Religion in der Defensive (3)

(hpd) Lieber Gott: Bitte rette uns vor deinen Anhängern! Danke und Amen. (Teil 3)

8. Die Neuen Atheisten sind Antisemiten

Ein typisch deutscher Vorwurf, würde man meinen, doch kommt er in amerikanischen und britischen Debatten ebenso vor. Wobei Dawkins in einem Interview sagte, er wäre in Deutschland besonders unfreundlich aufgenommen worden und in der Tat hat man ihm hierzulande öfter Antisemitismus unterstellt, oder auf ähnliche Weise die Gürtellinie unterschritten. Der Vorwurf lautet: Die Neuen Atheisten, vor allem Richard Dawkins, haben ein Problem mit Juden als Volk, nicht als Religion. Die Logik hinter der Anschuldigung: Atheisten nehmen uns zahlende Gläubige weg und deshalb diffamieren wir sie mit allen Mitteln.

Ein gewisser „kamenin“ geht in seinem Blog auf einen aktuellen Vorwurf dieser Art aus der FAS ein. So wie in diesem Fall funktioniert die Strategie immer: Man zitiert einen der Neuen Atheisten aus dem Zusammenhang, verwendet tausendmal Begriffe wie „judenfeindlich“ und „antisemitisch“ und meint, damit irgendetwas bewiesen zu haben.

Verteidigt wird Dawkins zum Beispiel vom Israel Network, also direkt von denjenigen, die sich für den allerbilligsten Angriff auf die Neuen Atheisten missbrauchen lassen müssen. Einen weiteren Konter findet man beim Skepticker, diesmal mit Bezug auf einen Artikel der SZ. Auch Alan Posener von der Welt geht auf das Thema ein.

Soll sich auf diese Weise das Christentum aus unserer Kultur verabschieden? Indem seine Vertreter selbstgerecht ihre Gegner „Antisemiten“ schimpfen? Vor allem, wo doch das Christentum mit seinen Jahrtausende andauernden Fantasien über Juden – sie trinken das Blut christlicher Kinder, vergiften Brunnen, schänden Kekse – viel mehr zum europäischen Antisemitismus beigetragen hat, als alle anderen Weltanschauungen.

Die leichtfertige Unterstellung von Antisemitismus ist eigentlich selbst antisemitisch. Das Thema wird benutzt, als wäre es nicht sonderlich wichtig, als könnte man einfach jeden, den man nicht leiden kann, statt „Idiot“ einfach „Antisemit“ nennen. Wenn sich jemand beim Bäcker vordrängelt, dann unterstellt man ihm bald einfach, er habe den Holocaust geleugnet. Wenn jemand im Kino sein Handy nicht ausstellt, war sein Vater im KZ für Verbrennungen zuständig. Wenn jemand die Geschichte von der Sintflut nicht mag, ist er ein Feind des jüdischen Volkes (genau das hatten wir ja schon im Falle des Indizierungsantrags für das Ferkelbuch). Und am Ende sind alle Antisemiten, vor allem die Juden selbst.

9. Nicht mein Gott

Es ist nicht mein Gott, den Sie da kritisieren.“ Ein Ausweichmanöver, das auch bei weltlichen Themen vorkommt, wenn liebgewonnene Ansichten verteidigt werden: Man behauptet, dass die von der Gegenseite geäußerte Kritik an der Sache vorbeigehe, obwohl dies keineswegs der Fall ist.

Christopher Hitchens hat das Problem auf den Punkt gebracht: „Ich hätte für jeden Gläubigen ein eigenes Buch schreiben müssen.“ Der Religionskritiker muss immer verallgemeinern. Jeder muss immer verallgemeinern. Ansonsten bräuchten wir für jeden Sachverhalt, den wir aussprechen, 100 Jahre. Zum Beispiel: „Äpfel sind grün.“ Dabei sind aber nicht alle Äpfel grün. Müssen sich nun rote oder gelbe Äpfel hintergangen fühlen? Oder dürfen sie sich freuen? Und was ist mit verschimmelten Äpfeln? Dasselbe gilt für Religionskritik: „Christen glauben, dass Jesus Gottes Sohn ist.“ Es gibt jedoch auch „Christen“, die meinen, Jesus sei nur ein Mensch gewesen und ein gutes moralisches Vorbild. Gott sei derweil das ultimativ Gute, Schöne und Perfekte, aber keine Person. Für viele Menschen ist diese Interpretation hinreichend, um sich „Christen“ zu nennen, selbst wenn man sie noch vor 300 Jahren wegen Häresie für diese eigenwillige Deutung verbrannt hätte.

