Religionslandschaft in Veränderung

BERLIN. (fowid) In der zweiten Maihälfte 2008 wurden in einer Mehrthemen – Repräsentativbefragung zwei Fragen gestellt:
(1) „Es gibt in einigen

Bundesländern das Schulfach Humanistische Lebenskunde als nichtreligiöse Alternative zum Religionsunterricht. Sollte Ihrer Meinung nach das Schulfach Humanistische Lebenskunde in allen Bundesländern eingeführt werden, und sollten die Schüler bundesweit eine Wahlmöglichkeit zwischen Humanistischer Lebenskunde und Religionsunterricht haben, oder sollte es bei der alten Regelung bleiben?"
(2) „Einmal angenommen, Sie hätten ein Kind im schulfähigen Alter. Würden Sie Ihr Kind eher am Schulfach Humanistische Lebenskunde oder eher am Religionsunterricht teilnehmen lassen?"

 

Die erste Frage bezieht sich dabei auf die generelle gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber einer Humanistischen Lebenskunde als Schulfach und nichtreligiöser Alternative zum Religionsunterricht - bei Wahlfreiheit der Schüler für eines der beiden Fächer. Die zweite Frage bezieht sich dann auf die Wahrscheinlichkeit einer spezifischen Nachfrage für dieses Schulfach, d.h. weiter spezifiziert auf Eltern mit Kindern unter 18 Jahren und der Frage, in welchen Unterricht sie ihre Kinder eher schicken würden.

Die Zustimmung für die Einführung einer Schulfachs Humanistische Lebenskunde in allen Bundesländern ist groß: 61 % der Befragten sprechen sich dafür aus, 32 % der Befragten wollen es bei dem ausschließlichen Religionsunterricht belassen. (Es werden bei allen Zahlenangaben nur die ausgesprochenen Meinungen dargestellt, d.h. die Differenz der Angaben zu 100 % sind die „Weiß nicht" und „Keine Angabe" - Antworten.)

In keiner der jeweiligen Gruppen von Befragten wird die Hälfte (50 %) an Zustimmung unterschritten. Bei den Jüngeren der Befragten ist die Zustimmung (66 %) ausgeprägter als bei den Älteren (53 %).
Auch wenn es nahe liegend ist, dass die Konfessionsfreien sich eindeutiger (75 %) für eine nicht-religiöse Alternative zum Religionsunterricht aussprechen, so ist die weltanschauliche Toleranz der Kirchenmitglieder bemerkenswert, die sich mehrheitlich (zu 56 % bzw. 55 %) für die Einführung dieses alternativen, nicht-religiösen Schulfaches aussprechen.

Ebenso ist jedoch festzustellen, dass sich von den Konfessionsfreien ein Fünftel (18 %) gegen das Angebot einer Humanistischen Lebenskunde ausspricht und es bei der Regelung des ausschließlichen Religionsunterrichtes belassen will.

Beide „Lager" (die Kirchenmitglieder und die Nicht-Kirchenmitglieder) sind also nicht jeweils nur einer Meinung.

Auch hinsichtlich ihrer Parteipräferenzen ist jeweils eine Mehrheit der Befragten für die Einführung der Humanistischen Lebenskunde in allen Bundesländern. Von den CDU-Anhängern (50 % Zustimmung) steigt dieser „Toleranzgedanke" über die FDP-Anhänger (54 %), den SPD-Anhängern (65 % Zustimmung) bis zu den Grünen 82 %) und der Linkspartei (75 %).

Entsprechend dieser parteilichen „Gestimmtheiten" für die Toleranz einer nicht-religiösen Alternative zum Religionsunterricht zeigen sich auch die Unterschiede in den einzelnen Bundesländern.
Es ist jedoch bemerkenswert, dass auch im Bundesland Bayern - mit einer ausgeprägten konservativ-klerikalen Tradition -, die Mehrheit der Befragten (52 %) sich für die Einführung des Schulfaches Humanistische Lebenskunde ausspricht.

Auch wenn die höchsten Werte der Zustimmung in den Neuen Bundesländern geäußert werden, so sind die Zustimmungswerte für dieses Alternativ-Schulfach in den Alten Bundesländern nicht weit davon entfernt.

