BERLIN. (hpd) Am heutigen Freitag wird der Deutsche Bundesrat einen Antrag mehrerer unionsgeführter Bundesländer beraten und beschließen, der die „organisierte“ Sterbe- bzw. Suizidhilfe verbieten und unter Strafe stellen will. Noch immer dauert die Debatte um die showartig präsentierte Sterbehilfe des ehemaligen Hamburger Justizsenators Dr. Kusch an. Sie wird oft unzulässig vermengt mit der Debatte um Patientenverfügungen.
Gestern hat der Humanistische Verband Deutschlands sich in einer Pressemitteilung zu dieser Debatte erklärt und mitgeteilt, dass er sich an der Verbreitung des soeben erschienenen Buches „Wege zu einem humanen, selbst bestimmten Sterben“ (Amsterdam, Juli 2008) von Pieter Admiraal, Boudewijn Chabot u.a. beteiligt. Auf dieses Buch (ISBN: 9789078581031) hat der hpd bereits Anfang April verwiesen und es mit einem Link zum Kommentar von Dr. Christian Walther (Universität Marburg) versehen vorgestellt, der bei der deutschen Fassung Gutachter war. Das Buch enthält auch Wissen über den Gebrauch von suizidgeeigneten Medikamenten und stellt diese in ihrer deutschen Bezeichnung und ihrem möglichen Gebrauch detailliert vor. Der HVD hat mitgeteilt, er würde das Buch, das seit Montag per Internetbestellung für 30.- € Vorauszahlung für jeden Mann und jede Frau weltweit in deutscher Sprache erhältlich ist, auf Wunsch bereithalten für seine Mitglieder und Förderer, die beim HVD den Prozess einer sorgfältig aufgesetzten Patientenverfügung durchlaufen haben, sowie für Ärztinnen und Ärzte.
Dazu führte der hpd ein Interview mit dem Präsidenten des HVD, Dr. Horst Groschopp:
hpd: Befürchten Sie mit Ihrer Entscheidung nicht, als Sterbehilfeorganisation wahrgenommen zu werden?
Groschopp: Oft wird gesagt, der HVD sei ein Lebenskundeverein, andere wieder meinen, er sei ein Sozialverband, wieder andere sehen vor allem seine JugendFEIERn. Wir sind eine Weltanschauungsgemeinschaft mit breitem Profil.
Ich betone dies deshalb, weil uns das Gesamtangebot wichtig ist für unsere Haltung zur Problematik. Und wir haben unsere Positionen zu Patientenverfügungen und zur Sterbehilfe in zahlreichen wissenschaftlichen Konferenzen (die wir auch dokumentieren) seit Jahren öffentlich vorgestellt, bis hin zur Mitarbeit in der „Kutzer-Kommission“, unserer qualifizierten Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Justizministerin Zypries, Mitarbeit am „Lahrer Kodex“, Unterstützung von „Daheim statt Heim“ usw.
Unsere Haltung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Der Humanistische Verband Deutschlands tritt für umfassenden Patientenschutz ein, der sich ausschließlich am Wunsch, Wille und Wohl des einzelnen zu orientieren hat.
Wer unsere Meinung zu diesem Buch aus dem Zusammenhang herausreißen möchte, hat daran ein spezielles politisches Interesse und wird durch nichts zu bremsen sein.
hpd: Sie haben das Buch also bereits gelesen?
Groschopp: Ja, alle, die darüber demokratisch entschieden haben, dass der HVD das Buch in den genannten Grenzen auf Wunsch hin verbreitet, das Präsidium und einige unserer Experten und Expertinnen, haben das Vorausexemplar gelesen und ihr Urteil war einhellig „humanistisch und einfühlsam“. Das Studium war möglich, weil wir seit Jahren sehr gute Kontakte zu Pieter Admiraal haben. Er erhielt vor einigen Jahren den Humanismus-Preis unseres Berliner Verbandes. Und wer sich in der schwierigen Materie auskennen will, muss irgendwann Pieter Admiraal konsultieren.
hpd: Was sagen Sie zum Buch?
Groschopp: Auch ich finde es zutiefst humanistisch und es wird deutlich: Die Autoren, Fachleute allesamt, wollen nicht zur Selbsttötung anregen. Es benennt klar und eindeutig die Zielgruppen: Die Betroffenen sind schwer kranke Menschen. Besonders angesprochen sind Ärzte und Pfleger. Die Empfehlungen des Buches implizieren keinerlei Aufforderung zu strafbaren Handlungen des Arztes. Die Autoren benennen die Kriterien, unter denen ein Suizid stattfinden sollte: selbst bestimmt und selbst tätig, nicht einsam, schmerzlos, effektiv und andere nicht gefährdend.
