Wikipedia - die freie Enzyklopädie?

Neutrale Informationen über atheistische Themen unerwünscht. Bericht über ein deutsches Phänomen.

Kostenlos und frei verfügbar. Offen für jeden, alle Internetbenutzer können mitmachen. Ein globaler Wissenspool, basisdemokratisch, von allen für alle. Viele Nationen haben eine eigene Version in Landessprache. Wikipedia – das Wissen der Menschheit endlich vereint. Die Bibliothek von Alexandria – ein Witz dagegen?

Hinter den großen Höhen folgt auch der tiefe, der donnernde Fall

Wikipedia wird unlängst heimgesucht von allerlei dunklen Gestalten, von Trollen und Socken, von Wichtigtuern, Besserwissern, von Leuten, die einfach zu viel Zeit haben. Eine Weile lang haben sie die Regeln des Lexikons nur gedehnt und gebogen, dann gebrochen, heute interessieren sie nicht mehr. Es herrscht Willkür im Wiki-Land. Der Gründer der globalen Enzyklopädie, Larry Sanger, Doktor der Philosophie, fasst die Problematik wie folgt zusammen: „Die Community setzt ihre eigenen Regeln nicht effektiv und konsistent durch. (...) Die schlecht funktionierende Community schreckt die potentiell nützlichsten Mitglieder ab: Akademiker. (...) Die letzten Artikel repräsentieren keinen Konsens mehr." Vetternwirtschaft und Arroganz machen sich breit. Eine Gruppe sich gegenseitig legitimierender Administratoren beherrscht inzwischen die Wikipedia und erinnert an die Schweine aus Animal Farm, die meinen, gleicher zu sein als die Gleichen, während sie andere ausschließen und lieber alleine im Wiki-Haus wohnen, um dort machen zu können, was sie wollen.

Ein einflussreicher Teil der deutschen Wikipedia-Community hat vor allem einer Fraktion den Krieg erklärt: Kirchenkritikern und Religionskritikern. In der Diskussion zum Artikel über Professor Mynarek versuchten manche Benutzer, den Ex-Theologen in die rechtsradikale Ecke zu stellen, wo er definitiv nicht hingehört, ganz gleich, was man von seiner Philosophie halten mag. Sicherlich war er auch niemals „Chef-Ideologe" des HVD. Er ist vielmehr ein wichtiger Religionskritiker und war der erste Theologe, der in Deutschland aus der Kirche ausgetreten ist – was ihm unzählige Prozesse und Anfeindungen eingebracht hat, wie man auch heute noch merkt. Bei dem Artikel über Mynarek hat man es nach langen Auseinandersetzungen geschafft, einigermaßen Neutralität zu erreichen, nachdem schon massiver Schaden angerichtet war und man Mynareks Vortrag bei der religionsfreien Zone in Köln absagen musste, eine Gegenveranstaltung zum damaligen Weltjugendtag. Bei anderen Artikeln gab es noch größere Probleme. Der Artikel über die Giordano Bruno Stiftung zum Beispiel wurde im März gelöscht, Monate später wieder aufgenommen. Immernoch steht er unter Beschuss, oftmals wurde er regelwidrig entfernt und musste gesperrt werden. Angeblich wolle die GBS „humanistischen Fundamentalismus" verbreiten und Kinder indoktrinieren. Sehr viel intelligenter war die Diskussion rund um die Brights-Bewegung auch nicht. Dort wurde die Prominenz von Vertretern der Bewegung angezweifelt, nur weil sie der jeweilige Benutzer nicht kannte. Ohnehin sei der gesamte Artikel Propaganda. Zentraler Angriffspunkt ist jedoch das Thema „Bibelkritik". Hier mischten auch Evangelikale und andere christliche Fundamentalisten mit. Inzwischen wurde der Artikel aufgrund von Vandalismus gesperrt. Das Ergebnis kann nicht als neutral bezeichnet werden, da kritische Äußerungen an der Bibel als subjektive Meinungen einzelner Wissenschaftler dargestellt werden, und wenn die Sachlage noch so klar und die Quellenlage noch so eindeutig ist. Die Liste prominenter Atheisten, welche man in der englischen Wikipedia schon lange vorfinden kann, hatte in Deutschland natürlich keine Chance.

Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären

Kürzlich wurde der Artikel über den Humanistischen Pressedienst in einem Schnelllöschverfahren aus der Wikipedia verbannt. Es ist interessant zu sehen, wie die Artikellöschung zustande kam. Einmal mehr wandte man nämlich die Standard-Begründung zur Einleitung eines Löschverfahrens für Artikel zu atheistischen Themen an: „...der bisher noch nichts Substanzielles geleistet hat". Genau diese Formulierung taucht immer wieder auf, nicht nur beim hpd, wo man tatsächlich darüber diskutieren könnte – natürlich nur innerhalb der siebentägigen Löschfrist, welche nicht eingehalten wurde. Schlicht und ergreifend allen Artikeln mit religionskritischen Inhalten wird erst einmal die Relevanz abgesprochen. Relevanz und Neutralität, das sind die zwei ständigen Begleiter der Gegner des Atheismus bei Wikipedia. An anderer Stelle passiert den besorgten Regelfans häufig ein Malheur und sie offenbaren ihre wahren Motivationen. So gab der anonyme Löschantragsteller Folgendes zum Besten: „PR Artikel von Religionshassern haben bei Wikipedia nichts zu suchen". Bald fielen alle Hüllen, die Masken wurden abgelegt. Wozu soll man sich noch hinter Relevanzkriterien verstecken, wenn bei Wikipedia ohnehin schon Verschwörungstheoretiker und religiöse Fanatiker in Übereinstimmung mit der Administration entscheiden dürfen, was wie dargestellt wird? So sagte man es einfach offen heraus:

"(Polit)Sektenorgane brauchen kein eigenes Lemma"

"Milosevic-Apostel"

"Der HVD ist ein kommunistischer Weltanschauungsverein, der aus der DDR Zeit stammt und von SED Altkadern dominiet wird. Die Giordano Bruno Stiftung ist eine aggressive atheistische Politsekte. Ziel dieses 'Pressedienstes' ist es, unsere christlich abendländische Kultur zu diskreditieren. Dass so etwas in der Bevölkerung nach Hitler und Honecker kaum auf Gegenliebe stößt, sollte keinen verwundern. Daher stimme ich für Schnelllöschen."

"Der dubiose "Pressedienst" ist doch gerade deshalb ins Leben gerufen worden, da die Gotteshasser immer weiter an Boden verlieren. Total überalterte Rentnervereine, die händeringend nach Frischfleisch gieren. In den Medien spielen sie so gut wie keine Rolle. In Talkshows werden sie sogut wie nie eingeladen. Gesellschaftliche Relavanz = NULL!"

 

Es lebt ein Gott, zu strafen und zu rächen

Als dann noch ein Artikel-Befürworter den Fehler machte, sich nicht einzuloggen, weil er sich als Neuling noch nicht mit Wikipedia auskannte, wurden plötzlich alle Befürworter des Artikels zu Sockenpuppen erklärt, also zu Benutzerkonten von Personen, die so tun, als wären sie verschiedene Benutzer. Mit der Begründung "Auf weiteren Sockenpuppenzirkus und Unterschriftsfaelscherei koennen wir verzichten" wurde der Artikel gelöscht. Dies jedoch sind keine Löschkriterien, wobei nicht einmal recherchiert wurde, wer tatsächlich betrogen hat und ob das wirklich der Fall war. Aufgrund der zahlreichen Angriffe auf Artikel aus dem säkularen Spektrum wird inzwischen an der Wikipedia-Alternative Athpedia gearbeitet, wo diese Manipulation nicht mehr möglich sein soll. Dort findet man den Original-Artikel, an dem sich die Diskussion entzündet hat.

 

Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen

Der Gipfel der Absurdität dürfte allerdings die Entscheidung sein, den Artikel über das Wikipedia-Nachfolgeprojekt Citizendium von Wiki-Gründer Larry Sanger zu löschen – aufgrund mangelnder Relevanz. Dort soll es strengere Regeln geben und Experten, welche die Artikel, die zunächst von Wikipedia übernommen werden, sowie neue Artikel, auf ihre Qualität hin überprüfen. Außerdem wird eine Registrierung erforderlich sein, um teilnehmen zu können. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass Citizendium eines Tages die Nachfolge zu Wikipedia antreten wird. Vielleicht berichtet man bei Sangers neuem Projekt im Gegenzug nicht über die unfehlbare Enzyklopädie mit Heiligenschein – aufgrund mangelnder Relevanz. Bis dahin haben die Atheisten ihr eigenes Online-Lexikon. Und wer weiß, vielleicht werden sie auch dieses irgendwann nicht mehr brauchen, sollte Citizendium wie gewünscht funktionieren.

 

Titel-Zitate von Friedrich Schiller.

 

 

Andreas Müller