Jedoch haben Religionskritiker klare Bezugspunkte: Den Katechechismus der katholischen Kirche, das apostolische Glaubensbekenntnis, Studien, Umfragen, heilige Bücher aller Art. Wer meint, er wäre ein Christ, glaubt aber nicht, dass Jesus Gottes Sohn war, der ist kein Christ. Streng genommen ist niemand, der den Papst für fehlbar hält, ein Katholik. Schließlich ist die katholische Kirche der Urheber des Katholizismus und darf ihn definieren, wie sie will. Wenn Gläubige schlampig mit ihrem Glauben umgehen, dann ist das nicht die Schuld von Religionskritikern. Mit dem selben Recht, mit dem sich manche Leute „Katholiken“ nennen, könnte auch ein Gärtner behaupten, seine Berufsbezeichnung lautete eigentlich „Maurer“.

Oftmals stimmt die Behauptung zudem nicht einmal, das kritisiere Gottesbild wäre nicht das Gottesbild des jeweiligen Gläubigen. Es ist ein scheinbar bequemer Weg aus der Schusslinie der Vernunft.

10. Gott ist unfassbar und unwiderlegbar

In der Tat ist es unfassbar, dass noch immer Menschen an Gott glauben. Die allgemeine Gottes-Unfassbarkeit, die unter Theologen verbreitet ist, hat ihren Ursprung meist in deren Unwillen, etwas Konkretes über Gott auszusagen. Würden sie das, käme schnell ans Licht, dass an ihrem Gott nicht viel dran ist. Oder sie wissen selbst nicht mehr, was sie eigentlich glauben. So ist Gott, der einstige Schwarzenegger der Wolken, nur noch ein „Sein im Seienden“, oder das „Eine, das ist“, oder das Absolute, das so absolut ist, dass es niemand anständig definieren kann. Oder das Gute, aber nicht das Gute selbst, sondern das Gute, das über uns ist, oder, wie Christopher Hitchens es ausdrückte: „Weißes Rauschen.“

Aber unwiderlegbar ist „Gott“ keineswegs. Man bekommt von Theologen oft zu hören, Gott gehöre zum Reich des Transzendenten, des Übernatürlichen, und wäre deshalb von uns nicht erfassbar. Weder können wir seine Existenz belegen, noch können wir sie widerlegen. Diese Haltung wird auch von vielen Wissenschaftlern, etwa von der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V.) geteilt. Ferner könne die Naturwissenschaft überhaupt nichts zur Gottesfrage aussagen, weil es nicht ihr Aufgabenbereich sei. Dass dies offensichtlich falsch ist, scheint fast niemanden sonderlich zu stören.

Rein erkenntnistheoretisch ist diese Aussage zwar korrekt, aber nur, wenn wir 1. alles vergessen, was wir sonst noch über das Universum wissen und/oder 2. von einem Gottesbild ausgehen, das kein Mensch vertritt – es sei denn, wir kaufen Theologen ihre „Das Eine, das ist“-Story ab. Der Umstand, dass man die Nichtexistenz "Gottes" oder des unsichtbaren, rosafarbenen Einhorns nicht beweisen kann, ist unwichtig.

Wer glaubt schließlich an einen rein transzendenten Gott? An einen Gott, der sich in einer anderen Dimension befindet und nie ins Weltgefüge eingreift? Niemand. Auch Deisten glauben das nicht, denn sie nehmen an, dass Gott die Welt erschaffen, also mindestens einmal in unsere natürliche Welt eingegriffen hat. Wie bereits erläutert, würde ein Universum, das von einem intelligenten Schöpfergott erschaffen wurde, anders aussehen als das unserige. Zum Beispiel hätte am Anfang etwas passieren müssen. Die Schöpfung zum Beispiel. Wenn sich die Gesamtenergie des Universums jedoch nicht verändert hat, dann gab es so etwas nicht. Es gab nur natürliche Prozesse, Energieumwandlungen, die ohnehin jeden Tag unvorstellbar oft vorkommen. Auch der Urknall war nur eine gewaltige Verkettung von Energieumwandlungen. Ohne Schöpfung kein Schöpfer. Das erspart auch die lästige Frage, wer den Schöpfer erschaffen hat, oder wie ein ewig existenter Gott vor der Erschaffung des Universums seine Zeit vertrieb? Ohne Schafe konnte er nicht einmal Schäfchen zählen. Ist der ewige Gott also der Gott der ewigen Langeweile?