Alle, die das Buch gelesen haben, auch wenn sie vorher sehr kritisch waren, sind nach der Lektüre von den Schicksalen, die einfühlsam beschrieben werden, mitgenommen. Die Sprache ist einfach und verständlich, gerade in der Sachlichkeit bestechend. Gleich eingangs wird auf Übereinstimmungen mit dem deutschen Nationalen Ethikrat verwiesen.
hpd: Das Buch ist eine einfache Übersetzung aus dem Niederländischen oder dem Englischen? In diesen Sprachen ist das Buch ja bereits erhältlich.
Groschopp: Ja, es gibt andere Versionen seit fünf Jahren. Nein, der Stoff wurde zum einen aktualisiert und zum anderen speziell für deutsche Verhältnisse aufbereitet. Letzteres betrifft das hier andere Arzt-Patientenverhältnis als in Holland, die hier nicht erlaubte „Euthanasie“ und die statt dessen erlaubte Beihilfe zum Suizid, die speziellen Rechtsdarlegungen dazu von Herrn Dr. Putz bis hin zu den Namen der Medikamente. Es ist ein in großen Teilen neues Buch. Und es sind bewusst Teile ausgelassen worden, z.B. die Helium-Methode. Einige Methoden werden klar abgelehnt: Naturgifte, „Exit-Bag“, Kohlenmonoxid …
hpd: Nun könnte ja der HVD groß in den Vertrieb für Deutschland eintreten.
Groschopp: Abgesehen davon, dass ich gar nichts über einen möglichen Bedarf sagen könnte – warum sollten wir das tun, wo doch das Buch so leicht erhältlich ist? Unsere Entscheidung leitet sich ab aus dem Angebot der Patientenverfügungen, ist eindeutig darauf und diese Menschen bezogen und eine innerverbandliche Sache. Wir machen keine Suizid-Propaganda, schon aus unseren lebensbejahenden Überzeugungen heraus nicht.
hpd: Gibt es das Buch jetzt gratis zu Patientenverfügungen?
Groschopp: Auch hier: eindeutig nein. Wir gehen davon aus, dass die allermeisten Menschen, die eine Patientenverfügung abschließen, an ihrem Leben hängen bis zum Schluss; und dass sie vor allem palliativmedizinische Hilfe wollen; es wird lediglich eine kleinere, selbstbewusste, sehr energische und zugleich nachdenkliche Gruppe sein, die sich über ein selbst beendetes Leben informieren möchte, und davon wieder nur einige, die es in ihrer Not und aus Überzeugung auch tatsächlich tun. Wer eine „Suizidwelle“ wie bei Erscheinen von Goethes „Werther“ befürchtet, wird sicher enttäuscht werden.
Nebenbei: Wir sind kein Franchise-Unternehmen der Herausgeber. Wir kaufen einige Exemplare bei der „Stiftung zur Erforschung eines humanen selbstbestimmten Sterbens“ und verkaufen sie weiter an Personen, die uns und denen wir vertrauen; und wie immer wird so etwas keinen Gewinn abwerfen, im Gegenteil.
Dieser Anmerkung unterlege ich einen betont sarkastischen Unterton, denn bei einigen CDU-Ministerpräsidenten muss man heutzutage aufpassen, dass sie einem nicht geschäftsmäßiges Befördern der Sterbehilfe unterstellen, wenn man bei Menschen Aufklärung betreibt, die diese Informationen wünschen.
hpd: Was war der letztlich entscheidende Grund, sich für das Buch auszusprechen?
Groschopp: Den sehe ich darin, dass Patientenverfügungen nun einmal die Garantenpflicht modifizieren und orientieren. Deshalb müssen Anbieter von Patientenverfügungen auch das Wissen bereitstellen, den formulierten Patientenwillen, wenn er denn die Beihilfe zum Suizid in Erwägung zieht, in jedem Fall beim Umsetzen auch behilflich zu sein – oder sie sollten es lassen, diese Art von Patientenverfügungen bereitzustellen.
Ich gehe davon aus, dass der Beitritt zum HVD eine weltanschauliche Positionsbestimmung ist. Und wenn dann noch zusätzlich eine Patientenverfügung abgeschlossen wird, dann ist dies die Folge einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und mit humanistischen Werten. Gerade solchen Menschen traue ich zu, mit dem Buch angemessen umzugehen. Und wer für sich den Freitod als humane Art aus dem Leben zu scheiden annimmt, muss die Freiheit haben, sich das dazu nötige Wissen anzueignen.
hpd: Gab es auch aktuelle Gründe?
