein Gedächtnis lässt mich langsam im Stich." Mit einem selbstironischen Lächeln fügte er hinzu: „Ich scheine unter ‚nominaler Aphasie' zu leiden. Ich vergesse mehr und mehr Namen."

Wie der Journalist bemerken musste, hatte der Philosoph aber nicht nur Namen vergessen. Auch mit Begriffen wie „Abiogenese", die eine tragende Rolle im neuen Buch spielen, konnte Flew schlechterdings nichts anfangen. Schließlich fragte Oppenheimer ihn auf den Kopf zu, ob er sein Buch denn überhaupt selbst geschrieben habe. „Das Buch war Roys Idee. Er hat es mir gezeigt und ich habe OK gesagt. Ich bin zu alt für diese Art von Arbeit." Statt über das Buch zu reden, wollte Flew denn auch lieber über aktuelle politische Themen, wie etwa einen möglichst raschen Austritt Großbritannens aus der Europäischen Union, sprechen.

Über die zuständige Lektorin des Verlags HarperOne, Cynthia DiTiberio, erfuhr Mark Oppenheimer, dass der erste Entwurf des Buches tatsächlich von Roy Abraham Varghese geschrieben worden ist. Um es etwas „leserfreundlicher" zu gestalten, sei es dann von Bob Hostetler, einem evangelikalen Pfarrer aus Ohio, noch einmal überarbeitet worden. Hostetler, sagte DiTiberio, sei ein ausgezeichneter Autor, der häufig als „Ghostwriter" für HarperOne arbeite.

Die „christlichen" Ansichten sind nicht von Flew

Wie viel Antony Flew steckt nun also wirklich im neuen Buch von Antony Flew? Nach Mark Oppenheimers Eindruck basiert das Buch gewiss auf einer Vielzahl von Gesprächen, die Flew über die Jahre mit Varghese geführt hat. Angesichts des Vertrauens, das Flew in Varghese hatte, hat er das Buch aber höchstwahrscheinlich nie gegengelesen. Vor allem die Stellen, an denen der Eindruck erweckt wird, das Flew nicht nur ein Deist, sondern ein Christ ist, sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das ausschließliche Werk von Roy Varghese, der Flew kurzerhand für seine missionarischen Zwecke vereinnahmt hat.

Da Antony Flew in dem Interview mit Mark Oppenheimer erklärte, dass er sich zur Gottesfrage nicht mehr öffentlich äußern wolle, sind die letzten authentischen Worte zu diesem Thema wohl die, die er in seinem Dankeswort am 11. Mai 2006 während der Verleihung des Phillip E. Johnson-Preises für Freiheit und Wahrheit an der Biola Universität in Los Angeles ausgesprochen hat: „Der Gott, an den ich glaube, hat nichts mit der jüdischen, christlichen oder islamischen Offenbarungsreligion zu tun. Der Gott, an den ich glaube, befasst sich weder mit dem Glauben der Menschen noch mit den Handlungen der Menschen. Es ist der Gott von Thomas Jefferson und Benjamin Franklin."

Entsprechend hat Antony Flew Rationalist International inzwischen darüber informiert, dass die wilden Gerüchte seiner veränderten Anschauungen jeder Grundlage entbehren.

Edgar Dahl

(mit Auszügen aus dem Artikel von Mark Oppenheimer in der New York Times)