Toleranz beinhaltet die Bereitschaft, etwas zu ertragen, was man nicht unbedingt für sich selber leben muss. Die zweite Frage - ob man seine Kinder eher an der Humanistischen Lebenskunde oder eher am Religionsunterricht teilnehmen lassen würde -, ist also als Indikator für die Größenordnung einer tatsächlichen Nachfrage zu interpretieren.

Insgesamt 37 % der Befragten würden ihre Kinder eher an der Humanistischen Lebenskunde teilnehmen lassen, während 47 % sich für die Teilnahme (ihrer) Kinder am Religionsunterricht aussprechen.

Dieser - erst einmal - geringere Anteil an der tatsächlichen Wahl der Schulfaches Humanistische Lebenskunde, darf jedoch nicht darüber hinwegsehen lassen, dass dieser Anteil höher ist, als der Anteil der Konfessionsfreien an der Bevölkerung insgesamt (33 %).

Die Verteilungen in den Bundesländern (bei denen jeweils rund 18 % der Befragten sich nicht entscheiden können) zeigen - mit der Ausnahme Hamburg, was vermutlich auch für andere Großstädte zutrifft -, einen deutlichen West-Ost-Unterschied, mit einer größeren Präferenz für den Religionsunterricht in den Alten Bundesländern.

Es bleibt jedoch bemerkenswert, dass in Bayern jede(r) Fünfte (21 %) und in Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen jede(r) Dritte (33-34 %) die Kinder eher in die Humanistische Lebenskunde als in den Religionsunterricht schicken würde.

Auch wenn es eine Tendenz gibt, dass die Befragten, bei denen tatsächlich Kinder unter 18 Jahren im Haushalt leben, etwas geringer die Humanistische Lebenskunde bevorzugen als die kinderlosen Befragten, sind diese Unterschiede jedoch nur gering bzw. (in Nordrhein-Westfalen und in Sachsen-Anhalt) gar nicht feststellbar.

Bereits bei der geringsten Präferenz für Humanistische Lebenskunde - in Bayern mit 16 % der Eltern -, sind es schätzungsweise rund 260.000 der 1,6 Mio. Schulpflichtigen in Bayern, die diesen Humanistischen Lebenskundeunterricht besuchen würden. In Nordrhein-Westfalen (1,632 Mio. Menschen zwischen 6 und 18 Jahren) wären es - bei einer Präferenz von 34 % der Eltern mit Kindern unter 18 Jahren - rund 800.000 SchülerInnen für diesen Lebenskundeunterricht. In ganz Deutschland (37 %) bestünde schätzungsweise eine Nachfrage von 3,8 Mio. SchülerInnen für Humanistische Lebenskunde.

Dass diese Nachfrage sich nicht nur aus den Reihen der Konfessionsfreien ergibt, zeigt die Präferenz für Humanistische Lebenskunde bzw. Religionsunterricht nach der Konfessionszugehörigkeit der Befragten. Ein Fünftel der christlichen Kirchenmitglieder (24 % der Evangelischen und 20 % der Katholiken) würden ihre Kinder eher in die Humanistische Lebenskunde schicken, als in den Religionsunterricht. Andererseits sind es beinahe ebenso viele der Konfessionsfreien (17 %), die für ihre Kinder den Religionsunterricht bevorzugen.

In dieser Hinsicht entsprechen die Verteilungen den bekannten Befunden zum spezifischen Gottesglauben, bei denen es sich zeigte, dass ein beachtlicher Anteil der evangelischen Kirchenmitglieder (21 %) und eine bemerkenswerte Zahl der Katholiken (9 %) schlicht Atheisten sind.

Insofern greifen alle eindimensionalen Zuordnungen zu kurz, da die Religions- und Weltanschauungslandschaft in Deutschland sich nicht nur an den formalen Zugehörigkeiten orientiert.

Hinsichtlich des Bedarfs an Humanistischer Lebenskunde wären rund drei Fünftel (59 %) der SchülerInnen Konfessionsfreie - was bei einer nicht-religiösen Alternative zum Religionsunterricht eigentlich auch nicht verwunderlich ist -, aber ebenso ist ein gutes Fünftel (22 %) formal evangelisch, wie ein knappes Fünftel (16 %) formal katholisch.

Carsten Frerk

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