Links, wo das Herz schlägt

Vor wenigen Wochen war der Mehringhof noch Schauplatz einer Razzia

im Vorfeld des G8-Gipfels, am vergangenen Wochenende fanden dort die 5. Linken Buchtage statt.

BERLIN. Über 1.000 Besucherinnen & Besucher schauten an den Buchständen, was der linke Blätterwald an Neuerscheinungen zu bieten hat, oder diskutierten in einer der rund 40 Veranstaltungen mit Autoren oder Zeitschriftenmacherinnen über die Thesen ihrer jüngsten Publikationen.

Das Veranstaltungsangebot umfasste tatsächlich die gesamte Spannweite linker Aktivitäten und Debatten, vom Umgang mit polizeilicher Repression über aktuelle (Bildungsdebatte anhand des Beispiels Rütli-Schule) und historische Themen bis hin zu theoretischen Fragen (auch wenn einige Themenbereiche, etwa sozialpolitische oder ökologische Probleme, nur am Rande vertreten waren). Neben den Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen gab es zahlreiche literarische Lesungen sowie Kunst. Der Zürcher Künstler Ingo Giezendanner hatte eine ganze Wand mit einer seiner comichaften schwarzweißen Stadtansichten bemalt; der Video-Installation „Transkategoriale Körperkonzeptionen“ von Hannah Fitsch, die in ihren teilweise verstörend wirkenden Arbeiten die Kategorie „Geschlecht“ in Frage stellt, konnten die Besucher kaum ausweichen: sie hatte ihren Platz auf dem Gang zur Toilette – ein bewusst gewählter Ort, da sich die bipolare Geschlechterkonzeption dort in der Zweiteilung der Örtlichkeit spiegelt.

Aus bürgerrechtlicher Sicht besonders interessant war der Bericht über den Stand des Gerichtsverfahrens zum Tod von Oury Jalloh. An die offizielle These der Polizei, der junge Mann habe sich – obwohl zuvor durchsucht und in einer Zelle an Händen und Füßen an eine Matratze gefesselt – mit seinem eigenen Feuerzeug selbst angezündet, glaubt mittlerweile niemand mehr. Selbst konservativen Beobachtern und der Lokalpresse dämmert angesichts der zahlreichen Widersprüche, dass hier etwas vertuscht werden soll; einige Migrantenvereinigungen halten es sogar für die wahrscheinlichste Erklärung, dass ein Tötungsdelikt vorliegt. Trotzdem ist offenbar davon auszugehen, dass niemand für das, was am 7. Januar 2005 in der Polizeistation in Dessau geschehen ist, zur Rechenschaft gezogen wird. Denn da es keine externen Zeugen gibt und eine Obduktion angesichts des Zustandes der Leiche wenig erfolgversprechend scheint, dürfte sich das Geschehen nicht rekonstruieren lassen. Und das führt im Rechtsstaat zu einem Freispruch (jedenfalls wenn Polizisten auf der Anklagebank sitzen). Trotzdem sollte der Fall Oury Jalloh nicht nur unter diesem Aspekt gesehen werden. Denn immerhin ist es denjenigen, die sich für eine Aufklärung der Sache engagieren, trotz heftiger polizeilicher Repression gelungen, durch ihre Beharrlichkeit das Lügengebäude der offiziellen polizeilichen Version zum Einsturz zu bringen – zwar nicht vor Gericht, aber doch in der öffentlichen Meinung.

Unterm Strich waren, auch wenn einige Veranstaltungen kurzfristig abgesagt wurden und am Samstagnachmittag, wohl aufgrund des Regenwetters, weniger Leute kamen als erwartet, sowohl das Publikum als auch die Veranstaltergruppe zufrieden; die Vorbereitungen für die Linken Buchtage 2008 haben quasi begonnen.

gs