Damit wäre aber nur der Gott der Deisten (und der Gott der Theisten als Schöpfer) widerlegt, was ist mit dem christlichen Gott oder mit Allah? Beides sind Götter, die öfter ins Weltgefüge eingreifen. Laut der islamischen Theologie greift Allah sogar immer ins Weltgefüge ein, ohne dieses Eingreifen würde nichts funktionieren. Naturgesetze gibt es im Islam nicht. Alles geschieht nur, weil es der Wille Allahs ist.

Weniger radikal ist der christliche Gott, der eingreift, wenn er mit Propheten spricht oder Wunder wirkt, oder wenn er seinen Sohn von einer antiken Besatzungsmacht hinrichten lässt.

Propheten haben ihre Visionen meist zeitgleich mit ihren epileptischen Anfällen, was misstrauisch machen sollte. Auch enthalten ihre Prophezeiungen nichts, was sich nicht jeder von uns auch hätte ausdenken können.

Die Wunder der Bibel enspringen der Vorstellungswelt ihrer Urheber. Wasser in Wein verwandeln, Kranke heilen, von den Toten wieder auferstehen, Brot und Fische vermehren. Das haben schon die ägyptischen Götter gerne getan. Nichts davon ist originell oder herausragend. Sogar die gewaltige Sintflut kommt bereits im 5000 Jahre alten Epos Gilgamesh vor (daher stammt sie auch). Was wäre eines Gottes würdig gewesen? Zum Beispiel die Verwandlung eines Staubkorns in eine Atombombe. Oder die Konstruktion eines Mikrowellenherds, der Manna in einer Sekunde heiß macht.

Nirgends in der Bibel ist von einem Heilmittel gegen Krebs die Rede, von Strings und Superquanten, oder von Shakespeare (Warum hat Gott Shakespeare eigentlich zu einem besseren Schriftsteller gemacht, als er es selbst ist?). Die Bibel ist das Ergebnis ihrer Entstehungszeit und sie enthält absolut nichts, was auch nur ein Quäntchen darüber hinausragt. Gott hätte ein anderes Buch geschrieben. Ein Buch mit tiefen Einblicken in die Mathematik, Physik, Biologie. Ein Buch, das es wert ist, einem ausgewählten Volk überreicht zu werden.

Fazit: Bestimmte Eigenschaften eines Gottes, der in die Welt eingreift, können widerlegt werden (insofern man überhaupt etwas widerlegen kann). Und zwar so lange, bis von diesem Gott nichts Interessantes mehr übrig bleibt. Ein Gottesbild, das sich selbst widerspricht, ist logisch widerlegt (z.B. Die einfältige Dreifaltigkeit). Die Naturwissenschaften können über einen rein transzendenten Gott nichts aussagen. Da niemand an einen solchen Gott glaubt, ist dieser Umständ irrelevant. Alle relevanten Götter können teils oder ganz auf ihren Einfluss in der Welt untersucht werden. Und dies ist bereits in einem Ausmaß geschehen, dass vom großen, allmächtigen Mann im Himmel nur noch ein Lückenbüßer-Gott übrig geblieben ist.

Und bald wird auch dieser verschwinden.

Ausblick: Die „Religion in der Defensive“-Reihe endet zunächst mit diesem Teil. Die restlichen Argumente der Bodyguards des Allmächtigen sollen auch noch eine Antwort erhalten. Diese sind zwar nicht besser, aber weiter verbreitet und etablierter als einige der bislang genannten Argumente, weshalb ihnen ein eigener Artikel gewidmet wird. Dazu gehören: „Keine Moral ohne Gott“ und das auch bei vielen Atheisten beliebte, aber haarsträubende Argument „Religiöse Gewalt hat nichts mit Religion zu tun“. Bis dahin bieten wir neue übersetzte Texte von den Brights und von den Neuen Atheisten an.

Andreas Müller

Die Neuen Atheisten
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