Groschopp: Jedenfalls keine, die mit Herrn Dr. Kusch oder dem Bundesrat zusammenhängen. Das Zusammenfallen der Ereignisse ist Zufall. Dennoch will ich auf einen wichtigen aktuellen Punkt verweisen. Im Vorfeld der 1. Lesung des Patientenverfügungsgesetzes im Deutschen Bundestag hat hier im hpd die Humanistische Union (HU) ihr anderes Herangehen als das des HVD noch einmal bekräftigt. Sie wollen über die Neufassung des § 216 Strafgesetzbuch „Tötung auf Verlangen“ gehen. Das wollen wir nicht. Dafür liefert nun gerade das vorliegende Buch einiges Material, das dies generell nicht nötig ist bis auf einige ganz wenige Fälle, wo wir in unseren „Eckpunkten“ von 2003 von Strafverfolgung mit Verweis auf § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) abzusehen wünschen, „wenn gemäß der ausdrücklichen Willenserklärung des Patienten die gezielte Verkürzung eines von ihm nicht mehr zu ertragenden schwersten Leidenszustandes erfolgt, nachdem alle Möglichkeiten der Schmerztherapie, Palliativmedizin, des Behandlungsverzichts oder der ärztlich assistierten Freitodhilfe sorgfältig geprüft und ausgeschöpft bzw. vom Betroffenen als unzumutbar zurückgewiesen worden sind“. „Tötung auf Verlangen“ soll verboten bleiben – da sind wir eisern.
hpd: Wie steht es um die ärztliche Assistenz beim Suizid?
Groschopp: Dieser Teil wird uns alle noch beschäftigen, gerade angesichts der „Maßnahmen“ gegen den Arzt Uwe Arnold. Weitere Ärzte, die ihrem Gewissen und ihrem ärztlichen Auftrag folgen, ihren Patienten in jeder Not beizustehen, werden hinzukommen – aus ärztlicher Verantwortung. Dr. Putz nimmt hierzu im Buch indirekt und zur Garantenpflicht ganz grundsätzlich juristisch Stellung.
Mir stellt er nicht klar genug heraus, dass es sich hier um seine (von vielen Juristen auch im HVD geteilte) begründete Rechtsmeinung handelt, noch nicht um den Rechtsstand. Ich sehe hier allerdings deutliche Übereinstimmungen auch mit dem BMJ.
Auch kommt gerade an dieser Stelle Europa ins Spiel, weil nach Putz Dr. Haegi die Rechtslage in der Schweiz erläutert. Da klaffen Welten.
hpd: Erteilt das Buch Lehren, wie man Sterben sollte?
Groschopp: Nein, das ist nicht sein Gegenstand und davon ist es weit entfernt, weil Selbstentscheidung und Aufklärung bei einem suizidalen Wunsch im Vordergrund stehen. Das Buch ist auch nicht belehrend, obwohl mich an einigen Stellen die Selbstsicherheit von Ärzten wieder einmal stört, aber das ist ein sehr persönliches Urteil. Die Autoren sagen: Wenn Sie es so und so machen, geht es; wenn sie hier und da nicht aufpassen, wird es zur ungewollten Tragödie. Was sie wissen, sagen sie. Und wo sie etwas vermuten, sagen sie das auch.
Das verdeutlicht eine ganz andere „Lehre“. Denn gerade in diesen Passagen teile ich als Kulturwissenschaftler voll und ganz die Auffassung des Mitherausgebers Boudewijn Chabot, S.73, dass gerade auf den Feldern Sexualität und Sterben das Sprechen darüber gering entwickelt ist. Hinzuzufügen wäre: Auf beiden Feldern steht das Forschen in keinem vernünftigen Verhältnis zur Bedeutung dieser Felder für die wirkliche Gesellschaft und die wirklichen Einzelnen.
hpd: Was sind Ihre Einwände gegen das Buch?
Groschopp: Nicht ganz glücklich finde ich Formulierungen wie (obwohl völlig stimmig) S. 57 „Garant des Sterbewillens“. Garanten haben den Lebenswillen des Betroffenen zu vertreten, auch wenn dies ein Sterbewille ist, so ist es doch ein Lebenswille. Das ist sicher spitzfindig. Aber wie soll man ausdrücken, dass der Tod beim Suizid ein voller Erfolg ist? Hier fehlen uns die richtigen Worte; richtig im Sinne von bedeutungsschwer, dem Vorgang angemessener.
hpd: Welchen Ratschlag im Buch würden Sie nicht befolgen?
Groschopp: Auf S. 64 wird erörtert, welche (befördernden) Wirkungen Alkohol auf die empfohlenen Medikamente hat. Es sei „würdelos und nicht human, betrunken zu sterben“. – Also wirklich! Wenn es nützt …
Die Fragen stellte Claudia Buchmann.